Schauprozess gegen Reporterin Msia Amaghlobeli in Georgien | ABC-Z

„Msia! Msia! Msia!“ Als der graue Transporter des Strafvollzugsdienstes in die Seitenstraße am Hintereingang des Berufungsgerichts von Kutaisi einfährt, wird er von den wartenden Reportern umringt. Der Wagen bremst abrupt, Kameras und Telefone schnellen in die Höhe, eine Journalistin presst ihr Handy an das getönte Seitenfenster und filmt im Laufen, als das Auto wieder Gas gibt.
In dem Video, das sich kurz darauf in den sozialen Netzwerken und auf den Seiten der wenigen verbliebenen unabhängigen Medien verbreitet, ist durch das verdunkelte Glas für einen Moment das Gesicht von Msia Amaglobeli zu erkennen. Sie lächelt, wirft einen Kuss in Richtung Fenster, eine Justizbeamtin versucht, die Sicht auf die Gefangene zu verdecken. Es bleibt der einzige Augenblick in den Verhandlungstagen der vergangenen Woche, in dem die Öffentlichkeit Amaglobeli zu Gesicht bekommt. Drei Tage lang hat das Berufungsgericht im westgeorgischen Kutaisi über eine Ohrfeige verhandelt. Drei Tage, um zu klären, ob die fünfzigjährige Journalistin – eine der profiliertesten Verteidigerinnen der Meinungsfreiheit im Land – im Auftrag eines angeblichen Agentennetzwerks und „Deep State“ die Polizei angegriffen habe, weil sie im Januar in Batumi im Affekt dem dortigen Polizeikapitän ins Gesicht schlug.
Misshandlungen auf der Polizeistation
Der Vorfall ereignete sich bei einer jener Protestaktionen, bei denen immer wieder Menschen abgeführt und von der Polizei geschlagen oder misshandelt wurden. Zuvor war Amaglobeli nach Darstellung ihrer Anwälte wegen des Anbringens eines Plakats unrechtmäßig festgenommen und im Gedränge verletzt worden; auf der Polizeistation habe sie zudem zahlreiche Rechtsverstöße und Misshandlungen anderer Festgenommener beobachtet.
Für eine Handlung, die nach georgischem Recht bislang mit Geldstrafe oder kurzem Arrest geahndet wurde, sitzt Amaglobeli seit Januar in Haft. Sie trat in einen Hungerstreik und lehnte einen Deal mit der Staatsanwaltschaft ab, der ihre Haftstrafe hätte verkürzen können. Ihre Augenkrankheit hat sich in der Haft dramatisch verschlimmert: Auf einem Auge hat sie ihr Sehvermögen verloren, auf dem anderen bleiben ihr zehn Prozent. Eine Operation im Gefängnis ist unmöglich.
Im Oktober wurde Amaglobeli für ihre Standhaftigkeit mit dem Sacharow-Preis für geistige Freiheit des Europäischen Parlaments ausgezeichnet. Da war ihr Fall zum Symbol einer Protestbewegung geworden, die seit einem Jahr täglich gegen den repressiven Kurs der Regierungspartei „Georgischer Traum“ auf die Straße zieht.
„Heute sitzt in Georgien eine Sacharow-Preisträgerin im Gefängnis“, sagt Tamar Rutschadse, die stellvertretende Direktorin von „Batumelebi“, Amaglobelis Heimatredaktion, die am ersten Verhandlungstag unter den Wartenden ist. „Schauen Sie nach, in welchen Ländern es das sonst gibt: Belarus, Russland, Myanmar, China.“
Kurz nach Amaglobelis Ankunft drängt sich vor dem verschlossenen Metalltor am Haupteingang des Berufungsgerichts eine Menschentraube. Kamerateams, Reporterinnen, Onlinejournalisten aus Tbilisi und Batumi, die – wie der Reporter dieser Zeitung, als einziger internationaler Beobachter – vergeblich auf Einlass warten. Durch die Gitterstäbe hindurch erklären die Gerichtsmarschälle, der Saal biete nur Platz für 24 Zuhörer, man könne nicht alle hineinlassen. „Was für ein Zufall“, sagt eine Kollegin trocken. Unter den Journalisten wird ausgehandelt, wer die wenigen Plätze erhält, die neben denen für Familienangehörige, Freunde und Unterstützer Amaglobelis bleiben.
