Herrenmode im Herbst: Männer, erobert eure Würde zurück! | ABC-Z

Der Herbst kommt, und jetzt gibt es die Chance, noch einmal das Ruder herumzureißen. Der Würdelosigkeit zu entgehen. Wiedergutmachung zu leisten für Jahre und Jahrzehnte der modischen Selbstverhunzung. Männer, nutzt diese Gelegenheit, um aufzuräumen: euer Selbstbild, eure Garderobe, euer Leben.
Denn es war für die meisten von euch, wenn ihr ehrlich seid, eine Orgie der Peinlichkeit geworden. Egal ob mit 40, 50 oder 60: Ihr habt euch gekleidet wie eure Enkel. Sweatshirts, Jeans und Turnschuhe. Immer Turnschuhe, zu jedem Anlass. Mit dieser Verkindlichung der Garderobe wolltet ihr Modernität demonstrieren, Lässigkeit, Coolness. In Wirklichkeit aber war es eine Anbiederung auf unterstem Stilniveau. An was wurde sich angebiedert? An einen Zeitgeist, der Laissez-faire mit Lockerheit verwechselt und Hipness mit ästhetischer Innovation. Was soll das überhaupt sein: Hipness? Die Idee, in Gestaltungsdingen so weit zu verwahrlosen, dass man sich nicht mehr von einem Clochard unterscheidet? Man tut dem Clochard unrecht, ihn in diesen Vergleich hineinzuziehen: Er ist, anders als der Hipster (egal welchen Alters), oft schuldlos an seiner Misere und für sein Erscheinungsbild nicht haftbar zu machen.
Männer, es kann nicht so weitergehen: mit Crocs, dieser Quersumme aus Badelatsche, Autoreifen und orthopädischer Gehhilfe. Und obenrum ein T-Shirt mit Motiv, womöglich ein augenzwinkernder Jugendspruch, wobei das Augenzwinkern modisch gesehen hier eine epileptische Zuckung ist. Dazu Cargohosen – dass das überhaupt geduldet wird in kultivierten Großstädten wie München, Hamburg und Frankfurt ist ein Rätsel, das eine sehr leidensfähige Modesoziologie irgendwann klären muss. Cargohosen mit aufgenähten Taschen, in die dann der Batzen-artige Geldbeutel hineingestopft wird und der Schlüsselbund und alles mögliche Zeug, das früher elegant und sicher in einer Sakkotasche verstaut wurde. Genau, ein Sakko: das zweckmäßigste, schlüssigste Kleidungsstück einer Männergarderobe. Ein bisschen Uniform, ein bisschen zeitgemäße Mode und in jeder Hinsicht praktisch, weil passend für jeden Anlass: Ein Sakko muss einfach sein.
Cargohosen sind keine Charaktereigenschaft
Und die Cargohosen und ausgeleierten Jeans im Skinny-Format, worin ein Mann immer aussieht wie jemand, der eine Windel trägt, die lassen wir weg. Chinos, also Baumwollhosen, oder eine Hose aus leichtem Garn: Ihr werdet sehen, Männer, wie komfortabel es ist, nicht herumzulaufen wie ein Kleinkind. Und wie wäre es einmal mit etwas, das man nicht zum Schlafen oder bei der Gartenarbeit trägt, also einem Hemd? Ein Hemd konturiert den Körper, gibt ihm Façon und kaschiert auch unschöne Halspartien. Alle Männer von 50 an bekommen den berüchtigten Truthahnhals, man muss ihn nicht auch noch mit einem ausgeleierten T-Shirt-Kragen betonen.
Über Sakkos kann man Bücher schreiben, hier muss genügen: nicht zu eng, nicht zu kurz, die Ärmel im Gegenzug nicht zu lang, wie übrigens auch die Hosen nicht zu lang sein sollten. Wenn sich deutsche Männer einen Anzug kaufen, war in neun von zehn Fällen der Verkäufer entweder blind oder sehr unzufrieden mit seiner Arbeit. Die Sakkoschöße enden am Hüftknochen, das Revers ist so schmal wie ein Streifen Geschenkband, und die Hosen bilden aufgrund von Überlänge über den Schuhen ein Häufchen Stoff, als hätte sich da unten ein Kleintier versteckt. Das ging nie und wird auch nie gehen, und in diesem Herbst muss endgültig damit Schluss sein.
Apropos Schuhe: Allen, die jeden Tag und überall Sneaker tragen, empfehle ich folgende Übung. Sie riecht nach schwarzer Pädagogik, und das soll sie auch: einfach die Nase in den Schuh hineinpressen und tief durchatmen. Na, wie war das? Brechreiz? Genau. Abgesehen von der modischen Dumpfheit, die als Folge der Versneakerung Deutschlands um sich greift (nicht nur bei Männern), ist dieser Trend unhygienisch und eklig. Turnschuhe lüften schlecht, und wer seine Turnschuhe wäscht, stopft vermutlich auch Kopfkissen, Autofußmatten und Heizdecken in die Waschmaschine. Menschen ohne Würde und Stilgefühl.
