“Harlequin” von Lady Gaga: Jazz mal im Ernst | ABC-Z
Ihr Verlobter ist schuld. “Schatz, ich liebe dich”, soll der Techunternehmer Michael Polansky zu Lady Gaga gesagt haben, “aber du musst wieder Popmusik machen.” So erzählte es die Künstlerin kürzlich der US-amerikanischen Vogue – um offenbar zu veranschaulichen, dass man ihr auch als Verlobter gar nichts zu sagen hat. Vier Jahre nach dem elektropoplastigen Chromaticaenthält das neue Album von Lady Gaga nun nämlich hauptsächlich Interpretationen von Jazzstandards und Big-Band-Klassikern. Falls es überhaupt ein richtiges Album ist.
Nur zwei Songs auf Harlequin hat Lady Gaga selbst geschrieben. Die Coverversionen reichen von Spirituals wie Oh, When The Saints bis zu Musicalnummern aus dem klassischen Hollywoodkino und Frank Sinatras That’s Life. Um keine falschen Erwartungen zu schüren, ließ die Musikerin bei der kurzfristigen Ankündigung von Harlequin bereits durchblicken, dass es sich um ein Begleitprojekt zu ihrem neuen Film Joker: Folie à Deuxhandle. Neben Joaquin Phoenix, der wie im ersten Joker von Todd Phillips aus dem Jahr 2019 die Rolle des Arthur Fleck spielt, stellt Lady Gaga dessen ähnlich wahnhaftes Fangirl Harley Quinn dar. Harlequin verweist mit seinem Namen darauf und soll denn auch nur das sechseinhalbte Album von Lady Gaga sein. Nummer sieben ist bereits angekündigt für Februar 2025.
Nun aber erst mal zum Jazz, mit dem Harlequin-Opener Good Morning, den schon Judy Garland vor 85 Jahren gesungen hatte, bevor er 1952 noch einmal im Musical Singin’ in the Rain auftauchte. Lady Gaga kann es mit diesen klassischen Interpretationen des Stücks aufnehmen. Ihre Stimme klingt darin hell und zeitlos und behauptet sich mühelos gegen die Big Band. Ihr Text weicht nur in wenigen Zeilen vom Original ab: Aus dem “milkman” wird der “warden”, also ein Aufseher. Die in den Lyrics aufspielende Band wird zu “inmates”, den Inhaftierten, die in Joker: Folie à Deux eine entscheidende Rolle spielen. Leichtes Unbehagen stiftet sie damit und überführt es gleich in ihren Gesang, dessen gute Laune beunruhigend überdreht klingt, als singe Lady Gaga auf der sinkenden Titanic.
Weniger gelungen ist ihre Version von Oh, When The Saints, das Lady Gaga mit Schlagzeug, Hammondorgel und Rockgitarren zum langhaarigen Spektakel macht. Es mündet in einem unerträglichen Gitarrensolo, das der einstigen christlichen Hymne Schwarzer Sklaven die Seele austreibt. Ähnlich schwach ist That’s Entertainment, ein Song aus dem Filmmusical The Band Bagon (1953), der zur Mitte von Harlequin erklingt. Man ahnt da bereits, dass die Songs nicht entlang musikalischer Kriterien ausgewählt wurden, sondern um bestimmte Funktionen im Film zu erfüllen. Auf Platte verleiht ihnen das stellenweise Karaokecharakter – wobei Lady Gaga natürlich jede Bar zwischen Phuket und Palma de Mallorca in Grund und Boden singen könnte.
Gute Coverversionen atmen den Geist des Originals und verleihen dem Ausgangsmaterial zugleich eine eigene Note. Auf Harlequin klappt das zu selten; spätestens mit dem gehauchten Charlie-Chaplin-Standard Smile stellt sich Ermüdung ein. Man hat sich dann sattgehört an Lady Gagas Mezzosopran, der hier ohnehin nicht so zur Entfaltung kommt wie auf ihren gemeinsamen Jazzalben mit Tony Bennett. Man sehnt sich schnell nach weniger ausladenden Arrangements, nach weniger Big Bands und findet erst mit dem zerbrechlichen Happy Mistake wieder einen Song, der ohne Filmkontext bestehen kann. Im Gegensatz zu Folie à Deux, der zweiten Eigenkomposition des Albums: Mit Streichern, Klarinette und leiser Bedrohlichkeit klingt dieses Stück so überbordend wie der gecoverte Rest von Harlequin.
Dass sich Lady Gaga manchmal fühlt wie ihre manisch-depressive Figur Harley Quinn, hat sie ebenfalls im Gespräch mit der US-Ausgabe der Vogue erzählt. Schon zur Zeit von Chromatica soll sie an Depressionen gelitten haben. In Happy Mistake singt sie nun: “I can try to hide behind the make-up, but the show must go on.” Nur eine akustische Gitarre begleitet Lady Gaga dabei, sie klingt einsam, doch ohne Angst. Nicht mehr Tony Bennett kommt einem nun als musikalischer Gast in den Sinn, sondern Bradley Cooper, der in A Star is Bornschon 2018 Lady Gagas Filmpartner gab. Die Musik war damals besser. Ob das auch für den Film gilt, finden wir nächste Woche heraus.
“Harlequin” von Lady Gaga ist bei Island/Universal erschienen.
Ihr Verlobter ist schuld. “Schatz, ich liebe dich”, soll der Techunternehmer Michael Polansky zu Lady Gaga gesagt haben, “aber du musst wieder Popmusik machen.” So erzählte es die Künstlerin kürzlich der US-amerikanischen Vogue – um offenbar zu veranschaulichen, dass man ihr auch als Verlobter gar nichts zu sagen hat. Vier Jahre nach dem elektropoplastigen Chromaticaenthält das neue Album von Lady Gaga nun nämlich hauptsächlich Interpretationen von Jazzstandards und Big-Band-Klassikern. Falls es überhaupt ein richtiges Album ist.