Geopolitik

Haushalt: Einfach zeugen! | ZEIT ONLINE | ABC-Z

Angenommen, ich nehme einen Kredit auf und reiche das Geld
als Darlehen an jemanden weiter. Bin ich dann verschuldet? Einerseits ja, ich habe
schließlich einen Kredit aufgenommen. Anderseits nein, denn das Geld ist nicht
weg. Ich kann den Kredit tilgen, wenn ich mein ausgegebenes Darlehen zurückbekomme. Unter dem
Strich steht gewissermaßen eine Null.

Das ist der Kern der Auseinandersetzung im Haushaltsstreit,
der die Koalition an den Rand des Abgrunds geführt hat. Wieder einmal. Zur
Erinnerung: Die Ampel hatte sich darauf verständigt, Geld an die Bahn und die
Autobahngesellschaft zu überweisen, damit die Schienen und die Straßen saniert
werden können. Es ist aber kein Geld da, beziehungsweise nicht genug, und
einfach welches leihen geht nicht, weil es im Grundgesetz seit ein paar Jahren
eine Schuldenbremse gibt, die nur mit zwei Drittel Mehrheit im Bundestag und
Bundesrat wieder herausgestrichen werden kann.

Deshalb schlugen Bundeskanzleramt und Wirtschaftsministerium in
einer der Verhandlungsnächte folgenden Ausweg vor: Statt das Geld als Zuschuss
auszubezahlen, wird es als Darlehen vergeben
. Die Regeln der Schuldenbremse
sehen vor, dass der Bund für die Finanzierung dieser Darlehen ausnahmsweise
doch Kredite aufnehmen darf. Weil der Kredit – wie im Eingangsbeispiel –
einfach wieder getilgt werden kann, wenn die Bahn und die Autobahngesellschaft
ihre Darlehen zurückzahlen.

In der Sprache der Schuldenjuristen: Der Kredit ist dann
kein Kredit, sondern Teil einer sogenannten finanziellen Transaktion. Diese
finanziellen Transaktionen gibt es, seit es die Schuldenbremse gibt. Wolfgang Schäuble (CDU) beispielsweise hat als Finanzminister einmal der Bundesagentur für
Arbeit ein Darlehen in Höhe von 5,4 Milliarden Euro gegeben. Das hat damals
niemanden interessiert.

Dass dasselbe Buchungsmanöver nun eine Regierungskrise
auslöst
, hat einen politischen und einen sachlichen Grund. Der politische
Grund: Finanzminister ist nicht mehr Wolfgang Schäuble, sondern Christian
Lindner
(FDP), und der sieht in einer möglichst strengen Auslegung der Schuldenbremse
ein Alleinstellungsmerkmal für seine Partei, die um einen Wiedereinzug in den Bundestag
bangen muss. Der sachliche Grund: Die Bahn hat bereits sehr viele Schulden, und
die Autobahngesellschaft verfügt bislang nicht über eigene Einnahmen, um ein
Darlehen zurückzuzahlen. Die Nutzung von Autobahnen kostet in Deutschland
nichts.

Die ökonomischen und rechtlichen Probleme sind aber lösbar.
Die Bahn würde auf die Darlehen des Bundes weniger Zinsen zahlen als auf die
Darlehen, die sie am Markt aufnimmt. Die Schuldenlast wiegt also weniger
schwer. Und der Autobahngesellschaft könnte man einen Teil der Einnahmen aus
der Lkw-Maut zuweisen. Ein Rechtsgutachten des Bielefelder Finanzjuristen
Johannes Hellermann hat ergeben: Unter diesen Voraussetzungen sind die Darlehen
verfassungskonform, ganz genau kann man das allerdings nicht sagen, weil die
Regeln teilweise vage gehalten sind und es zu diesem Sachverhalt wenig
Gerichtsurteile gibt.

Es gibt keine gute Alternative

Nun könnte man natürlich einwenden: Wenn die
Verfassungsmäßigkeit nicht mit absoluter Sicherheit feststeht, dann ist
das alles zu heikel. Aber wer das Risiko scheut, hat in der Politik nichts
verloren. Was das Bundesverfassungsgericht zu einem Gesetz sagt, weiß man
erst, wenn das Gericht ein Urteil gesprochen hat. Und wenn
jemand geklagt hat, was auch keine Selbstverständlichkeit ist. Denn wer die
Regierung verklagen will, braucht dazu mindestens ein Viertel aller
Abgeordneten im Bundestag. Damit ist als potenzieller Kläger nur die Union
denkbar, und ob CDU und CSU wenige Monate vor der nächsten Bundestagswahl
wirklich ein Gesetz zur Sanierung von Straßen und Schienen annullieren lassen wollen, muss sich erst zeigen.

Die Frage ist außerdem, was es für Alternativen gibt. Nicht
investieren? Dann zerfallen die Verkehrsnetze weiter. Im Haushalt an anderer
Stelle kürzen, damit die Gelder frei werden? Das geht prinzipiell immer, aber dieser
Haushalt wurde in den Verhandlungen bereits zusammengestrichen. Die Darlehenslösung
ist überhaupt nur auf die Agenda gekommen, weil Scholz, Habeck und Lindner
keine weiteren Einsparmöglichkeiten finden konnten. Das ist auch nicht so
leicht, denn so ein Haushalt umfasst zwar rund eine halbe Billion Euro, aber
die meisten Gelder sind gebunden, zum Beispiel, weil sie für die Rente benötigt
werden. Der Bahn das Geld nicht als Darlehen, sondern als Eigenkapital
überweisen, wie es Lindner vorschlägt? Dann müsste der Konzern – so sehen es
die Regeln vor – auf dieses Eigenkapital eine Rendite erwirtschaften und dazu
zum Beispiel die Preise erhöhen. Auch nicht ideal.

In den kommenden Tagen wollen Scholz, Lindner und Habeck
sich nun auf eine gemeinsame Linie verständigen. Sie sollten sich für die
Darlehen entscheiden und sich dann wichtigeren Dingen zuwenden. Es gibt in der
Politik viele Dinge, über die es sich zu streiten lohnt. Die Frage, wie Kredite
für die Modernisierung der Infrastruktur verbucht werden sollen, gehört nicht
dazu.

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