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Haudenosaunee wollen mit Lacrosse-Nationalteam an den Olympischen Spielen teilnehmen – Sport | ABC-Z

Lacrosse, sagt Rex Lyons, sei eine medizinische Sportart. Jedes Spiel ein zeremonielles Ereignis, tief verwurzelt in der spirituellen Welt der indigenen Stammesnationen an der nordamerikanischen Ostküste. Wer Lacrosse wirklich verstehen will, muss sich auf eine Welt einlassen, in der alles von einem Geist beseelt ist: die Pflanzen, die Tiere, die Steine, die Bäume, das Wasser – vielleicht am Ende sogar die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees, wobei sich die Medizinmänner der Haudenosaunee zu diesem Spezialfall noch nie explizit geäußert haben.

Rex Lyons, der Sohn eines spirituellen Führers seiner Stammesnation, war mal Lacrosse-Profi. Jetzt ist er Trainer, Manager und so etwas wie der Chefvermarkter eines Traumes. Die Haudenosaunee – von europäischen Einwanderern auch die Irokesen genannt – wollen mit ihrem Lacrosse-Nationalteam an den Olympischen Spielen teilnehmen. Die Sportart wird 2028 in Los Angeles erstmals seit 120 Jahren wieder Teil des offiziellen olympischen Programms sein. Lyons findet, es wäre angebracht, sich auf die Wurzeln dieses Spiels zu besinnen und die Urheber mitspielen zu lassen. „Lacrosse ist unser Geschenk an die Welt“, sagt Lyons.

Doch falls es im Umfeld des IOC tatsächlich einen olympischen Geist geben sollte, dann stellt er sich in Bezug auf dieses Anliegen bislang taub und stumm.

Es wird immer mal wieder behauptet, die Haudenosaunee – gesprochen: Haudenoschohnie – hätten Lacrosse erfunden, aber soweit würde Rex Lyons gar nicht gehen. Es ist wohl eher so, dass eine höhere Macht, die er „the Creator“ nennt, seinem Volk die Spielidee vor über tausend Jahren übermittelte. Diese Idee hat sich dann als zeitlos gut erwiesen. Man muss sich Lacrosse wie eine Mischung aus Feldhockey, Hurling und einer kleinen Prise von Harry Potters Quidditch vorstellen. Gespielt wird mit einem Hartgummiball, der mit Netzschlägern durch die Luft gepasst und bestenfalls in das kleine Tor des Gegners geschleudert wird. Das Spiel ist rasant, es ist körperlich, und es ist bestimmt eine Bereicherung für Olympia. Inzwischen wird es in etwa 100 Ländern gespielt, auch in Deutschland. „Es ist die am schnellsten wachsende Sportart der Welt“, sagt Rex Lyons, was sich schwer überprüfen lässt, sich aber zweifellos gut anhört.

Es liegt auf der Hand, dass bei Olympia nicht einfach jeder mitmachen kann. Grundsätzlich teilnahmeberechtigt sind die 206 Nationalen Olympischen Komitees (NOK). Die Haudenosaunee bräuchten eine Ausnahmegenehmigung. Rex Lyons fallen mindestens drei gute Argumente für solch eine Ausnahme ein. Zum einen gibt es deutlich mehr NOKs, als die UN Mitgliedstaaten hat, bei Olympia sind also auch andere Teams mehr oder weniger als Ausnahmen dabei, etwa Palästina oder das internationale Flüchtlingsteam. Zum Zweiten betrachtet sich Haudenosaunee als souveräne Stammesnation, sie stellt ihren Mitgliedern eigenen Pässe aus, besitzt eine eigene Nationalflagge und nicht zuletzt eben auch eine Lacrosse-Nationalmannschaft. Bei der WM in diesem Jahr haben die Haudenosaunee Nationals die Bronzemedaille gewonnen, hinter Kanada und den USA, aber vor Großbritannien und Deutschland. Das ist der dritte – und aus Lyons Sicht vielleicht wichtigste – Grund für eine olympische Extrawurst: die sportliche Qualität. „Wir sind im Moment die Nummer drei der Welt“, sagt Lyons. Ohne die Haudenosaunee würden einige der besten Lacrosse-Spieler bei Olympia fehlen.

