Hetzjagd auf Juden: Die schwarze Nacht von Amsterdam | ABC-Z
Nach einem Fußballspiel zwischen Ajax Amsterdam und Maccabi Tel Aviv erleben israelische Fans eine regelrechte Hetzjagd. Propalästinensische Jugendliche sollen sie auf Motorrädern verfolgt und misshandelt haben. Die Angst ist groß, dass die Lage weiter eskaliert.
Schwer bewaffnete Polizisten der niederländischen Militärpolizei „Koninklijke Marechaussee“ sichern die Lounge 4 am Amsterdamer Flughafen Schiphol. Hinter dem Absperrband finden sich immer mehr israelische Fußballfans ein, die sich hier endlich in Sicherheit fühlen.
Zwei Maschinen hat die israelische Fluggesellschaft El Al im Auftrag der Regierung von Benjamin Netanjahu nach Amsterdam geschickt, um ihre Landsleute zurück nach Tel Aviv zu bringen. Der 18-jährige Israeli Ibbo, der seinen Nachnamen für sich behält, ist dankbar für die schnelle Hilfe, wie er im Gespräch mit dem Nachrichtensender WELT erklärt.
Die Jagdszenen aus der Nacht kamen für ihn und seine Freunde völlig überraschend. „Wir haben nicht damit gerechnet“, sagt Ibbo. Als die Lage eskalierte, habe er die Polizei um Hilfe gebeten. „Wir haben alle Polizisten draußen und versuchen alles“, habe man ihm gesagt, so Ibbo, der vor der Gewalt auf den Straßen ins Hotel flüchtete. „Freunden von uns wurden die Pässe weggenommen.“
Nach einem Fußballspiel in der Europa League zwischen Ajax Amsterdam und Maccabi Tel Aviv waren am späten Donnerstagabend israelische Fans nach Angaben der Polizei gezielt angegriffen worden. Vor allem propalästinensische Jugendliche auf kleinen Motorrädern hätten sie verfolgt und misshandelt.
Insgesamt wurden 20 bis 30 Menschen verletzt, die meisten leicht. Fünf Personen mussten im Krankenhaus behandelt werden, seien inzwischen aber wieder entlassen worden, teilte Bürgermeisterin Femke Halsema mit, die von einer „tiefschwarzen Nacht“ sprach. „Das ist eine Schande für Amsterdam.“
Ein Fan, Yaakov Masri, berichtete dem israelischen Nachrichtensender Channel 13 News, dass er von etwa 15 jungen, arabisch aussehenden Männern angegriffen worden sei, von denen einige mit Messern und Knüppeln bewaffnet waren, als er mit seinem Sohn das Stadion verließ. „Sie schlugen auf uns ein, brachen mir mein Gesicht, schlugen mir einen Zahn aus und schnitten mir in die Lippe“, sagte er. „Mein Sohn hat zwei Schläge ins Gesicht bekommen.“
Er habe sich in seinem Hotelzimmer eingeschlossen und mit Tischen die Tür blockiert, so Masri. „Wir haben die Polizei angerufen, damit sie einen Streifenwagen schickt, aber sie sagten, sie seien mit anderen Vorfällen beschäftigt. Ich habe Schmerzen.“ Ein anderer Fan, Yarin Chai Yitzhak, berichtete dem Sender, er habe einen Schlag ins Gesicht und einen Tritt in den Bauch bekommen. Die Polizei habe ihn nach dem Vorfall zurück in sein Hotel eskortiert.
Zehn Verdächtige befinden sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft noch in Haft, davon sind zwei minderjährig. Insgesamt waren bei den Ausschreitungen 62 Personen festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft kündigte an, die mutmaßlichen Täter mit aller Härte zu verfolgen.
Der niederländische Ministerpräsident Dick Schoof erklärte, er sei „entsetzt über die antisemitischen Angriffe auf israelische Bürger“ und verurteilte sie als „vollkommen inakzeptabel“. Auch aus Deutschland gab es Reaktionen. So verurteilte Bundeskanzler Olaf Scholz die Vorfälle auf X als unerträglich. „Wer Jüdinnen und Juden angreift, greift uns alle an. Jüdinnen und Juden müssen sich in Europa sicher fühlen können.“
Hohe Sicherheitsvorkehrungen in Amsterdam
Wie es zu den Angriffen kommen konnte und ob es um eine organisierte Aktion ging, soll nun untersucht werden. Die Polizei wies darauf hin, dass es bereits in der Nacht zuvor Zusammenstöße gegeben hatte. Auch Fans von Tel Aviv hätten randaliert und provoziert. So hätten sie palästinensische Flaggen verbrannt und von Häuserwänden gerissen sowie beleidigende Parolen gerufen. Das sei aber in keinerlei Hinsicht eine Entschuldigung für die antisemitischen Attacken, betonte die Bürgermeisterin.
