Bezirke

Gedenkfeier am OEZ in München: „Es war kein Amoklauf – es war rechter Terror“ – München | ABC-Z

Ihre Porträts, geschmückt mit Blumen, stehen an den Stellen, an denen die neun überwiegend jungen Menschen starben an jenem 22. Juli vor neun Jahren. Sie werden mit Namen genannt, immer und immer wieder an diesem Abend: Armela. Can. Selçuk. Sabine. Roberto. Guiliano. Hüseyin. Dijamant. Sevda. Hunderte, vielleicht mehr als tausend Münchnerinnen und Münchner sind zum Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) gekommen an diesem Dienstagabend, um an die Opfer des rassistischen Terroranschlags zu erinnern.

Es ist mehr als ein trauerndes Gedenken, das machen die Eltern, Geschwister und Freunde der Ermordeten klar. „Wir werden nicht ruhen“, sagt Sibel Leyla, Mutter des damals 14 Jahre alten Can, unter Tränen, „solange dieser Fall und ähnliche Fälle nicht vollständig aufgeklärt sind.“ Denn Schweigen ebne den Weg für weitere Tote, Nachlässigkeit koste Menschenleben.

Zu viele Fragen seien weiter offen, kritisieren die Opferfamilien. Zu lange sei die rechtsextreme Motivation des Täters vernachlässigt worden. Viel zu oft sei auch heute noch von einem „Amoklauf“ die Rede, wenn die rassistischen Morde von 2016 gemeint seien: „Es war kein Amoklauf – es war rechter Terror.“ Zu wenig sei ermittelt worden zu den rechten Netzwerken, in die der Täter eingebunden gewesen sei: „Sie lesen, sie chatten, sie hassen in Foren, die es immer noch gibt.“

Immer wieder waren es die Opferfamilien, ihre Anwälte und ihre Unterstützer, die Aufklärung und Gedenken einforderten. Drei Jahre dauerte es, ehe basierend auf Gutachten, die die Stadt München in Auftrag gegeben hatte, die rechtsextreme und rassistische Motivation des Täters offiziell anerkannt wurde. Vergangenes Jahr wurde ein Gedenkraum im Münchner Stadtteil Moosach eingerichtet. Doch die Stelen an den Gräbern der Ermordeten, die die Stadt versprochen hat, lassen weiterhin auf sich warten.

Münchens zweiter Bürgermeister Dominik Krause (Grüne), der kurzfristig als Vertreter des auf der Anfahrt erkrankten Oberbürgermeisters Dieter Reiter eingesprungen ist, hofft, dass es bald so weit sein wird. Gisela Kollmann, Großmutter des mit 19 Jahren ermordeten Guiliano, will das nicht mehr hören: „Ich möchte Taten sehen“, sagt sie, „und ich möchte das noch erleben.“ An den abwesenden Oberbürgermeister gewandt fordert sie: „Ich möchte, dass Sie Ihr Versprechen in die Tat umsetzen.“ Eine Tafel an Guilianos Grab soll davon berichten, welcher mörderischen Ideologie ihr Enkel zum Opfer gefallen ist.

Während diese Stelen also erst noch verwirklicht werden müssen, während im nahen McDonald’s weiterhin Hamburger verkauft werden und im OEZ die Geschäfte geöffnet haben – all das gegen den Wunsch der Angehörigen –, haben am Dienstag die demokratischen Stadtratsfraktionen einen Antrag eingereicht, der schon ins nächste Jahr ausgreift, wenn der mörderische Terroranschlag sich zum zehnten Mal jähren wird.

Auf Plakaten gedenken Angehörige der Opfer des OEZ-Attentats. Sie hätten lieber gesehen, dass an diesem Gedenktag das Einkaufszentrum geschlossen wird. (Foto: Stephan Rumpf)

Eine Gedenktafel soll im Rathaus angebracht werden, gleich neben derjenigen, die an die Opfer des Oktoberfestattentats von 1980 erinnert. In keiner anderen Stadt in Deutschland wurden nach dem Krieg so viele Menschen von Rechtsterroristen ermordet wie in München. „Das sichtbare Erinnern an die Opfer solcher Gewalttaten ist essenziell, um einen Ort des Gedenkens für Angehörige, Freundinnen und Freunde der Opfer zu schaffen, aber auch um das gesellschaftliche Bewusstsein gegen Gewalt, Hass, Rassismus, Antiziganismus und Terror zu stärken“, heißt es in dem interfraktionellen Antrag. Sorgfältig, respektvoll und „in enger Abstimmung mit den Angehörigen und Betroffenen“ soll der Erinnerungsort vorbereitet werden.

Diesen Respekt haben viele Opferfamilien lange Zeit vermisst. Das wird bei der Gedenkfeier an der Hanauer Straße immer wieder deutlich. „Die Behörden haben versagt, in jeder Hinsicht“, so hat es die Familie Kılıç erlebt. „Kein Schutz, keine Erklärungen, keine Menschlichkeit“, lautet ihre bittere Bilanz. Schweigeminuten habe man genügend gehabt, sagen Yasemin und Engin: „Wir brauchen kein Schweigen, sondern Konsequenzen.“

Denn die Morde von München reihen sich ein in eine lange Kette von rassistischen und rechtsextremistischen Anschlägen, in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern. Das wird deutlich, als im zweiten Teil der Gedenkfeier Experten und Vertreter von Initiativen und Opferfamilien aus anderen Städten zu Wort kommen. Utøya, Halle, Hanau, Düsseldorf, Magdeburg … Rassisten mordeten und morden, weil sie – wie es Hüseyin Bayri, ein Überlebender des Münchner Anschlags, erzählt – „in uns keine Menschen, nur Ausländer, die nicht hier hergehören“ sehen.

Doch der Mann, der überlebt hat, verspricht: „Ich bin Zeuge. Und ich werde weiter erzählen, damit niemand sagen kann: Ich habe es nicht gewusst.“ Und Sibel Leyla, deren 14 Jahre alter Sohn Can zusammen mit vier weiteren Jugendlichen getötet wurde, als sie im Schnellrestaurant beisammen saßen, sagt an diesem Dienstag, nur wenige Meter vom Tatort entfernt: „Wir sind keine Gäste in diesem Land. Wir sind Teil der Gesellschaft.“

Back to top button