Männer, schnürt euch zusammen!
Männer, versucht es mit einem einfachen Lederschuh, geschnürt oder zum Reinschlüpfen. Ihr seid doch versessen auf Komfort und Mühelosigkeit: Was ist einfacher, als in einen Loafer zu steigen, das geht noch mit 80 und sieht immer gut aus. Es gehört zu den großen Verschwörungslügen, denen Männer seit Jahrzehnten aufsitzen, dass elegante Mode unbequem sei. Vermutlich hat das die Sportmodeindustrie in Umlauf gebracht, um die nächsten zehn Trillionen Turnschuhe loszuschlagen. Sakkos sind praktisch – siehe die Taschen. Tuchhosen sind schmiegsam, kühlen oder wärmen je nach Material besser als Jeans. Hemden lassen sich öffnen oder zuknöpfen, also klimatisch regulieren. Und Loafer hat man schnell von den Füßen geschleudert, wenn es heiß hergeht. Männer, ihr wisst, was ich meine.
Von der Krawatte wollen wir gar nicht erst anfangen. Oder doch: Fangen wir mit der Krawatte an, und dann machen wir weiter mit Manschettenknöpfen, Uhren, Gürteln. Die Krawatte muss nicht aussehen wie ein Plastikstreifen (ein Auswuchs der Sixties-Marotte, nachdem alle „Mad Men“ geschaut hatten und aussehen wollten wie der Werbefachmann Don Draper) oder ein unten zugespitztes Handtuch (die Folge der „Ich glaub’, ich hab’ noch einen Binder von Opa im Schrank“-Faulheit). Sie kann lässig sein, gern aus Strick mit unten gekapptem Ende. Die italienischen Gentlemen tragen sie mit Hingabe, auch weil sie wissen: Eine Krawatte am Hals wirkt wärmend im Winter, und gut gerüstet für anstrengende Tage ist man damit sowieso.
Manschettenknöpfe: zugegeben ein bisschen umständlich, das Reinpfriemeln. Partnerlose brauchen dann Hilfe, was eine nette Gelegenheit sein kann, die Nachbarin oder den Nachbarn näher kennenzulernen: „Charlotte, würden Sie mir bitte kurz helfen?“ „Hallo, Philipp, ich schaff’ das hier nicht allein.“ Manschettenknöpfe gehören neben Uhren, Gürteln und Einstecktüchern zu den wenigen Accessoires, mit denen sich ein Mann schmücken kann. Es gibt sie aus Zwirn, eng gedreht zu kleinen, manchmal mehrfarbenen Knötchen. Eine hübsche Art, bunt und zugleich dezent zu sein.
Herbst der Wiedergutmachung
Bei Gürteln gelten ein paar Farbregeln: bitte passend zu den Schuhen, also nicht Körpermitte braun und unten schwarz oder umgekehrt. Und auf gar keinen Fall so ein Protzermodell mit glänzendem H. Bei aller Liebe zu Hermès: Den Gürtel mit H-Schnalle, im Jargon „Honda“ genannt, trugen in den Zehnerjahren erfolgreiche Junganwälte in Paris, aber auch nur für eine Saison. Heute sieht man ihn nur noch bei aufwärtsmobilen Russen.
Und Uhren, Männer, da habt ihr es auch vergeigt: Mit Smartwatches zum Anzug und Glitzerklunkern von Rolex oder gleich Richard Mille, immer zu groß für eure Handgelenke, die eben nicht so breit sind wie die von Arnold Schwarzenegger oder Dwayne „The Rock“ Johnson. Es stimmt: Am Handgelenk hört das Prekariat auf, und nichts sagt klarer, ich hab’ Geld, als eine Uhr von Patek Philippe. Mit Stil hat das aber wenig zu tun. Lasst also die Angeberklumpen zu Hause im Safe und sucht euch etwas Einfaches aus. Flach, dem Handgelenk angemessen – es muss rechts und links von der Uhr noch ein Zentimeter Haut zu sehen sein – und möglichst ohne tausend Knöpfe und Kronen am Rand. Ihr seid keine Tiefseetaucher.
Im Herbst sind diese so dringend nötigen Stilkorrekturen viel einfacher als im Sommer. Die Materialien sind schwerer, dichter, geraten nicht so schnell aus der Fassung. Deshalb, Männer, nutzt diese Chance, die grassierende Schamlosigkeit in Modedingen zu beenden. Und wenn euch das alles zu schwierig erscheint, weil ihr farbenblind seid oder Konturen nicht erkennen könnt, fragt einfach eine kultivierte Frau, ob sie euch beim Einkauf begleitet. „Frederike“, sagt ihr, „ich bin es leid, auszusehen wie ein Kind auf dem Weg zur Kita. Bitte hilf mir.“ Dann wird vielleicht nicht alles gut – aber ganz sicher sehr vieles besser.





