Zu ihrem Kampf um Anerkennung gehört auch der Kampf um die Teilnahme an internationalen Sportereignissen

Die Haudenosaunee sind eigentlich eine Konföderation aus sechs Stammesnationen, den Mohawk, Oneida, Cayuga, Seneca, Tuscarora und Onondaga. Ihr Territorium erstreckt sich über die nördlichen Teile des Bundesstaats New York bis jenseits der kanadischen Grenze. Dehoñtjihgwa’és, wie Lacrosse im Original heißt, haben sie hier schon gespielt, bevor die Vereinigten Staaten und Kanada gegründet wurden. Seit sich die ersten europäischen Segelschiffe in diese Weltgegend verirrten, ist die Geschichte der Native Americans ein einziger Kampf um Anerkennung. Und dazu gehört – vielleicht nicht in allererster Linie, aber eben auch nicht in allerletzter – der Kampf um die Teilnahme an internationalen Sportwettbewerben.

Es war bisher ein Weg mit vielen Tiefen und einigen Höhen. Lyons gehörte 1983 zu den Gründungsmitgliedern der Lacrosse-Nationalmannschaft der Haudenosaunee, die von den frühen 1990er-Jahren an erstmals bei internationalen Turnieren antreten durfte, auch bei Weltmeisterschaften. 2010 bei der WM in Großbritannien akzeptierte das Gastgeberland die Pässe der Haudenosaunee nicht als gültige Reisedokumente. Die nordamerikanischen Ureinwohner sind in der Regel Doppelstaatsbürger, nämlich ihrer Stammesnation sowie der USA oder Kanadas. Die britischen Behörden machten eine Einreise mit den US-amerikanischen oder den kanadischen Pässen zur Bedingung für die Teilnahme an der WM. Den Briten ging es um ihre Einreisevorschriften, den Haudenosaunee aber ging es ums Prinzip. Sie beschlossen, bei der WM nicht anzutreten.

Auch als 2022 die World Games in Alabama stattfanden, sollte das Team von Rex Lyons zunächst außen vor bleiben. Die Internationale World Games Association berief sich in ihrer Entscheidung darauf, dass die Haudenosaunee keine international anerkannte souveräne Nation seien. Sie selbst sehen das grundlegend anders – und in diesem Fall erhielten sie ungeahnte Unterstützung. 50 000 Menschen aus aller Welt unterschrieben eine Petition, in der gegen den Ausschluss der Haudenosaunee von den World Games protestiert wurde. Als die Organisatoren der Spiele sich davon umstimmen ließen, war der Spielplan allerdings schon voll. Daraufhin verzichtete das irische Lacrosse-Team kurzfristig auf seine Teilnahme, um einen Platz für die Haudenosaunee freizumachen. „Ohne sie wäre niemand von uns bei den World Games“, teilten die Iren mit.

Auch bei den Frauen, wo es im Lacrosse weniger Körperkontakt und Schutzausrüstung gibt, treten die Haudenosaunee international an – hier bei der U20-WM im vergangenen August gegen Wales. (Foto: Eurasia Sport Images/Getty Images)

Extrem hilfreich für Lyons’ Traum war es natürlich, als Ende 2023 beim „White House Tribal Nation Summit“ jemand sagte: „Ihre Vorfahren haben das Spiel erfunden, und sie haben es im Lauf eines Jahrtausends perfektioniert. Ihre Umstände sind einzigartig, man sollte ihnen eine Ausnahmegenehmigung erteilen, um sie an den Olympischen Spielen teilnehmen zu lassen.“ Dieser Jemand war zufällig Joe Biden, der US-Präsident.

