Wirtschaft

Hans Haackes provokative Kunstwerke in Frankfurter Schirn | ABC-Z

Was hat der seit den ausgehenden Fünfzigerjahren immer politisch agierende Konzeptkünstler Hans Haacke eigentlich nicht vorweggenommen? Mit seinen Untersuchungen von Kreisläufen und Parallelisierungen von sozialen Systemen und Ordnungen in Ameisenstaaten und menschlichen Gesellschaften inspirierte er bis heute zahllose Künstler. Diese quasi soziologischen Forschungen, die aber immer so sinnlich wie anschaulich aufbereitet sind, schafften es früh ins Museum.

Im Jahr 1971 deckte er in seiner Serie „Shapolsky und Co.“ die systematische Vernichtung von bezahlbarem Wohnraum in New York durch verdeckten Ankauf und Abriss von Altbauten durch den Immobilienmakler Harry Shapolsky und siebzig Familienangehörige und Freunde als Strohmänner auf. In kurzer Zeit gehörte dem Imperium aus verschwippten Hausaufkäufern ein beträchtlicher Teil Manhattans, alle klandestin erworbenen Gebäude hat Haacke lakonisch im Stil der mit ihm befreundeten Bechers fotografiert.

Verhinderte der Immobilienhai die Ausstellung?

Im Grunde scheinen derartige unsichtbare, nur durch Recherche und akri­bische Dokumentation sichtbar gemachte Immobilienhändel als Kunst nicht darstellbar. Haacke gelang dennoch schon hier 1971 das Kunststück, über die Namenskolonnen zu beiden Seiten großer Tafeln und die zwischen ihnen gezogenen Verbindungslinien der Häuserkäufe zwischen beiden Lagern links und rechts dem Verwirrspiel die Anmutung eines nicht enden wollenden Flipperspiels des Spätkapitalismus zu verleihen. Jahre später hat ihm diese Arbeit viel Ansehen eingetragen, ursprünglich brachte sie ihm aber kein Glück. Wohl auf Druck des inkriminierten Immobilienhais hin sagte der damalige Direktor des Guggenheim, Thomas Messer, die schon fertige Ausstellung Haackes im Museum sechs Wochen vor der Eröffnung ab.

Früher Umweltaktivist: Hans Haackes „Denkmal der Stranverschmutzung“ von 1970VG Bildkunst, Bonn 2024

Ähnlich wenig Freude bereitete seine Arbeit „Der Pralinenmeister“ von 1981 dem Kölner Schokoladen-Mogul und Kunst-Großsammler Peter Ludwig. Erneut recherchierte Haacke monatelang den Nicht-Schokoseiten des Fabrikanten hinterher, fand tyrannische Behandlungen von Mitarbeitern, dubiose Kunst-An- und -Verkäufe (wie etwa jene der mittelalterlichen Handschriften an das Getty Center) sowie skrupelloses Geschäftsgebaren. Die künstlerische Verpackung dieser unappetitlichen Kehrseiten des Kunstmäzens hingegen ist ästhetisch: Die ernüchternde Kriminalgeschichte des Unternehmers wird wie Märchen in Kinderbüchern in edlen Rahmen präsentiert, wobei die wenig schmeichelhaften Texte sorgfältig arrangiert sind und am unteren Ende von realen aufgeklappten Pralinenschachteln und Schokoverpackungen wie Vi­gnet­ten in kostbaren Renaissancefolianten ab­ge­schlos­sen werden.

Und lange bevor die Unappetitlichkeiten der vielen aus ehemals jüdischem Besitz erworbenen Restitutionsbilder des deutschschweizerischen Waffenhändlers Bührle im Kunsthaus Zürich vom Direktor des Deutschen Historischen Museums, Raphael Gross, erforscht und dokumentiert wurden, hatte Haacke schon 1985 in seiner Arbeit „Buhrlesque“ die schmutzige Geschichte von dessen Firma aufgedeckt, bis hin zum von fast allen unbemerkt an Bührle verliehenen höchsten südafrikanischen Orden für den treuen Waffenlieferanten und Unterstützer des Apartheidregimes.

Haackes an Ronald Reagan: „Hommage à Marcel Broodthaers“, 1982VG Bildkunst, Bonn 2024

Haacke kann im Rückgriff auf Duchamp als Erneuerer der Institutionskritik gelten. Vor direkten Angriffen auch auf große Namen schreckte er spätestens seit den Achtzigern nicht mehr zurück: Hilmar Kopper wird in der Arbeit „Standortkultur“ über weltweit gefeierte Kunstmäzene mit dem maliziösen Satz zitiert: „Wer das Geld gibt, kontrolliert“; die anderen Statements, alle gegenläufig zum öffentlichen Bild, sind nicht wesentlich freundlicher.

