Henkel-Chef Knobel über Trump, die Ampel und Preise für Kunden | ABC-Z
Die multiple Problemlage ist nicht neu. Ich bin seit Anfang 2020 Vorstandsvorsitzender von Henkel und wurde von Beginn an mit Krisen konfrontiert. Wir haben den Russland-Ukraine-Krieg, die komplexe Situation im Nahen Osten, und wir wissen noch nicht genau, welche Entscheidungen Donald Trump treffen wird. Aber zugleich haben wir Henkel in den letzten Jahren sehr gut entwickelt. Allen Widrigkeiten zum Trotz haben wir unser Unternehmen deutlich nach vorn gebracht. Wir wollten nachhaltig wachsen, und wir haben im Jahresverlauf zweimal die Umsatz- und Ergebnisprognose nach oben angepasst. Auch wenn es sehr viele Herausforderungen gibt: Unsere Strategie greift, und wir sind grundsätzlich gut aufgestellt.
Zuletzt ist Henkel überall gewachsen, nur in Nordamerika nicht – woran liegt das?
Das hat unterschiedliche Gründe. Eigentlich sehen wir in den USA immer ein positives Wachstum. Im Klebstoffgeschäft war die Marktsituation in Amerika ausnahmsweise leicht negativ. Dennoch haben wir uns im Klebstoffgeschäft stärker als der Markt entwickelt. Im Konsumentengeschäft sind wir hauptsächlich im Geschäft mit Wasch- und Reinigungsmitteln tätig. Gerade in diesem Bereich haben wir aber 2024 unsere Portfolioveränderungen vorangetrieben. Das wirkt sich auch auf den Umsatz aus. Grundsätzlich sind die USA aber für uns ein Wachstumsmarkt.
Der vielleicht größte Unterschied von heute im Vergleich zu acht Jahren zuvor ist: Die Wahl war eindeutig. Wir kennen Donald Trump jetzt besser und können uns vorstellen, welche Schwerpunkte er setzen wird. Aber „America First“ wäre auch unter den Demokraten ein bestimmendes Thema gewesen. Das bedeutet für uns: Wir brauchen ein starkes Europa. Da müssen wir uns endlich bewegen und besser zusammenarbeiten. Gerade in der Wirtschafts- und Energiepolitik, aber auch bei der Verteidigung und Migration.
Und was bedeutet ein Präsident Trump für Henkel?
Henkel als Unternehmen betrifft das erst mal weniger. Wir produzieren in der Regel in den Märkten vor Ort. 90 Prozent der Rohstoffe und Materialien holen wir aus den Märkten, in den USA etwa haben wir über 50 Standorte und 30 Produktionsstätten. Und wir investieren dort auch signifikant weiter. Zölle und Handelskonflikte, die möglicherweise kommen, treffen uns deshalb nicht so stark. Aber natürlich belasten sie das globale Wirtschaftswachstum und über die damit verbundene Verteuerung von Produkten auch die Konsumnachfrage.
Auf Deutschland hingegen blickt die Industrie skeptisch. Was muss eine neue Regierung in Deutschland anders machen als die letzte?
Ich finde es gut, dass nun ein Prozess eingeleitet wurde, um möglichst schnell zu Neuwahlen mit einer stabilen und handlungsfähigen Regierung zu kommen. Wir sind ja fähig, als Standort Innovationen zu generieren. Wir haben hier immer noch tolle Forscher und Ingenieure. Das müssen wir nutzen. Aber wir haben nicht genug Nachwuchs und müssten viel mehr in Bildung investieren.
Droht bis zur Wahl ein Vakuum?
Es ist nicht so, als ob die Regierung in den letzten sechs Monaten etwas Wegweisendes entschieden hätte. Bis zur Wahl haben die Parteien nun die Möglichkeit, sich zu positionieren. Das Allerwichtigste ist: Wir müssen schnell zu einer stabilen Regierung kommen. Wir haben nicht die Zeit, endlose Koalitionsgespräche zu führen.
Was ist für Unternehmen am drängendsten?
Fünf Themenkomplexe. Wir brauchen wettbewerbsfähige Energie. Hier ist eine Unterstützung durch den Staat notwendig. Wir brauchen den Brückenindustriestrompreis, auch wenn ich nicht sagen kann, ob der am Ende für zwei oder drei Jahre benötigt wird.
Brauchen wir einen europäischen Strompreis?
