Handball-Trainer Martin Schwalb wird neuer Trainer beim HC Erlangen. – Sport | ABC-Z
Es hat sich Ungewöhnliches ereignet im Regierungsbezirk Mittelfranken. Eigentlich ist der dort ansässige und einzige bayerische Handball-Erstligist dafür bekannt, Schwierigkeiten mit großer Gelassenheit anzugehen. Selbst der miserable Saisonstart mit vier Niederlagen aus vier Spielen inklusive des letzten Tabellenplatzes schien in der Führungsetage keine Panik auszulösen. Vielmehr stärkten der Vorstandsvorsitzende Carsten Bissel, der beim HC Erlangen die Zügel in der Hand hält, und auch Geschäftsführer René Selke Trainer Johannes Sellin demonstrativ den Rücken. Zumal Sellin erst im vergangenen April für den glücklosen Hartmut Mayerhoffer vom Assistenten zum Cheftrainer befördert worden war. Nun hat der Klub aber überraschend doch auf den missratenen Saisonstart reagiert: Schon am Mittwochabend wird Martin Schwalb, 61, im DHB-Pokalspiel gegen den VfL Gummersbach (19.30 Uhr, Oberfrankenhalle Bayreuth) auf der Bank Platz nehmen. Schwalb hat für zwei Jahre beim HCE unterschrieben.
Im Normalfall sind solche Staffelübergaben nicht von großer Harmonie getragen. Anders beim HC Erlangen, wie Schwalb bestätigt, der sich Dienstagmittag zum zweiten Gespräch mit Vorgänger Sellin traf, um die künftige Zusammenarbeit „zu definieren“, wie er erklärte. Denn Sellin bleibt dem HCE erhalten, der in dem Europameister von 2016 ein großes Trainertalent in seinen Reihen sieht und ihn in den Trainerstab integrieren wird. Auch Schwalb hält viel von einer Zusammenarbeit: „Johannes und ich haben ein sehr gutes Verhältnis“, sagt der ehemalige Nationalspieler. Wichtig sei, dass „wir alle unseren Spaß an dem haben, was wir in den kommenden Wochen machen“.
Der war jüngst kaum vorhanden: Sellin war zum Ende der vorigen Spielzeit installiert worden, hatte den Klassenerhalt mit etwas Glück geschafft und sollte die Mannschaft wieder in bessere Zeiten führen. Aber schon die Saisonvorbereitung war durch Verletzungspech gestört, das gut besetzte Team blieb erneut hinter den Erwartungen zurück. Niederlagen in Flensburg und Berlin waren einkalkuliert, die Heimpleiten gegen Eisenach und Stuttgart aber brachten die Verunsicherung der vergangenen Saison zurück. Sellin wirkte angeschlagen. Ein Trainer wie Schwalb, der alles erreicht und erlebt hat, soll nun bessere Zeiten bringen. Zur Einordnung: Dass Schwalb beim aktuellen Schlusslicht unterschreibt, ist so, als würde sich der Fußballtrainer Jürgen Klopp der TSG Hoffenheim anschließen.
Zuletzt war Schwalb als HSV-Vizepräsident erfolgreich. Aber: „Im Herzen bin ich Trainer und kein Funktionär.“
Schwalb führte den HSV Hamburg durch dessen goldene Zeiten, gewann die deutsche Meisterschaft (2011), zweimal den DHB-Pokal (2006 und 2010) und dreimal den Supercup (2006, 2009, 2010). Zudem holte er den Europapokal der Pokalsieger (2007) sowie die Champions-League-Trophäe (2013) in die Hansestadt. Schon als Aktiver feierte der rechte Rückraumspieler mit den Qualitäten eines Spielmachers große Erfolge, war Meister und Pokalsieger, stand in 193 Partien für das Nationalteam auf dem Parkett, wobei er 594 Tore warf und Olympiasilber (1984) sowie EM-Bronze (1998) gewann.
Der Name Schwalb ploppte regelmäßig auf, wenn es einen neuen Bundestrainer zu suchen galt. Gleichwohl hatte er dieses Amt nie inne. Nach einer einjährigen Trainerstation bei den Rhein-Neckar Löwen (2020/21) war Schwalb zuletzt als Vize-Präsident beim HSV Hamburg tätig, das Traineramt allerdings ist seine Passion: „Im Herzen bin ich Trainer und kein Funktionär.“ Weil sich der HSV neu aufstellte und das Präsidium einvernehmlich komplett zurücktrat, bot sich den Erlangern die einmalige Gelegenheit: „Wir haben es einfach mal versucht“, sagt Vorstandschef Bissel. Das Telefonat von Geschäftsführer Selke mit Schwalb brachte schnell Einigkeit.
Nun gilt es, Ruhe ins Umfeld und in sein neues Team zu bringen, dessen Auftritte von Verunsicherung gekennzeichnet waren. Der HCE hätte wohl keinen geeigneteren Kandidaten präsentieren können, zumal sich Schwalb „riesig auf die Aufgabe freut“. Erlangen sei ein gestandener Bundesligist, „die Metropolregion Nürnberg ist überragend.“ Nur: „Die Mannschaft verkauft sich ein bisschen unter Wert.“ Nominell ist der Kader stark besetzt, hat zahlreiche Nationalspieler in seinen Reihen wie die beiden Torhüter Klemen Ferlin (Slowenien) und Kalifa Ghedbane (Algerien), den norwegischen Spielmacher Sander Överjordet oder Olympia-Silbermedaillengewinner Christoph Steinert. Zudem hat Champions-League-Sieger Marko Bezjak die Spielerlaubnis vom europäischen Verband erhalten, und der polnische Nationalkreisläufer Maciej Gebala kehrt nach seiner Verletzung zurück. Schwalb sieht eine „tolle Mischung aus jungen und erfahrenen Spielern“, er genieße es ohnehin, mit Nachwuchstalenten wie U21-Weltmeister Stephan Seitz zusammenzuarbeiten.
Dennoch übt sich der Neue gemäß seinem Naturell in Zurückhaltung: „Wir sind Tabellenletzter, es ist schwer, da herauszukommen.“ Was er bis Mittwochabend ändern kann? „Nicht viel“, sagt Schwalb, man dürfe jetzt keine Wunderdinge erwarten. Es benötige Zeit und viele Gespräche, um gemeinsam mit Mannschaft und Trainerstab neue „Laufwege zu erarbeiten“. Er werde versuchen, die Erwartungshaltung etwas zu dämpfen, das Gefühl, eigentlich besser sein zu müssen, als es derzeit gelingt: „Das ist vielleicht der Casus knacksus.“