Wohnen

Handy-Telefonat im ICE: Wenn der Sitznachbar sein Gebiss verloren hat – Panorama | ABC-Z

Zug fahren in … Hessen

Im Ruhebereich des ICE nach Lübeck, kurz nach dem Halt in Fulda. Ein betagter Herr schleppt seinen Koffer durch den Wagen, jemand hilft, das Gepäck auf die Ablage zu wuchten. Nachdem der Mann Platz genommen hat, klappt er ein Seniorenhandy auf und beginnt zu tippen. Offenbar ein Spiel, in dem Fische vorkommen – bei jedem Tastendruck ist ein „Blubb!“ zu hören. Erste nervöse Zuckungen unter den Fahrgästen. Dann klingelt das Handy. „Hallo? Gut, dass du zurückrufst! Ja … alles in Ordnung. Ja, meine Tabletten hab ich genommen … Hör zu, warum ich angerufen habe: Ich habe mein Gebiss bei euch vergessen, wahrscheinlich im Bad. Oder auf dem Nachttisch!“ Längere Ausführung am anderen Ende der Leitung. Dann der Handybesitzer: „Ach, nicht? Hm, vielleicht doch im Koffer. Na dann.“ Kollektives Aufatmen. Und im nächsten Moment: „Blubb!“ Violetta Simon

(Foto: Marc Herold)

Zug fahren in … Bayern

Scheint ja eine illustre Runde am Vierertisch auf der anderen Seite des Gangs zu sein. Ein Mann im schwarzen Shirt mit dem Aufdruck „Veni, vidi, ficki“ fingert schon sein drittes Bierchen aus seinem Minions-Rucksack, öffnet die Dose mit einem Zischen und starrt dann vor sich hin, es ist früher Vormittag. Ein anderer futtert giftgrüne saure Gummiringe und schaut dauerkichernd auf den Bildschirm seines Handys. Sein Nachbar wiederum schmökert im „Eisenbahn-Magazin“, wobei, er fläzt so entspannt in seinem Sitz, vielleicht schläft er auch? Seine Beine jedenfalls hat er bis zu seinem Gegenüber ausgestreckt, der sichtbar versucht, wenigstens einigermaßen bequem zu sitzen, und dauernd seine Position ändert. Dann nimmt er leicht seufzend sein Buch zur Hand, das er davor auf dem kleinen Tisch abgelegt hatte. Der Titel? „Surrounded by Idiots“. Mareen Linnartz

(Foto: Marc Herold)

Zugfahren in … Henan

Während der Zug mit über 300 Sachen durch die Provinz Henan braust, poliert der Mann neben mir mit Hingabe seine Nuss. Seit Stunden schon bearbeitet er die Walnuss mit einer Bürste, liest dazu ein Buch. Das Ziel der Übung ist aber nicht ein sauberer Snack: Der Mann schrubbt sich einen Handschmeichler herbei. Diese Spielnüsse gehören zu den beliebtesten Sammlerobjekten in China. Ein Kaiser widmete den Walnüssen gar ein Gedicht, lese ich im Netz, während ich den meditativen Bürstgeräuschen lausche. Der Wert der Spielnüsse hängt offenbar davon ab, wie oft sie behandelt worden sind. Da Walnüsse Öle von der Hand aufnehmen und oxidieren, verändert sich über die Zeit ihre Farbe. Besonders schöne oder historische Exemplare sind schon mal mehr wert als ihr Gewicht in Gold. Bis dahin wird mein Sitznachbar aber noch lange schrubben müssen. Florian Müller

Weitere Folgen der Kolumne „Mitten in …“ finden Sie hier.

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