Irakli Watschiberidse, Lokalreporter und ständiger Beobachter des Gerichts, schüttelt den Kopf. Er habe hier Dutzende Verhandlungen verfolgt. Größere Säle gebe genug. Sie würden sonst auch genutzt, wenn die Reihen halb leer blieben. Dass nun sogar der Hof vor dem Gericht abgesperrt ist, sei ein Novum. Neu ist auch, dass Filmen, Fotografieren oder das Aufzeichnen von Ton im Gerichtssaal verboten ist. Im Juli brachte die Regierung im Schnellverfahren eine entsprechende Gesetzesnovelle durchs Parlament. Dabei war sie es 2012 gewesen, die die Übertragung von Gerichtsverfahren erlaubt hatte. Nun aber, nach einem Jahr täglicher Proteste, willkürlicher Festnahmen und dokumentierter Übergriffe, wird der Blick in die Säle verdunkelt. Nur über dem Portal des Gerichts wehen noch immer die georgische und die EU-Flagge nebeneinander, als sei alles in bester Verfassung.
Einer der wenigen Kollegen, die es am ersten Tag in den Saal schaffen, ist Zura Wardiashvili vom Onlinemedium „Publika“. Seine Facebook-Einträge, die er live aus dem Gericht tippt, gehören zu den seltenen Einblicken, die nach außen dringen. Der 38-Jährige hat fast alle Verhandlungen in Amaglobelis Fall verfolgt. Als er nach der Sitzung wieder vor das Gebäude tritt, wirkt er mitgenommen. „Es war sehr befremdlich“, sagt er. „Alle wissen, dass das kein echter Prozess ist – die Richter, die Staatsanwälte, die Verteidigung und die Zuschauer. Und natürlich auch Msia. Das Ganze ist eine Farce.“ Die Richter gäben sich um Milde bemüht, Entscheidungsfreiheit hätten sie ohnehin nicht, glaubt Wardiashvili. „Sie versuchen nur, Sanktionen zu vermeiden.“ Die baltischen Staaten haben bereits mehrere Richter, Staatsanwälte und am Fall beteiligte Polizisten mit Sanktionen belegt.
Dutzende Journalisten müssen draußen bleiben
Am zweiten Verhandlungstag gelingt es auch mir, in den Gerichtssaal zu gelangen. Wieder müssen Dutzende Journalisten draußen bleiben, wieder heißt es, der Saal sei voll. Es ist derselbe Raum wie zuvor, obwohl der Vorsitzende Richter einen größeren versprochen hatte. Die Kollegin Diana Köhler vom Sender Ö1, die an diesem Tag mitangereist ist, erhält nur Zutritt, weil eine junge Frau aus dem Publikum ihren Platz für sie freimacht: Es sei wichtiger, dass noch eine Journalistin im Saal sitze, sagt sie und geht nach draußen.
Der Saal wird von Kronleuchtern an der Decke erhellt, an der Stirnseite steht ein breiter Richtertisch. Auf der Seite zur Anklage hin, gleich neben der Richterin Marina Siradse, die ihren Abschluss in Sibirien erworben hat, steht eine kleine Justitia-Figur so nah am Rand, dass man denkt, sie könne jeden Moment abstürzen. Die Lautsprecher bleiben ausgeschaltet. Die Richter reden so leise, dass sie in den hintereren Reihen kaum zu hören sind.