Es ist nicht das erste Mal, dass es in den Niederlanden zu antisemitischen Ausschreitungen kommt. Immer wieder werden vor allem Spiele des Rekordmeisters Ajax, der auf eine lange jüdische Geschichte zurückblickt, von Vorfällen überschattet.
Im Mai 2023 hatte die Polizei mehr als 150 Fußballfans aus Alkmaar festgenommen, nachdem sie in der Metro von Amsterdam antisemitische Lieder gesungen hatten. Doch am Donnerstagabend hat das Ausmaß der Judenfeindlichkeit ein neues Niveau erreicht. Und die Angst ist groß, dass sich die Ausschreitungen wiederholen könnten.
Die gesamte Stadt wurde zum Hochrisikogebiet erklärt, per Notverordnung und mit verstärkten Polizeikräften will man eine Wiederholung in der kommenden Nacht verhindern. Dabei waren die Sicherheitsvorkehrungen bereits hoch gewesen. Am Donnerstag hatten sich in Amsterdam Hunderte Menschen zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht gegen Juden im nationalsozialistischen Deutschland am 9. und 10. November 1938 versammelt.
Im Zweiten Weltkrieg waren rund 102.000 jüdische Niederländer von den Nazis ermordet worden, etwa drei Viertel der jüdischen Bevölkerung. Im Verhältnis wurden damit in den Niederlanden so viele Juden ermordet wie in keinem anderen westeuropäischen Land.
Das Gedenken an den Holocaust nimmt in den Niederlanden einen festen Platz ein, an den Schulen ist es verpflichtender Teil des Unterrichts. Zuletzt hatten jedoch Untersuchungen ergeben, dass das Wissen über die Schrecken der Vergangenheit insbesondere in der jüngeren Generation abnimmt, und der Holocaust häufig relativiert wird. Seit dem Hamas-Überfall auf Israel vor einem Jahr und der folgenden Eskalation in Nahost haben antisemitische Übergriffe in vielen europäischen Ländern stark zugenommen.
Geert Wilders spricht von „Jagd auf Juden“
Israelische Politiker fühlten sich nach der Gewalt von Amsterdam an den Überfall der Hamas sowie an Angriffe auf Juden in den Pogromen vergangener Jahrhunderte erinnert. Die israelische Botschaft in Den Haag sprach von Menschenmengen, die antiisraelische Slogans skandiert und Videos ihrer Gewalttaten im Internet geteilt hätten. Darauf sei zu sehen, wie sie israelische Bürger getreten, geschlagen und überrannt hätten. „Am Vorabend der Kristallnacht – als Juden im nationalsozialistischen Deutschland brutalen Angriffen ausgesetzt waren – ist es erschreckend, antisemitische Gewalt erneut auf den Straßen Europas zu erleben“, erklärte die Botschaft.
Der niederländische Rechtsaußenpolitiker Geert Wilders sprach auf X von einer Jagd auf Juden. „Ein Pogrom in den Straßen von Amsterdam. (…) Muslime mit palästinensischen Flaggen jagen Juden.“ Wilders, Chef der stärksten Partei in der Regierungskoalition (PVV, Partei für die Freiheit), hatte im vergangenen Jahr nicht nur Wahlkampf mit einer harten Sicherheits- und Einwanderungspolitik gemacht, in seinem Wahlprogramm findet sich auch ein Absatz zu Israels Sicherheit.
Der umstrittene Politiker musste zwar auf das Amt des Premiers verzichten, ist in der aktuellen Vier-Parteien-Koalition aber der mächtige Mann im Hintergrund. Seit Jahrzehnten betont der Islamkritiker sein „besonderes Verhältnis“ zum jüdischen Staat. Als Jugendlicher reiste er in den frühen 80er-Jahren nach Israel und half dort in einem Moshav, einer landwirtschaftlichen Gruppensiedlung. In einer „VICE“-Dokumentation berichtet Wilders, wie er dort ein persönliches Gefühl für die Bedrohung der Israelis durch ihre Nachbarn entwickelt habe, als er in den Schutzraum laufen musste.
Wilders vertritt im Nahost-Konflikt radikale Positionen, etwa dass das Westjordanland „befreit“ wurde und nicht besetzt sei. Er gilt in Europa als Vordenker des Schulterschlusses rechter Parteien mit Israel, die im jüdischen Staat vor allem ein „Bollwerk“ gegen den Islam sehen. Eine Haltung, die in der jüdischen Gemeinschaft der Niederlande und unter Israelis aus dem mittleren politischen Spektrum kritisch gesehen wird, zumal Wilders auch immer wieder mit rassistischen Bemerkungen auffällt.
Anders als viele andere rechte Politiker besucht er Israel jedoch seit Jahrzehnten und hat viele Kontakte in dem Land. Seit Jahren steht er unter Polizeischutz aus Angst vor islamistischen Attentaten.
mit Reuters/dpa