Einer der engsten Berater Bidens ergänzte, wenn diese Kampagne erfolgreich sei, dann würde nicht einfach nur die Flagge der Haudenosaunee bei Olympia wehen, es wäre die Flagge der indigenen Völker aus aller Welt. Das Weiße Haus sei sehr zuversichtlich, dass es das IOC von dieser Sichtweise überzeugen könne. Diese Zuversicht stellte sich aber als unbegründet heraus.

In Frühsommer dieses Jahres hat sich Biden dann sogar persönlich mit Rex Lyons getroffen. „Auf Wunsch des Präsidenten“, wie Lyons betont. Biden reiste dafür nach Syracuse, in die Stadt, die dem Reservat der Haudenosaunee am nächsten liegt. „Es war ein sehr großer Moment für uns, dass wir so viel Unterstützung aus dem Weißen Haus haben“, sagt Lyons am Telefon. Er wusste aber auch von Anfang an: Wenn sein Anliegen eine halbwegs realistische Chance haben soll, dann müsste das alles über die Bühne gehen, bevor Joe Biden am 20. Januar aus dem Amt scheidet. Denn: „Das Mindset Donald Trumps widerspricht allem, was wir uns erträumen“, sagt Lyons.

Gleichzeitig widerspricht die Arbeitsweise eines IOC-Präsidenten offenbar auch dem Terminkalender eines Nachfahren der amerikanischen Ureinwohner. Rex Lyons, der Mann, der von Joe Biden besucht wurde, sagt: „Wir hatten leider noch nicht die Möglichkeit, uns mit Thomas Bach hinzusetzen und darüber zu sprechen.“

Das IOC argumentiert, die Spieler der Haudenosaunee könnten doch für die USA oder Kanada antreten

Das IOC teilt dazu auf Anfrage mit: „Laut der Olympischen Charta können nur Nationale Olympische Komitees, die vom IOC anerkannt sind, Mannschaften zu Olympischen Spielen schicken. Das bedeutet, es liegt an den beiden betroffenen NOKs (USA und Kanada) – in Abstimmung mit dem Lacrosse Weltverband und den nationalen Verbänden – zu entscheiden, ob sie Spieler der Haudenosaunee in ihren jeweiligen Teams aufnehmen wollen, abhängig davon, welche Pässe diese Spieler haben.“

Aber es geht den Haudenosaunee ja gerade nicht darum, in den Trikots der USA oder Kanadas mitzuspielen, sondern unter ihrer eigenen Flagge, mit ihrem eigenen Team, als Nation. Es geht ihnen um Anerkennung.

Die Haudenosaunee geben eigene Pässe aus und haben eine eigene Flagge – sie zeigt einen Friedensbaum. (Foto: Valerio Rosati/Zoonar/Imago)

Rex Lyons räumt ein, dass man es hier mit einer „political hot potato“ zu tun habe, was man natürlich sehr gerne als heiße politische Kartoffel übersetzen würde, aber wahrscheinlich wäre das unzulässig. Es sei ihm klar, sagt Lyons, dass eine Ausnahme für die Haudenosaunee vermutlich zur Folge hätte, dass sich früher oder später auch andere indigene Gemeinschaften aus anderen Staaten für die Teilnahme an Olympischen Spielen interessieren würden. Und da stelle sich dann schon die Frage: Wo fängt man an, wo hört man auf? Andererseits: Ist die olympische Sportwelt nicht ohnehin voller Widersprüche? Und käme es dann wirklich auf einen Widerspruch mehr oder weniger an, wenn das IOC den Traum der Haudenosaunee Nationals für Los Angeles 2028 einfach mal erfüllen würde – und trotzdem andere Träume unerfüllt ließe?

Falls jetzt noch irgendwer zweifelt, hätte Rex Lyon noch ein weiteres Argument parat: Die Nationalflagge der Haudenausonee, die er so gerne bei Olympia wehen sehen würde, zeigt einen weißen Baum auf violettem Hintergrund. „Unser Symbol ist der Friedensbaum“, sagt Lyons, damit alle wissen: „Wenn wir kommen, dann kommen wir in Frieden.“

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