Natürlich ist die Energiepolitik auch ein europäisches Thema. Aber wir müssen als große Volkswirtschaft vorangehen. Wenn wir jetzt anfangen, einen europäischen Strompreis zu entwickeln, dann sind wir bis 2025 nicht fertig. So viel Zeit haben wir nicht.
Jetzt haben wir einen von fünf Punkten. Was sind die anderen?
Wie es um das Bildungssystem bestellt ist, habe ich schon angesprochen. Das dritte Thema ist Infrastruktur, vor allem beim Verkehr. Es gibt hier einen besorgniserregenden Investitionsstau, den wir dringend angehen müssen. Viertens: Digitalisierung. Und zuletzt noch die Verteidigungsfähigkeit. Ich glaube, wir haben großen Nachholbedarf, um unsere Demokratie auch selbst verteidigen zu können.
Das sind jetzt aber alles keine neuen Punkte.
Natürlich sind die Aufgaben längst bekannt, aber es hat sich einfach zu wenig geändert. Nehmen Sie das Thema Energie: Die Chemieindustrie ist nun einmal energieintensiv. Henkel direkt zwar nicht, aber unsere größten Lieferanten. Wenn die nicht mehr wettbewerbsfähig sind, trifft das auch uns. Immer mehr Unternehmen verlagern ihre Investitionen ins Ausland. Wenn sie abwandern, gehen auch Zulieferer mit. Und wenn die Arbeitsplätze weg sind, kommen sie auch nicht zurück.
Welche Signale empfangen Sie aus der Union vom Kanzlerkandidaten Merz?
Die Ampelkoalition mit drei Partnern hat gezeigt, dass sie es nicht kann. Wichtig wäre, dass es möglichst keine Drei-Parteien-Regierung gibt. Man hat gesehen, dass zu viele Kompromisse in so einer Konstellation keine gute Politik ergeben. Ich möchte nun nicht einzelne Parteien oder Personen kommentieren, aber es ist wichtig, dass wir eine Regierung bekommen, die aus der demokratischen Mitte kommt. Und die nicht mit Parteien an den politischen Rändern koalieren müsste. Ich kann es mir schwer vorstellen, eine Regierung zu haben, bei der einzelne Parteien vom Verfassungsschutz beobachtet werden oder die sich nahe an Russland und Putin positionieren. Damit hätte ich als Bürger und als Vorstandschef Schwierigkeiten und hoffe, dass es nicht so eintreten wird.
Laut dem Forschungsinstitut Ifo geht in Deutschland jede fünfte Arbeitsstunde für Bürokratie drauf. Ist das international konkurrenzfähig?
Bürokratie ist ein großes Problem – und zwar überall. Der Inflation Reduction Act in Amerika war sehr einfach konzipiert, trotzdem will Trump jetzt die Bürokratisierung in den USA weiter reduzieren. Deutschland hinkt aber tatsächlich deutlich hinterher. Das spüren Unternehmensgründer ebenso wie Großunternehmen. Da kann es auch helfen, Menschen einzubinden, die nicht aus der Politik kommen.
FDP-Chef Lindner sagt, man müsse von Musk und Milei lernen. Hat er recht?
Diese Aussage würde ich so nicht teilen. Aber es gibt viele Schnittstellen mit der Politik, und manchmal habe ich das Gefühl, dass der Austausch nicht ausreichend ist. Wir brauchen verschiedene Erfahrungen und den Mut, Dinge anders anzugehen. Sie hatten eben nach Friedrich Merz gefragt. Er hat zum Beispiel auch Erfahrungen außerhalb der Politik, in der Wirtschaft, gesammelt. Das ist ja grundsätzlich etwa Gutes.
Die Autoindustrie steckt tief in der Krise, das Geschäftsklima ist auf dem absoluten Tiefpunkt. Die Aufträge aus der Pandemie sind abgearbeitet, neue kommen kaum rein. Gerade im Klebstoffgeschäft kommen aus der Branche aber wichtige Kunden für Henkel. Müssen Sie ihre Prognosen herunterfahren?
