Herkulesaufgabe für Zverev gegen Djokovic | ABC-Z
Melbourne. Alexander Zverev steht erneut im Halbfinale der Australian Open. Die nächste Hürde in Melbourne hat allerdings maximale Höhe.
Tennis sei ein „komisches Tier“, hat der große Niki Pilic einmal über den Sport gesagt, den er eigentlich in- und auswendig kannte und dessen verrückte Drehs er lebenslang hasste. Erst als Meisterspieler, später als Meistertrainer, als Mann, dem auch Deutschland seine größten Davis Cup-Erfolge verdankte.
Alexander Zverev hätte mit diesem Satz auch das Spiel beschreiben können, das er am Dienstagmittag in der Rod-Laver-Arena zu Melbourne erstaunlicher Weise gewann. Drei Sätze lang war Zverev eindeutig nur der zweitbeste Spieler im Duell mit dem gefährlichen Amerikaner Tommy Paul, aber dennoch riss der 27-jährige Hamburger nach knapp dreieinhalb Stunden, einem 7:6 (7:1), 7:6 (7:0), 2:6, 6:2-Sieg und dem Vormarsch ins Australian Halbfinale die Arme in die Höhe. „Irgendwie habe ich den ersten Satz gewonnen, irgendwie habe ich auch den zweiten Satz gewonnen“, sagte Zverev über die verblüffende Tennis-Nummer, „und dann kam ich über die Ziellinie. Ich weiß auch nicht, wieso.“
Heißeste Phase der Australian Open beginnt
Schwarz auf weiß war jedenfalls klar: Trotz seiner schwächsten Vorstellung bei den laufenden Australischen Meisterschaften 2025 und dem beängstigenden Rückfall in alte Fehlermuster stand der deutsche Mitfavorit nun zum dritten Mal im Melbourne-Halbfinale, nur noch einer von vier Spielern, die Anwartschaft auf den ersten großen Pokal der Saison erheben durften. Ähnliche Nachlässigkeiten und Schlendrian durfte sich Zverev nun, in der heißesten Turnierphase, aber nicht mehr erlauben – im Halbfinale wartete nun die Herkules-Aufgabe gegen den wiedererstarkten, 37 Jahre alten Rekordgewinner Novak Djokovic, den zehnmaligen Titelhelden des australischen Grand-Slam-Spektakels. „Es wird jetzt richtig hart. Aber dafür stehe ich ja auf dem Platz. Für die Matches, die nun kommen. Die ganz großen Matches“, erklärte Zverev.
Etwas kurios: Zverev und Djokovic bestritten schon zwölf Kopf-zu-Kopf-Duelle, gingen aber seit anderthalb Jahren sozusagen getrennte Wege. Zwei Mal schlug Zverev den ewigen Grand Slam-Spitzenreiter (24 Siege) an entscheidender Stelle, im Finale der ATP-Weltmeisterschaft 2018 und im Halbfinale des Olympiaturniers 2021 in Tokio. Das mit Gold für Zverev endete.
Jetzt muss Zverev ausgerechnet diesen in Melbourne so unwiderstehlichen Djokovic schlagen, um sich die eigene Chance auf ersten Grand Slam-Ruhm zu erhalten und den allergrößten Karrieretraum zu erfüllen. „Ein Grand-Slam-Sieg von Sascha ist längst überfällig. Aber es muss nicht unbedingt hier in Melbourne sein“, sagte Djokovic schmunzelnd, der im Viertelfinale das spektakuläre Generationenduell mit dem Spanier Carlos Alcaraz 4:6, 6:4, 6:3 und 6:4 gewann.
Zverev braucht mehr Initiative und Ideenkraft
Für den ersten Sieg auf Grand Slam-Level gegen den artistischen Veteranen aus Belgrad braucht Zverev am Freitag einen gehörigen Leistungspush, vor allem wieder mehr Initiative und Ideenkraft. Sein Viertelfinal-Gastspiel auf dem sommerheißen Centre Court erinnerte eher an den Zverev, den er nur zu gern hinter sich lassen wollte: Den zu passiven, unentschlossenen, zögerlichen Zverev, den Spieler mit mehr Reaktion als Aktion. Der Weltranglisten-Zweite konnte von Glück reden, dass sein Rivale Paul das mehr als Mögliche in dieser Partie reihenweise entnervt unmöglich machte, allein mit jeweils einem vergebenen Satzball in den Durchgängen eins und zwei. Hätte Zverev nach drei Sätzen geschlagen seine Sachen zusammengepackt, wäre es alles andere als ein Wunder gewesen.
Erst im vierten Akt des kuriosen Vergleichs fand Zverev wieder zu jener neuen Identität, an der er in den letzten Wochen und Monaten hart gearbeitet hatte: Er wirkte endlich zupackender, vorwärtsorientierter und gleichzeitig entspannter auf dem Hauptplatz der Australian Open, der Rod-Laver-Arena. Dort, wo Zverev schließlich wie einst Boris Becker zum dritten Mal die Vorschlussrunde erreichte. Zverev war es allerdings, der dezent auf einen kleinen, nicht unwesentlichen Unterschied zum deutschen Tenniskanzler hinwies: „Boris hat das Ding dann aber zwei Mal gewonnen. Und ich noch nicht.“