Von unserem Platz am Rand aus ist zu sehen, wie Amaglobeli im gläsernen Kasten die Augen zusammenkneift, wenn sie ins Publikum schaut, um Angehörige oder Freunde zu erkennen. Dann lächelt sie kurz. An diesem Tag muss sie stehen. Am ersten Verhandlungstag hatte der Richter ihr noch erlaubt, sich neben ihre Anwältin zu setzen. Sie macht sich Notizen auf einem Papierbogen. Will sie mit ihren Verteidigerinnen sprechen, kniet sie sich hin und nutzt einen Spalt in der Scheibe. Zwei Gerichtsmarschälle patrouillieren unablässig durch die Reihen, bleiben an den Bänken stehen und kontrollieren immer wieder die Telefone der Journalisten, um jede Aufnahme zu verhindern.
Eine Zuschauerin zischt: „Schande!“
An diesem Tag dauert die Verhandlung kaum eine Stunde. Die Staatsanwaltschaft trägt ihr Plädoyer vor. Als sie ihre Forderung nach einer Erhöhung der Strafe auf vier bis sieben Jahre erneuert, geht ein Raunen durch den Saal. Einige Zuschauer zischen „Schande“ – und werden umgehend vom Richter zur Ordnung gerufen.
Am dritten Verhandlungstag, an dem das Urteil fällt, bin ich nicht mehr im Land. Am Mittwoch erreiche ich Zura Wardiashvili, das Auge und Ohr der Öffentlichkeit, telefonisch. Wieder derselbe Saal, erzählt er, bis zu 100 Menschen seien aus Tbilisi zur Urteilsverkündung angereist und hätten mit den Journalisten draußen warten müssen. Wieder habe Amaglobeli nicht sitzen dürfen, sondern acht Stunden lang im Glaskasten gestanden. „Sie sah sehr, sehr müde aus“, sagt er, „aber sobald sie merkte, dass jemand sie anschaute, lächelte sie uns an und versuchte, uns Mut zu machen.“
Am Ende erhielt Amaglobeli selbst das Wort. Es sei ihr gleich, ob das Gericht sie freilasse oder im Gefängnis halte, sagt sie sinngemäß. Gefährlicher sei nicht die Haft, sondern die Frage, welches Land sie draußen erwarte: eines, das für Freiheit, Demokratie und eine europäische Zukunft kämpft, oder eines, das von Propaganda und russischem Einfluss geprägt sei, „von Russland besetzt, ganz ohne Panzer“. Die Würde jedes Georgiers liege heute in der Verteidigung der Verfassung. „Ich fordere Sie auf, zu kämpfen, solange es noch nicht zu spät ist. Wir haben die Pflicht, die Verfassung zu verteidigen. Kämpfen Sie bis zum Ende.“
Seit Dienstag steht fest, dass die Frau, die so spricht, mindestens ein weiteres Jahr im Gefängnis verbringen wird. Die Berufungsrichter Nikoloz Margwelaschwili, Nana Dschokhadse und Marina Siradse bestätigten in Kutaisi die Haft von zwei Jahren. Amaglobelis Anwälte bereiten eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor. Zuvor muss der Fall vor Georgiens Verfassungsgericht.
„Der Wahrheit angeklagt“
Vor der Gerichtssitzung am Dienstag hatten sich Kollegen im Halbkreis vor dem Gerichtsgebäude aufgestellt und eine eigens gedruckte Sonderausgabe der von Amaglobeli gegründeten Medien „Batumelebi“ und „Netgazeti“, in die Höhe gehalten. Auf dem Titelseite stehen in großen georgischen Lettern die Worte: „Msia Amaglobeli: Der Wahrheit angeklagt.“
Die Ausgabe versammelt Schlagzeilen aus mehr als zwanzig Jahren. Ein kondensiertes Archiv der politischen Geschichte des Landes, erzählt aus der Perspektive eines Lokalblatts und eines der wichtigsten unabhängigen Medien, das Korruption, Machtmissbrauch und Gewalt immer wieder öffentlich gemacht hat. Wie werden die Schlagzeilen 2026 aussehen? „Nichts ist hier zu Ende, im Gegenteil”, sagt Zura Wardiashvili. „Es fängt gerade erst an“.





