Der Standort Deutschland steht mächtig unter Druck, aber international ist die Lage besser. Von rund 11 Milliarden Euro Umsatz in unserem Klebstoffgeschäft sind rund 20 Prozent im Automobilbereich. Davon gehen wiederum 20 Prozent auf Elektrofahrzeuge zurück. Bis Mitte des Jahres hatten wir eine sehr gute Entwicklung. Wir haben den Markt deutlich übertroffen, weil wir mit innovativen Lösungen deutlich mehr Ausschreibungen gewonnen haben. Im dritten Quartal hat sich auch bei uns ein Rückgang gezeigt, der aber nicht so groß war wie im Gesamtmarkt. Zum anderen gibt es nicht nur die deutschen Automobilhersteller, wir arbeiten weltweit mit vielen Anbietern zusammen. Bei uns stellt sich auch nicht die Frage: Herkömmlicher Antrieb oder Elektro? Wir liefern Produkte für beides und sind insgesamt gut aufgestellt.
DAX-Konzerne wie Henkel entkoppeln sich immer mehr von ihren Heimatmärkten. Irgendwo auf der Welt lassen sich immer gute Geschäfte machen. Ist es da nicht zwangsläufig, dass die Produktion den Märkten folgt und der Standort Deutschland an Bedeutung verliert?
Ich sehe die Gefahr für Henkel nicht. Deutschland ist und bleibt unser Heimatmarkt und sehr wichtig für uns. Unsere Mitarbeiterzahl in Deutschland ist seit Jahren auf stabilem Niveau. Und in unserem Klebstoff-Innovationszentrum hier in Düsseldorf versammeln wir rund 650 Forscher und Entwickler aus ganz Europa.
Und diese Forscher für Düsseldorf finden Sie?
Wir können nicht das Wetter aus Spanien oder Italien liefern. Und in der Region bezahlbare Wohnungen zu finden ist auch nicht einfach. Aber wir machen auch sehr viel für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was zusätzliche Leistungen angeht. Ob das attraktive Versicherungen für Vorsorge, Pflege und Berufsunfähigkeit für alle Mitarbeiter sind. Oder ein iPad für jeden Mitarbeiter und Fahrradleasingangebote. Auch die geschlechtsneutrale Elternzeit für alle mit vollem Gehaltsausgleich, die wir als erster Dax-Konzern Anfang 2024 eingeführt haben, zählt dazu.
Zuletzt hat sich in Ihrer Geschäftsentwicklung die Zusammenlegung der Konsumentengeschäfte ausgezahlt. Allerdings auch wegen steigender Preise – müssen Supermarkt- und Drogeriekunden weiter damit rechnen?
Auch wenn die starke Inflation der vergangenen Jahre nachgelassen hat, gibt es ja weiterhin steigende Preise bei vielen Vorprodukten. Insofern werden wir auch im kommenden Jahr in bestimmten Kategorien Preise anpassen müssen. Aber viel wichtiger ist es, die Konsumenten davon zu überzeugen, dass unsere Innovationen für sie einen spürbaren Mehrwert bringen und damit auch einen höheren Preis rechtfertigen. Ein Beispiel ist Perwoll: Hier haben wir eine Rezeptur entwickelt, bei der man nach zehn Wäschen sieht, wie die Farbe zurückkommt. Dafür gibt es auch eine Zahlungs- und Kaufbereitschaft. Preiswachstum ist auch ein Indikator dafür, wie innovationsfähig ein Unternehmen ist.
Wie kommen Sie mit der Zusammenlegung der Geschäftsbereiche voran?
Wir sind schneller vorangekommen als geplant, mit der Zusammenführung der Teams, mit dem Umbau des Portfolios sowie mit den geplanten Synergien. Ursprünglich waren wir in der ersten Phase, in der wir vor allem die Vertriebs- und Marketingteams zusammengelegt haben, von 250 Millionen Euro an Kosteneinsparung ausgegangen. Das haben wir auf 275 Millionen erhöht. Vielleicht kommen wir sogar etwas darüber. Diese Phase werden wir zum Ende 2024 abschließen. In der bereits seit Längerem laufenden zweiten Phase wollen wir noch mal rund 250 Millionen Kosteneinsparung aus der Verbesserung etwa der Produktion und in der Lieferkette erzielen. Das soll bis 2026 realisiert sein.
Sie haben auch Marken eingestellt und verkauft. Sind Sie damit durch?
Wir wollten ungefähr eine Milliarde Umsatz an Portfolioveränderungen umsetzen. Davon haben wir rund 700 Millionen abgearbeitet. Bei den Markeneinstellungen sind wir bis zum Jahresende durch. Beim Verkauf von Geschäften sind wir abhängig von anderen. Aber auch da bin ich zuversichtlich, dass wir das bis Anfang 2025 umgesetzt bekommen.
