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Hat Deutschland bei Magdeburg versagt? Terror-Experte hat klare Antwort | ABC-Z

Der renommierte Terrorexperte Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project sagt ganz klar: Doch! Im Interview mit FOCUS online erklärt er, warum in seinen Augen die Behörden aber an ganz anderer Stelle versagt haben.

Herr Schindler, Sie sagen, dass ein Anschlag wie am Freitagabend in Magdeburg eigentlich gar nicht mehr möglich hätte sein dürfen. Wie konnte es Ihrer Meinung trotzdem geschehen?

Hans-Jakob Schindler: Ich denke, das Problem lag ganz klar bei der Sicherheitsstruktur des Marktes. Mein erster Gedanke war: Wie kann in Deutschland im Jahr 2024 noch ein Auto auf einen Weihnachtsmarkt gelangen? Seit 2016 ist dieses Anschlagsszenario bestens bekannt, und Sicherheitskonzepte wurden entsprechend angepasst. Überall stehen Poller, die solche Attacken verhindern sollen – auch in Magdeburg.

Es muss also eine fatale Lücke gegeben haben. Das darf schlicht und ergreifend einfach nicht mehr passieren. Insofern gehe ich klar von einem zumindest teilweise lückenhaften Sicherheitskonzept des Marktes aus.

Dennoch sprechen Sie von einer schnellen und effektiven Reaktion der Sicherheitsbehörden .

Schindler: Ja, die Reaktion war trotz aller Tragik vorbildlich. Auf deutschen Weihnachtsmärkten sind Überwachungskameras und uniformierte sowie zivile Polizisten im Einsatz. Diese Präsenz hat sicherlich dazu beigetragen, die Situation schnell unter Kontrolle zu bringen. Allerdings: Wenn die physische Absicherung, also die Poller, lückenlos gewesen wäre, hätte es diesen Anschlag vermutlich gar nicht gegeben.

Terror in Magdeburg: „Hier stehen die Behörden als Staat auf verlorenem Posten“

Zum Täter selbst : Er hat seine Pläne mehr oder weniger direkt im Netz angekündigt. Könnte man sagen, die Behörden hätten diesen Hinweisen besser nachgehen müssen?

Schindler: Nein, nicht wirklich. Sie müssen sich das Internet mal ansehen – es ist voll von enthemmten Äußerungen und Gewaltfantasien, die absolut alltäglich sind. Es ist schlichtweg unmöglich, alle Personen zu überwachen, die solche Dinge schreiben. Im Nachhinein zu sagen, man hätte es erkennen müssen, ist immer leicht. Aber im Netz passiert das leider so häufig, dass die Behörden allein damit überfordert wären.

Dazu kommt, dass die Plattformen nichts dagegen unternehmen – im Gegenteil, ihre Algorithmen fördern Radikalisierung sogar noch. Wenn es um Einzeltäter geht, stehen die Behörden als Staat derzeit auf verlorenem Posten.

Und viele Menschen im Land gewinnen nach Solingen und jetzt Magdeburg das Gefühl: Dieser Staat, diese Behörden können einfach nichts mehr . Ist das begründet?

Schindler: Es ist immer dieselbe Leier: Sobald etwas passiert, gibt es die Diskussion, warum die Behörden es nicht vorher erkennen konnten. Aber dann frage ich: Wo ist die Vorratsdatenspeicherung? Wo ist die Sicherung von IP-Adressen? Wo sind die Verpflichtungen für Online-Plattformen, proaktiv mitzuwirken?

All diese Maßnahmen werden stets mit dem Argument des Datenschutzes und der individuellen Meinungsfreiheit abgelehnt. Doch sobald etwas schiefläuft, kippt das Argument sofort. Dann heißt es plötzlich: Warum konnten die Behörden nichts tun? Die Antwort ist einfach: Sie können nichts tun, weil sie es nicht dürfen.

Täter Taleb A.: „Alles an diesem Profil ist außergewöhnlich“

Ex-Muslim, AfD-Sympathisant, Arzt, unauffällig in Deutschland leben: War das Profil des Täters möglicherweise so ungewöhnlich und bizarr, dass er als Gefahr unterschätzt wurde?

Schindler: Das kann durchaus sein. Alles an diesem Profil ist außergewöhnlich – ungewöhnlicher geht es kaum: 50 Jahre alt, Arzt, seit 18 Jahren in Deutschland, mit Job, und bisher gar nicht auffällig. Es gibt hier keinen einzigen Parameter, der auch nur ansatzweise ein typisches Gefährderprofil begründen hätte können, abgesehen von seinen Äußerungen im Netz.

Aber gerade da ist er leider nicht allein. Wahnvorstellungen und das Gefühl, verfolgt zu werden, sind weit verbreitet. Die Gruppe der sogenannten Delegitimierer ist groß, aber nur sehr wenige davon sind tatsächlich gefährlich.

Hinweise aus Saudi-Arabien: „Zwei Dinge müssen jetzt geklärt werden“

Es gibt Berichte, wonach die saudischen Behörden vor dem Täter gewarnt haben sollen. Geschehen ist nichts. Wurde hier geschlampt?

Schindler: Grundsätzlich werden Warnhinweise immer extrem ernst genommen. Aber im vorliegenden Fall sind zwei Dinge wichtig, die noch geklärt werden müssen: Wann wurde gewarnt und wovor?

So wie es aussieht, war der Täter ein sehr scharfer Kritiker des Islam und Saudi-Arabiens. Nach saudischem Verständnis hat er damit Verbrechen begangen, auch weil er sich für die Ausreise von Saudis eingesetzt hat. Wenn die saudischen Behörden vor ein paar Jahren gewarnt haben, dass er aus ihrer Sicht Verbrechen begangen hat, ist das eine völlig andere Art von Warnung, als wenn sie vor ein paar Tagen gesagt hätten, er plane einen Anschlag. Es muss also genau geklärt werden, wann und wovor gewarnt wurde.

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