Geopolitik

Heidi Reichinnek: Wo ist Heidis Welt? | ABC-Z

Das Bild ist klar, die Verbindung gut, als Heidi Reichinnek an einer Bushaltestelle in Obhausen auf dem Bildschirm erscheint. Man hätte sie gerne persönlich in ihrem Heimatdorf in Sachsen-Anhalt getroffen. Aber seit die Fraktionsvorsitzende mit ihrer Brandrede gegen Friedrich Merz und dessen Abstimmung mit der AfD zur Migrationspolitik im Bundestag (“Auf die Barrikaden!”) zur neuen Leitfigur der Linken wurde und damit die Partei dem politischen Nahtod entriss, ist ihre Zeit knapp. Zumal so kurz vor dem Parteitag in Chemnitz. Der beginnt an diesem Freitag und trägt den Titel “Die Hoffnung organisieren”.

Vielleicht wäre man mit ihr in Obhausen über die Wiesen spaziert, und Reichinnek, die auch via Zoom in TikTok-Geschwindigkeit redet, hätte einem am Bächlein Weida erzählt, wie sie auf den seltenen Heimatbesuchen Ruhe findet. Oder man wäre an der (dieser Apriltage geschlossenen) Bäckerei Dunkel vorbeigelaufen und an der Bahnhofsruine. Womöglich wäre man jenen Leuten begegnet, die sie als “das Beste am Dorf” bezeichnet, die so vieles auf die Beine stellten, Konzerte im linken Kulturzentrum Rats oder das Sommerfest Bleiche. Reichinnek hätte einen in den etwas verwilderten Park führen können, in dessen Nähe sie als Tochter einer Chemiefacharbeiterin und eines Elektrikers aufwuchs. Dort steht ein Gedenkstein für eine Stute, getötet in einer berüchtigten Schlacht: “Meine absolute Lieblingsecke”, sagt Reichinnek.



Aber mit Dorfrundgängen wird es diesmal nichts. Dreißig Minuten hat die Fraktionsvorsitzende für die Videoschalte aus Berlin ins heimatliche Bushäuschen. Das ist aus rotbraunem Blech, darauf klebt ein halb abgekratzter AfD-Sticker. Da sei man früher rumgehangen, “wenn man cool war”, sagt Heidi Reichinnek. Was nicht auf die jugendliche Heidi Reichinnek zugetroffen habe, die als Kind im Karnevalsverein getanzt und später im Gemeindechor gesungen, die viel Freizeit vor dem Computer verbracht habe.

Zur Linken fand die 37-Jährige nicht im Saalekreis, wo Obhausen liegt, sondern erst 2015 in Osnabrück, wohin sie nach dem Politikstudium in Halle und Marburg gezogen war. Bewegt hätten sie vor allem die Ungerechtigkeiten, sagt Reichinnek, die ihr die Arbeit mit Geflüchteten in der Jugendhilfe vor Augen geführt habe.

Und: “Da war nichts, was mich in meiner Heimat politisiert hätte.” Was nicht heißt, dass Reichinnek nicht mehr an die Linkspartei als Anwältin des Ostens glaubt. Im Gegenteil. Die Linke sei “die einzige Ostpartei”, sagt sie. “Wenn wir wirklich da sind, nicht nur reden, sondern machen – dann können wir den Osten zurückgewinnen.”

Und sie ist nicht allein. Längst glauben führende Ost-Genossen, die 8,8 Prozent bei der Bundestagswahl seien erst der Anfang eines großen Comebacks. Aber: Geht das wirklich noch zusammen? Eine Ostpartei, die allein aus Nordrhein-Westfalen genauso viele Abgeordnete stellt wie aus allen fünf ostdeutschen Bundesländern zusammen? Eine Kümmererpartei für Ostdeutsche, die mit Palästinensertuch und “Alerta, Alerta, Antifascista!”-Rufen in den Bundestag einzieht, deren Zehntausende Neumitglieder sie westdeutscher, großstädtischer und akademischer gemacht haben? Kann es sein, dass die Kluft zwischen Neukölln und dem Saalekreis die Partei entzweit, bevor sie sich finden kann?

Ein Abend Anfang April in Gröbers, ein Ort im Saalekreis, am Flughafen Halle/Leipzig. Im Gasthaus Hirsch bestellen sechs Linke Schnitzel und Spargel, die Frauen Apfelschorle, die Männer Bier. Die Partei hat kein Büro hier, daher trifft man sich im Gasthaus, konsumiert etwas, spart sich dafür die Raummiete. Die meisten anwesenden Genossen sind in einem anderen Staat der SED bei- und nie aus der Linken ausgetreten.

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