In Heidenau machen Sie zum Jahresende ein Werk dicht, betroffen sind davon 40 Arbeitsplätze. Intern geplant war das schon lange. Aber kommt da noch was?
Das hat mit dem Zusammenschluss der Konsumgütersparte nichts zu tun. Das ist ein Werk für das Klebstoffgeschäft und wurde bereits im Frühjahr 2023 mit dem Betriebsrat und den Mitarbeitern eingehend besprochen. Zurück zum Konsumgütergeschäft: In unserer ersten Phase des Zusammenschlusses hatten wir bis Ende 2023 weltweit rund 2000 Stellen abgebaut. In der seit 2023 laufenden zweiten Phase waren bis Ende letzten Jahres zusätzlich 800 Stellen betroffen. Die Maßnahmen dieser Phase sollen bis Ende 2025 größtenteils abgeschlossen sein. Aber es bleibt dabei: Im Rahmen der Zusammenlegung unserer Konsumgütergeschäfte wollen wir keine Werke in Deutschland schließen.
Sie hatten nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs mit starken Kostenerhöhungen für Rohstoffe zu kämpfen. Inzwischen hat sich das stabilisiert – geht es irgendwann wieder in die andere Richtung?
In dem Fall bin ich eher Realist als Optimist. Dass sich unsere Kosten signifikant nach unten bewegen, glaube ich nicht.
Mit Love Nature hat Henkel eine Marke eingestellt, die auf Nachhaltigkeit fokussiert war. Zieht das Thema nicht mehr?
Wir haben bei Love Nature auf eine Nische gesetzt, das hat letztlich nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Wir verfolgen jetzt eine andere Strategie. Statt auf „grüne“ Nischenprodukte zu setzen, bringen wir Nachhaltigkeit viel stärker in unsere bekannten Topmarken ein. Wir zeigen, wie nachhaltig zum Beispiel Persil ist. Das hat viel mehr Wirkung, diese Produkte stehen schließlich überall in den Haushalten. Damit erreichen wir viel mehr Menschen und tun letztlich mehr für die Umwelt.
Aber sind die Leute bereit, dafür einen Aufpreis zu zahlen?
Der Kunde ist komplex, aber es ist tatsächlich nicht ganz so verbreitet, dass jemand nur auf Nachhaltigkeit achtet und dafür bereit ist, mehr Geld zu zahlen. Das ist in einem Umfeld mit Inflation und Sorgen um den Arbeitsplatz auch schwierig. Es gibt Bedürfnisse, die vor dem Waschmittel liegen wie Wohnen, Essen oder Kleidung für Kinder. Da sind wir am Ende wieder bei den Innovationen, mit denen wir den Preis für unsere Produkte rechtfertigen müssen. Aber wir wollen auch nachhaltige Produkte auf den Markt bringen. Schon aus Überzeugung und unserer Verantwortung.
Von Pritt bis Persil
Konsumenten kommen ständig mit Henkel in Berührung, selbst wenn sie nicht die Haarpflege- oder Waschmittelprodukte von Schwarzkopf bis Persil kaufen. Stecken Klebstoffe des Dax-Konzerns doch in Smartphones und Autos, sie halten 5-G-Antennen zusammen und sorgen für Leitfähigkeit und Brandschutz in Batterien. In diesem Jahr hat das Unternehmen mehrfach die Prognose erhöht, und der Vorstand rechnet damit, das obere Ende seiner Prognosespanne zu erreichen. Die Henkel-Vorzugsaktie hat 2024 gut 14 Prozent an Wert gewonnen. Seit 148 Jahren gibt es den Traditionskonzern, noch immer ist die Familie größter Anteilseigner. Seit Anfang 2020 führt Carsten Knobel das Unternehmen. Der 55 Jahre alte Vorstandsvorsitzende hat seine gesamte Karriere in dem Düsseldorfer Unternehmen verbracht. Seit er die Führung übernommen hat, hat Knobel zahlreiche unprofitable Geschäfte verkauft oder eingestellt, zwei Sparten des Unternehmens zusammengelegt und – als Folge des Angriffs auf die Ukraine – nach mehr als 30 Jahren den Rückzug aus Russland organisiert. joja.