Auf der Documenta 8, einer von vielen, an der er beteiligt war, stellte Haacke die scharfe Abrechnung mit der Deutschen Bank in Form ihres Logos mit dem leuchtenden Mercedes-Stern darüber aus, um die unheilige Allianz der beiden Megaunternehmen zu signalisieren. Im Jahr 1987 wurde dies von vielen als durchaus gewagtes Bubenstück wahrgenommen.

Wasserkunst: „Condensation Cube“, 1963-2008VG Bildkunst, Bonn 2024

Für Haacke ist Veränderung das einzig Bleibende, Stasis potentiell tödlich; Minimal Art erschien ihm daher als geradezu gefährlich, weil deren Arbeiten wie Donald Judds sterile Aluminiumkästen Veränderung leugnen. „Der Status quo ist eine Illusion – in politischer Hinsicht eine gefährliche“, wie er einmal zuspitzte.

Möglicherweise sollte man den Saal mit den Frühwerken am Eingang der Ausstellung antizyklisch zum Schluss ansehen und damit die letzte Arbeit „Der Bevölkerung“, sein anfangs stark umstrittenes Erd-Bassin im Berliner Reichstag von 2000, als Erstes. Auf Monitoren der linken Wand sind die hitzigen Debatten im Bundestag zu dem Werk zu sehen, in der Mitte die Entwicklung des großen Beckens über nun fast ein Vierteljahrhundert im Zeitraffer.

Die Demokratie grünt: Haackes Installation „Der Bevölkerung“ von 2000 im BundestagVG Bildkunst, Bonn 2024

Brachten die Bundestagsabgeordneten anfangs nur sehr zaghaft Erde aus ihren jeweiligen Wahlbezirken in den dafür vorgesehenen Säcken mit, füllte sich die politische Land-Art schon bald und bevölkert heute mit einer staunenswerten Vegetationsvielfalt aus allen Bundesländern das Becken: Auf der rechten Wand sind von Haacke fotografierte Makroaufnahmen der diversen Flora von kleinen Pflanzen der Roten Liste bis hin zu Kastanienbäumchen zu sehen. Bald schon werden die 1,20 Meter hohen Buchstaben überwuchert sein; da Brecht aber mit seinem Satz „Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht“ ohnehin eine wichtige Referenz für den Künstler bildet, dürfte ihn das Verschwinden der Lettern in diesem vielfältigen deutschen Blätterwald kaum schmerzen.

Im Kern aber ist „Der Bevölkerung“ schon entfaltet in „Grass Grows“ von 1965 im lichten Eingangssaal, einem grasbewachsenen Erdkegel im Innenraum, der für Haacke das Muster für physikalische Wachstums- und Austauschprozesse wie auch für den Austausch von Energie war, wie er es in vielen anderen Installationen mit Wasser in Aggregatszuständen wie Eis, Nebel oder Blutkreisläufen zeigte.

An Sauriers Statt: Haackes „Gift Horse“ von 2014 im Hof der Kunsthalle SchirnVG Bildkunst, Bonn 2024

Wie aktuell Haackes Werke blieben, erweist sich an dem in der Ausstellung endlose Infoflut-Papierkaskaden ausspeienden Nachrichtenticker „News“, der unter anderem mit Nachrichten dieser Zeitung zu Gott und der Welt wie auch der amerikanischen Wahl gespeist wird, jedoch als Gerät schon von 1969 stammt; erst recht aber in dem monumentalen bronzenen „Gift Horse“ von 2014.

Damals für den sogenannten vierten Sockel des Londoner Trafalgar Square als bis aufs Skelett entbeintes Trojanisches Pferd König Williams IV. und Kommentar zu dessen Vernarrtheit in die Pferdebilder eines George Stubbs (die erheblich teurer als Sklaven waren) konzipiert, liefen über eine metallische Schlinge an der knochigen Brust des Pferdes ursprünglich in Endlosschleife die Daten der Londoner Stock Exchange – in der Schirn sind es nun die der Frankfurter Börse. Als einen Tag vor der Eröffnung der Ausstellung der Wahlsieg Trumps feststand, schossen die Kurse aller mit den USA verbandelten Firmen in die Höhe.

Und wer weiß, vielleicht ist Haacke ja sogar der Erfinder und geistige Vater der Lavalampen der Siebziger, hatte er doch schon 1965 in „Säule mit zwei unvermischbaren Flüssigkeiten“ einen Glaszylinder entworfen, der bei Führungen tatsächlich umgedreht wird, sodass blaue Flüssigkeit in Wasser diffundiert und sich ein psychedelisch wabernd abstrakter Effekt ergibt. Wun­dern würde es einen nicht angesichts der vielen Novitäten Haackes in dieser fesselnden Ausstellung als anschaulichem Geschichtsunterricht der Conditio humana.

Hans Haacke. Retrospektive. Schirn Frankfurt, bis 9. Februar 2025., Der Katalog kostet 39 Euro.

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