Kultur

Helene Kröller-Müller: Die Kunst, mein Leben, mein Sinn | ABC-Z

Was für ein Gefühl muss das gewesen sein! Mal eben zum Shoppen nach Paris zu reisen, nicht um Hüte oder Haute Couture, sondern um Kunst zu kaufen. Genauer gesagt: moderne Kunst. In drei Tagen fünfzehn Werke von Vincent van Gogh.

Seine Gemälde waren um 1912 noch vergleichsweise erschwinglich, sie kosteten umgerechnet je 3.500 Euro. Allerdings interessierte sich damals auch kaum jemand für diese Bilder. Und also zeugt es von einiger Chuzpe, sich gleich fünfzehn davon anzuschaffen.

Helene Kröller-Müller (1869–1939) war steinreich und ihrer Zeit weit voraus. Keine versnobte Industriellengattin, die sich nur aus Langweile mit Kunst beschäftigte, sondern eine wahre Enthusiastin. Hier fand sie, was sie dringend suchte: einen tieferen Sinn für ihr Leben. Und ließ nichts unversucht, andere mit ihrer Begeisterung anzustecken. Die Kunst wurde ihre Mission.

Eine große Ausstellung erinnert jetzt an Helene Kröller-Müller, diese Pionierin, nach der in den Niederlanden, in Otterlo bei Arnheim, ein eigenes Museum benannt ist, die aber hierzulande kaum jemand kennt. Wer weiß schon, dass sie die größte Odilon-Redon-Sammlung außerhalb Frankreichs aufgebaut hat und die zweitgrößte Van-Gogh-Sammlung der Welt?

Insgesamt werden nun sechzig Werke von ihrem bemerkenswerten Spürsinn erzählen und ebenso von ihrer Auseinandersetzung mit den Kunstbewegungen und der Philosophie ihrer Zeit. Den Sammelschwerpunkt legte die gebürtige Deutsche auf die Kunst ihrer Zeit – auf Werke von Signac, Seurat, Picasso oder Mondrian. Und gemäß ihrer Mission machte sie die Werke, am Ende insgesamt 11.000, schon zu Lebzeiten der Öffentlichkeit zugänglich, als eine der ersten Sammlerinnen überhaupt. Zunächst in provisorischen Ausstellungsräumen in Den Haag, ab 1938 dann in dem nach ihr benannten Museum in Otterlo ermöglichte sie es vielen Menschen, sich erstmals ein Bild von der modernen Kunst zu machen.

Rasant in jeder Beziehung – Helene Kröller-Müller im Park ihres eigenen Museums, um 1900 © Kröller-Müller Museum Otterlo

In der jetzt gezeigten Ausstellung veranschaulichen vor allem zwei Werke, wie stark Kröller-Müller anfangs zwischen dem Neuen, Progressiven und dem Traditionellen hin- und hergerissen wurde: Eines ihrer ersten Van-Gogh-Bilder, der Korb mit Zitronen und Weinflasche, trifft auf einen geschnitzten Christuskopf aus dem 13. Jahrhundert. “Die beiden Werke formen so etwas wie ein Helene-Selbstporträt”, sagt die Kuratorin Renske Cohen Tervaert vom Kröller-Müller Museum. Die Sammlerin habe bei der Büste von ihrem “Spinoza-Christus” gesprochen – weil sie darin nicht nur den Sohn Gottes sah, sondern auch den Philosophen Baruch de Spinoza (1632–1677), der es ihr besonders angetan hatte und der die Auffassung vertrat, dass Gott in allem stecke, was ist, in der Natur und auch in der Kunst.

Diese liberale Auslegung der Bibel gefiel Helene Kröller-Müller schon deshalb, weil sie bereits als junges Mädchen mit dem christlichen Glauben gehadert hatte. Die Konfirmation lehnte sie ab, selbst nachzudenken sei viel wichtiger, als zu glauben, fand sie. Zuvor hatte eine engagierte Lehrerin sie mit Werken von Goethe, Schiller und Lessing bekannt gemacht. Konfirmiert wurde sie am Ende trotzdem.

Helenes Vater leitete in Düsseldorf die Eisenerz- und Steinkohlefirma Müller & Co. mit Niederlassungen in Städten wie Rotterdam, London und New York. Die Tochter sollte den Fortbestand des Unternehmens sichern, sprich: den richtigen Mann heiraten und Kinder kriegen. Einen gewissen Anton Kröller, Mitarbeiter in der Rotterdamer Filiale, hatte er dafür ausersehen. Helene durfte ihn eine Woche lang begutachten. Und entdeckte zu ihrer Erleichterung, dass Anton ein Freigeist war und von der Kirche ebenso wenig wissen wollte wie sie. Mit neunzehn war sie verheiratet. Eine Vernunftehe, ja – aber eine auf Augenhöhe.

Nach dem Tod des Vaters verlegte Anton den Firmensitz nach Den Haag, dort führte Helene zunächst das Leben einer reichen Unternehmergattin. Bis die Kröllers 1905 den einflussreichen Kunstpädagogen Hendrik Bremmer kennenlernten, Beiname: Kunstpapst. Helene, inzwischen 36 und vierfache Mutter, ließ sich von diesem Papst unterrichten. Tatsächlich verstand er unter Kunst vor allem die Vermittlung einer spirituellen Erfahrung – und er traf damit bei Helene einen Nerv. Durch Bremmer entdeckte sie van Gogh, mit dem sie sich ihr Leben lang besonders verbunden fühlen sollte: Auch er hatte der Kirche den Rücken zugewandt und sich auf Sinnsuche begeben. Auch er fand in der Kunst eine neue Form der Spiritualität. 1908 erwarb sie ihre ersten beiden Van-Gogh-Gemälde: den noch konventionell gemalten Waldrand (1883) und kurz darauf die Vier verwelkten Sonnenblumen (1887).

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