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Hat die Kika-Serie „Auf Fritzis Spuren“ den Emmy verdient? | ABC-Z

Während hierzulande gerade eine weitere Folge des verlässlich Quote bringenden Mehrteilers „Wie umgehen mit der AfD?“ gedreht wird, gewinnt in Amerika eine Serie über die Frage: „Wie war das so in der DDR?“ einen Emmy. Zum ersten Mal geht der wichtigste Fernsehpreis der Welt für Produktionen außerhalb der USA an eine deutsche Jugend­serie (F.A.Z. vom 25. November). Und dann noch an eine von der Mitteldeutschen Medienförderung produzierte und von zwei Ostdeutschen inszenierte Serie über das Leben und Leiden in der Deutschen Demokratischen Republik. Das ist ein oststolzes Ereignis. Und auch eine kleine erinnerungspolitische Wegmarke.

Die DDR als Ort der Unfreiheit

Basierend auf dem 2009 erschienenen Kinderbuch der in Augsburg geborenen Autorin Hanna Schott, erzählt „Auf Fritzis Spuren“ in sechs Folgen anschaulich abschreckend von einem untergegangenen deutschen Land und seinen bedrückenden Lebensumständen. Schon der Intro-Trailer macht deutlich, in welcher historischen, aber auch moralpolitischen Äquidistanz man sich zum verhandelten Gegenstand befindet: „Vor gar nicht allzu langer Zeit/ da gab es mal ein Land/ mit einer großen Mauer/ die ging einmal um den Rand / Niemand sollte raus / keiner wollte rein“. Und weiter fragt eine singende junge Frauenstimme: „Wer träumte von Freiheit und wer brach das Schweigen/ wer wagte zu fliehen und wer wollte bleiben?“ Damit sind der Ton gesetzt und die Erinnerungslinie vorgegeben. Es geht um die DDR als Ort der Unfreiheit und der moralischen Verfehlungen, als Ort, in dem niemand sein wollte („keiner wollte rein“) und feiges Duckmäusertum vorherrschte. Später im Eingangssong wird noch gefragt: „Wer war die Stasi/ und war sie gemein?“, wobei vor allem die offen wirkende Halbsatz­frage „und war sie gemein?“ überrascht. Kann man sich ernsthaft eine DDR-Serie vorstellen (wollen), in der die Stasi nicht als „gemein“ dargestellt wird? Wohl eher nicht. Eine DDR-Serie, die sich der Dialektik zwischen staatlicher Ideologie­vorgabe und individuell geprägten Erfahrungswelten aussetzt, wohl schon eher.

Angela Merkel, die ehemalige Bundeskanzlerin, hat in ihrer inzwischen berühmten Hallenser Rede 2021 darauf hingewiesen, dass es unter der SED-Diktatur durchaus auch ein wertzuschätzendes Leben mit Erfahrungen von Gemeinschaftssinn und Bürgerengagement gab: „Wir sollten die Erfahrungen der Menschen im Osten nicht einfach als negativ abtun, sondern anerkennen, was sie in dieser Zeit geleistet und erlebt haben.“ Die Biographien von Menschen in der DDR nicht nur als „Ballast“, sondern auch als belebenden Teil des kollektiven Gedächtnisses darzustellen – darum geht es in dieser für Kinder und Jugendliche ausgelegten Serie eher nicht.

Unterdrückung und Widerstand

Im Gegenteil zeichnet sie jene klassische Erinnerungslinie nach, die deutsche Filmproduktionen wie „Bornholmer Straße“ oder „Das Leben der Anderen“ vorgegeben haben. Interessant ist beispielsweise, mit welcher Entschiedenheit die Geschichte der DDR erneut als mitreißende Erzählung von Unterdrückung und Widerstand inszeniert wird. Eine Zeitzeugin der Leipziger Montagsdemonstrationen etwa zieht aus der DDR-Geschichte die vor allem für heute geltende Lehre, dass „man ein System zusammen stürzen kann“. Sie suggeriert damit erstens, dass die Fried­liche Revolution eine Massenbewegung gewesen sei und nicht das Werk einiger mutiger Weniger – der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk hat ausgerechnet, dass im Herbst 1989 nur zwei Prozent der DDR-Bevölkerung direkt an Demonstrationen be­teiligt waren. Zweitens suggeriert die Zeitzeugin, dass die Triebkraft des zivilen Ungehorsams und nicht wirtschaftliche und weltpolitische Dynamiken ausschlaggebend für den Untergang der DDR waren.

Die beiden Moderatoren mit ihren AvatarenMDR

Solche Nuancierungen würden wahrscheinlich jenem „Gänsehaut-Moment“ zuwiderlaufen, den die junge Moderatorin als Höreindruck beschreibt und dabei, von den Erzählungen der Zeitzeugin ergriffen, zu weinen beginnt. Ihre Tränen rühren daher, dass sie mit Blick auf die AfD eine Rückkehr ähnlicher diktatorischer Zustände wie zu DDR-Zeiten befürchtet. Anne, so heißt die Moderatorin, ist neunzehn und im Ostteil Berlins geboren, ihr gleichaltriger Ko-Moderator Julian stammt aus Stuttgart. Zusammen begeben sie sich in ei­nem Trabi auf eine Zeitreise in die DDR-Vergangenheit und erfahren, dass man damals mitunter zehn Jahre auf ein Auto warten musste, Punks, Umweltschützer und Breakdancer innerhalb der DDR-Gesellschaft als Aussätzige galten und der typische Stasimitarbeiter ein bös dreinblickender Mann in grauem Mantel war.

Als animierte Avatare tauchen die beiden Moderatoren in die Handlung mit ein und rechtfertigen so die Genrebezeichnung „Animedoku“. Nur an einer Stelle wird kurz über das utopische Potential des Sozialismus gesprochen. Da berichtet Moderator Julian von der Grundidee, die eine gerechte Gesellschaft ohne arme und reiche Menschen zum Ziel hatte. Allein: „Das hat leider nicht funktioniert und brachte Nachteile. Denn die Leute hatten nicht die Freiheit, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.“ Damit werden die Akten geschlossen, der Trabi fährt weiter – auf ziemlich schmaler Spur. Erinnerung, das ist hier ein jugendgerecht animiertes Erlebnis, kein widersprüchliches Abenteuer im Halbdunkel. Und doch sollte man sich die sechsteilige Kurzserie unbedingt anschauen, bezeugt ihre internationale Auszeichnung doch nicht zuletzt, dass die Welt inzwischen nicht mehr nur die deutsche, sondern auch die deutsch-deutsche Geschichte fasziniert.

„Auf Fritzis Spuren – Wie war das so in der DDR?“ findet sich in der ARD-Mediathek.

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