Hängende Häuser und tiefe Schluchten im spanischen Cuenca | ABC-Z

Kurz vor vier Uhr morgens. Karfreitag in Cuenca, Zentralspanien. Schon von weitem hört man eine tosende Menge. Vor der Iglesia del Salvador, der Erlöserkirche und den angrenzenden Straßen haben sich bereits mehrere tausend Menschen versammelt. „Holt ihn raus und zeige Dich endlich“, skandieren die „Turbas“ wie in Ekstase. Sie schreien, trommeln und trompeten in ohrenbetäubender Lautstärke. Und das schon seit Stunden. In der Kirche bereiten sich hingegen drei Hermandades, Bruderschaften, konzentriert und gewissenhaft auf die Prozession vor. Mit fünf großen Statuen, zum Teil lebensgroße Nachbildungen und umfangreichen Skulpturengruppen aus dem Leiden Christi, den sogenannten Pasos, wird heute die Kalvarienberg-Prozession durch die Stadt ziehen. Schlag 5.30 Uhr öffnet sich dann die schwere, meterhohe Stahltür der Kirche.
Das erste Paso wird unter dem frenetischen Jubel der Menge, die den Mob vor der Kreuzigung Christi symbolisieren soll, hinausgetragen. Man bekommt unweigerlich eine Gänsehaut. Es zeigt Jesus das schwere Kreuz schleppend. Für die Träger der Pasos, den Nazarenos, die mit spitzen Kapuzen und langen Umhängen in den Farben der jeweiligen Bruderschaft gekleidet sind, steht jetzt ebenfalls eine stundenlange Schwerstarbeit bevor. Durch die Neustadt geht es kilometerlang hinauf in die Altstadt zur Plaza Mayor von Cuenca. Vor den Bruderschaften ziehen rund 4000 trommelnde Turbas.
Eine einzigartige Atmosphäre, die es in Spanien nur in Cuenca gibt. Nach vier Stunden ist der zentrale Platz mit Rathaus und der gotischen Kathedrale erreicht. Wer gedacht hat, die Lautstärke und Leidenschaft würden nachlassen, staunt. Der zum Bersten gefüllte Platz begrüßt die fünf Pasos intensiv wie zu Beginn der Prozession. Bevor es mit den zum Teil tonnenschweren Pasos wieder hinunter in die Erlöserkirche geht, gibt es eine kurze Erholungspause. Erst gegen 16 Uhr findet die „Procesión Camino del Calvario“ mit einem Gebet ein Ende, wenn alle fünf Pasos wieder ihren angestammten Platz in der Kirche gefunden haben.
Neun Prozessionen in der Osterwoche
Insgesamt finden in Cuenca in der Osterwoche, der Semana Santa, neun Prozessionen statt. Nur die am Karfreitag ist eine laute. Alle anderen Prozessionen ziehen andächtig, begleitet von Melodien der Musikkapellen und dem Stampfen der Pasoträger, durch die schmalen Altstadtgassen. Apropos Pasoträger beziehungsweise Nazarenos (Büßer). Neben der Ehre des Tragens müssen diese auch zum Teil tief in die Tasche greifen. „Ein Platz an den hölzernen Tragestangen kostet zwischen 2000 und 3000 Euro, der teuerste sogar 6000 Euro“, verrät Stadtführer Pablo Garcia. Das Geld bleibt in den Bruderschaften. Als echter Cuencano hat der 43-Jährige natürlich auch schon ein Paso durch die historischen Straßen der Stadt getragen. Das größte Paso benötigt 68 Träger und wiegt mehr als 2500 Kilogramm.
Geschichte trifft Geografie und Kultur in Cuenca
Cuenca, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz in Kastilien La Mancha, hat aber nicht nur in der Osterwoche Spektakuläres zu bieten. Alleine die Lage der 55.000 Einwohner zählenden Stadt ist außergewöhnlich. Die Altstadt wurde auf einem Felsplateau zwischen zwei Canyons erbaut und blickt auf eine 1200-jährige Geschichte zurück. Die beiden Flüsse Júcar und Huécar haben in Millionen von Jahren weit mehr als 100 Meter tiefen Schluchten gezogen, die die Altstadt vom Rest der Umgebung trennt. Wahrzeichen der Stadt sind die Casas Colgadas, die „hängenden Häuser“ aus dem 15. Jahrhundert, die sich über dem tiefen Tal vom Rio Huécar befinden. Aufgrund des Platzmangels auf dem Stadthügel wurden die Colgadas direkt am Abhang über dem Tal gebaut. In einem dieser Häuser ist seit 1966 das Museum für abstrakte Kunst (Museo de Arte Abstracto Español) untergebracht, das sich bereits in der Franco-Diktatur hier etablieren konnte.
Einen schönen Rundblick auf die Casas und das historische Cuenca bietet sich von der hohen Eisenbrücke „Puente de San Pablo“. Von hier geht es noch zu einem Tipp von Pablo dem Stadtführer. „Die Wanderung auf den Cerro del Socorro sollte man nicht verpassen.“ Am Gipfel des Hausberges der Stadt befindet sich eine meterhohe, nachts angeleuchtete Jesus-Statue. Der Blick von oben auf die historische Stadt hat was Magisches. „Und es ist die einzige Stelle, von der man in beide Canyons schauen kann“, hatte Pablo verraten.
Herrliche Ausblicke und malerische Caminos
Spazierwege und Wanderungen in die Wälder und die Natur rund um Cuenca gibt es zahlreiche. Man benötigt dafür kein Auto. Schöne Wege beginnen direkt an einem der Altstadtviertel. Der kurze Wanderweg „Senda del Hocino de Federico Muelas“ führt an der linken Talseite des Flusses Júcar hinauf zu einem Aussichtspunkt. Der kleine Pfad schlängelt sich malerisch durch Zypressen. Blumen in den steilen Berghängen versüßen zusätzlich die Blicke. Wer Energie hat, weiterzulaufen, steigt einfach in Höhe des Castillo auf der anderen Seite des Viertels hinab zum Rio Huécar und folgt der „Ruta de laz Hoz“. Es geht immer dem Lauf des Canyons nach. Ausblicke wie Postkarten gibt es hier im Minutentakt. Die zahllosen Felsen des Canyons sind zudem für Kletterer ein Eldorado.
Mehr als 1000 Routen stehen dort zur Verfügung. Noch ein Superlativ für Abenteuerlustige hat die Stadt direkt oberhalb des Rio Júcar zu bieten. Die längste urbane Zipline Europas führt hinter dem Barrio del Castillo hinüber zur anderen Schluchtseite. Nervenkitzel garantiert. 450 Meter lang und 70 Meter hoch schwebt man angegurtet durch die Luft. Besonders ist auch, dass es sich um eine doppelte Seilrutsche handelt. Man kann das Abenteuer also auch Paarweise erleben. Cuenca hat wirklich viele verzaubernde Momente.