Wie Instagram Freundschaften zerstören kann: In der Story ertappt | ABC-Z

Im Dezember vergangenen Jahres machte meine ehemals beste Freundin mit mir Schluss. Schuld daran war Instagram – zumindest indirekt. Auch wenn wir uns in der analogen Welt schon auseinandergelebt hatten: Die Plattform gab unserer Freundschaft den Rest.
Wir kennen einander, seit wir sieben sind. Damals zog ich mit meiner Familie neben sie. Wir waren also nicht nur beste Freundinnen, sondern auch Nachbarinnen. Es gab eine Zeit, in der wir uns jeden Abend am Fenster trafen und quatschten, bis es draußen dunkel wurde. Einmal spannten wir eine Leine von Fenster zu Fenster, um uns Botschaften zu schicken. Als Teenager fingen wir an auszugehen: Hauspartys, Bars, Clubs. Praktisch, denn man musste nie allein nach Hause fahren. Echtes Coming-of-Age-Material.
Doch irgendwann passierte uns das, was man in der analogen Welt gemeinhin „auseinanderleben“ nennt. Ich zog weg, unsere Wege kreuzten sich immer seltener. Wenn ich mal in der Heimat war, verbrachte ich lieber Zeit mit meiner Familie oder mit anderen Freunden. Davon postete ich ab und zu Ausschnitte auf Instagram. Manchmal bekam ich dann Nachrichten von ihr: „Warum hast du mir nicht Bescheid gesagt, dass du hier bist?“ Ich fühlte mich ertappt und antwortete ausweichend.
Dann passierte es: Ich postete unbedacht ein Video
Dann kam ihr Geburtstag im Dezember. Ich war zur Party eingeladen. Der guten alten Zeiten wegen hatte ich eigentlich fest vor hinzugehen. Doch zugegebenermaßen hielt sich meine Motivation in Grenzen, ich kannte kaum jemanden der anderen Gäste. Der Abend der Party kam, und ich war mit einer anderen Freundesgruppe unterwegs. Ich vergaß die Zeit, oder vielleicht ließ ich sie auch absichtlich verstreichen. Fest steht: Irgendwann war es zu spät, um noch auf den Geburtstag zu gehen. Ich sagte nicht mal ab. Eine gelogene Absage hätte sich irgendwie noch unanständiger angefühlt, als einfach wegzubleiben.
Aus dieser Situation hätte ich mich wohl noch irgendwie herausreden können, wenn wir uns das nächste Mal über den Weg gelaufen wären. Doch dann postete ich unbedachterweise ein Video einer Cocktail mixenden Freundin in meine „Close Friends“-Story. Dieser Bereich auf Instagram ist nur sichtbar für eine eigens kuratierte Liste engerer Freunde, die hinter die Kulissen blicken dürfen. Bei mir sind das statt der 900 Follower um die 25 Leute. Darunter auch meine ehemals beste Freundin.
Ein paar Minuten später erkannte ich, dass ich mich enttarnt hatte, und entfernte sie schnell aus meinen „Close Friends“. Doch es war zu spät, wie ich kurze Zeit später einer Whatsapp-Nachricht entnehmen konnte. Verständlicherweise war sie wütend, dass ich ohne abzusagen nicht gekommen war – und dann auch noch meine Instagram-Story vor ihr verborgen hatte, um meine alternative Abendgestaltung zu vertuschen. „Das hat keinen Sinn mehr“, schrieb sie – und meinte damit unsere Freundschaft. Oder das, was noch davon übrig gewesen war.
Die soziale Welt als Theaterbühne
Eine Geschichte, die so nur das digitale Zeitalter hervorbringen kann: In einer Zeit vor den sozialen Medien musste Aufwand betrieben werden, um mit jemandem postalisch oder telefonisch Kontakt zu halten. Eine Art natürliche Auslese. Heute dagegen muss Aufwand betrieben werden, um den Kontakt zu verlieren – Fluch und Segen zugleich. Ich kann spielend leicht am Leben von Freunden und Bekannten auf der ganzen Welt teilhaben und umgekehrt. Doch genau das verleitet dazu, mehr Kontakte aufrechtzuerhalten, als man real pflegen kann. Zwangsläufig sind viele halbherzige dabei.
Weit vor den sozialen Medien, im Jahr 1956, beschrieb der amerikanische Soziologe Erving Goffman, dass die Selbstdarstellung ein notwendiges Element des menschlichen Zusammenlebens ist. Er verglich die soziale Welt mit einer Theaterbühne, auf der sich jeder Mensch als schauspielender Selbstdarsteller je nach Kontext in verschiedenen Rollen inszeniert. Dabei unterschied er zwischen Vorderbühne und Backstage – wobei man hinter der Bühne die Rollen ablegen und sich zurückziehen kann, beispielsweise zu Hause oder im Pausenraum.
Seit dem Smartphone ist das anders. Wir haben die Außenwelt immer dabei, und gesellschaftlich wird eine ständige Erreichbarkeit erwartet. Auch wenn man im Urlaub ist oder in Ruhe auf der Couch lümmeln will. Seither riskieren wir, die vermeintliche ständige Verfügbarkeit im Digitalen mit Liebe und Wertschätzung gleichzusetzen. Ich kenne das von mir selbst. Wenn eine gute Freundin meinen Post nicht kommentiert, bin ich leicht gekränkt. Wenn Freundinnen lange brauchen, um mir auf Whatsapp zu antworten, fühle ich mich zurückgewiesen. Wenn ich auf Instagram sehe, dass eine Freundesgruppe etwas ohne mich unternimmt, fühle ich mich ausgeschlossen. Auch bevor ich selbst etwas poste, wäge ich endlos ab, was die von mir kreierte Bildinformation bei meinen Followern auslösen könnte.
Das Phänomen hat einen Namen: Posting Anxiety
Mit meiner Angst vor digitaler Bewertung bin ich nicht allein. Das Phänomen hat sogar einen eigenen Namen: „Posting Anxiety“. Angesichts des wild gemischten Publikums, das einem in den sozialen Medien folgt, ist die Gefahr größer geworden, bei der Selbstdarstellung zu versagen. Während man im Alltag je nach gesellschaftlichem Kontext eine Rolle verkörpern kann, braucht es auf Instagram eine allgemeingültige.
Das Bikini-Bild oder das Bild vom Bar-Abend mag bei Freunden gut ankommen. Der Chef oder die Eltern sehen das eventuell anders. Daher finde ich die „Close Friends“-Story auf Instagram so wohltuend. Nach Goffmans Definition ist sie mein Backstagebereich. Dort mache ich mir vorm Posten nicht so viele Gedanken. Doch wie der letzte Dezember zeigt, ist mir genau das zum Verhängnis geworden. Offenbar ist die Idee eines Rückzugsraums im Digitalen eine Illusion.
Seither haben meine ehemals beste Freundin und ich keinen Kontakt mehr. Wir folgen uns zwar noch auf Instagram. Aber was heißt das schon? In meinen „Close Friends“ ist sie nicht mehr. Und auch wenn ich ein schlechtes Gewissen habe, dass die Dinge so unschön verlaufen sind – ein bisschen erleichtert bin ich auch. Meine „Enge Freunde“-Liste halte ich nun noch exklusiver.