Handball-Ass Andreas Wolff in überragender WM-Form, andererseits: „Es fluppt noch nicht“ | ABC-Z
Herning. Der überragende Torwart Andreas Wolff sichert den deutschen Handballern den Einzug in die WM-Hauptrunde. Tschechien wird harte Nuss.
Zu so später Stund‘ und an so einem unwirtlichen, schnöden Ort hatte sich Andy Schmid ein ganz schön philosophisches Thema ausgesucht. „Ich bin wirklich stolz, Schweizer zu sein“, sagte der 41-Jährige, mehr als ein Jahrzehnt bei den Rhein-Neckar Löwen einer der besten Spielmacher in der Bundesliga und gerade in seinem erst zehnten Länderspiel als Trainer für die eidgenössischen Handballer verantwortlich gewesen. In einer Ecke der Jyske Bank Boxen stand er nach dem WM-Spiel, unter den Stahlrohrtribünen und vor einer Werbetafel; und mit seinen Ausführungen, wann ein Schweizer bitte sehr nicht mehr ein Schweizer sein sollte, hatte in der letzten angebrochenen Stunde des Freitags eigentlich ein aufgeschreckter Zuhörer gerechnet.
Handball-WM: Andreas Wolff mit 20 Paraden gegen die Schweiz
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Stolz und Schmerz sollten seine Auserwählten doch bitte verspüren, erklärte Schmid nach dem 29:31 der Schweizer im zweiten WM-Gruppenspiel gegen Deutschland, nach einer „sensationellen Leistung“, wie er betonte: „Wir waren atypisch Schweizerisch. Das freut mich am meisten.“ Eine andere Nationalität hatten der siebenmalige Torschütze Lenny Rubin oder der reaktionsschnelle Torhüter Nikola Portner selbstredend nicht angenommen. Aber, so Schmid, „wir dürfen nicht immer zuvorkommend, pünktlich, ehrlich und hilfsbereit sein – wir müssen das ablegen, um auf diesem Niveau bestehen zu können.“ Diese Furchtlosigkeit und körperliche Robustheit, die die Nati-Spieler offenbar entgegen sonstigen Beobachtungen in der Alpenrepublik gegen den großen Nachbarn zeigten, „lassen mein junges Trainerherz höherschlagen“.
Einige Minuten zuvor hatte unwesentlich weiter jener Mann sich den Schweiß aus dem Gesicht gewischt und seinen Gedanken freien Lauf gelassen, bei dem ganz Handball-Deutschland glücklich und dankbar ist, dass er so dermaßen deutsch ist. Jedenfalls wenn man aus dieser Herkunft – und das sogar sportartenübergreifend – die besten Torhüter der Welt erwartet. Andreas Wolff genießt seit Jahren besagten Ruf, der 33-Jährige war ja bereits 2016 beim letzten Titelgewinn der schwarzrotgoldenen Handballer, dem EM-Triumph, ein überragender Torverhinderer. Mit 20 Paraden hatte Wolff selbst die geduldigen Schweizer zur Weißglut getrieben. „War ja nicht das erste Mal, dass er sowas macht“, waren Schmids Worte voller Anerkennung und nicht als beleidigte Leberwurst.
Deutschlands Manko bei der Handball-WM: Ballverluste und unvorbereitete Würfe
Es gab keinen deutschen Nationalspieler, der an Kameras und Diktiergeräten angehalten hatte und nicht überschwänglich den Bären Wolff gelobt hätte. Der Torhüter war es, der seiner Mannschaft auch im zweiten Vorrundenspiel dieser Weltmeisterschaft im dänischen Herning die weiße Weste gesichert hatte. Beim Siebenmeter, beim Gegenstoß, hoch oben im Giebel oder unten beim Versuch, ihn zu tunneln – es gab kaum Gliedmaßen, mit denen der Kieler keine Chance vereitelt hätte.
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Womöglich war es gegen die atypischen Schweizer auch typisch deutsch, sich nicht an den Jubelarien zu berauschen, sondern zu anschließend den Finger in die Wunde zu legen. „So far it doesn’t really flow“, sagte der „schon frustrierte” Wolff in eine dänische TV-Kamera. Es fluppt einfach noch nicht. Wie schon gegen die Polen fand der olympische Silbermedaillengewinner von Paris überhaupt nicht ins Spiel und keinen Zugriff auf die Gegner. Unnötige Ballverluste, unvorbereitete Würfe, bedenkenlose Abwehrarbeit – all das legte der Torhüter seinen Vorderleuten zur Last. Aber nicht, um sie schlecht zu machen, sondern um sie wachzurütteln für das große Ziel dieses Jahreshöhepunktes: mindestens ins Viertelfinale zu kommen, mit um die Medaillen zu spielen. „Ich bin der zweitälteste Spieler – von daher ist es meine Pflicht“, so Wolff. „Ich habe 100 Länderspiele mehr als der Nächste in unserem Team. Ich muss vorangehen, wenn das Team mich braucht.“
Handball-Bundestrainer Gislason findet auch Lob fürs deutsche Team
Ihn brauchte es für den zweiten Erfolg in Dänemark – genauso sehr die beeindruckende Leistungssteigerung von Julian Köster nach der Halbzeit mit sechs Toren, die flinken Finger von Lukas Mertens bei Ballgewinnen und den erlösenden Treffer von Lukas Kastening zum 30:27 und damit erstmaligen Drei-Tore-Führung vier Minuten vor Ablauf der Spielzeit. Für ihren Charakter und das Vertrauen, die Begegnung in den letzten zehn, fünfzehn Minuten gegen lange führende Schweizer drehen zu können, „muss man die Mannschaft auch mal loben“, befand Bundestrainer Alfred Gislason. Das ist ja das Gute dieser Tage, „dass wir bei zwei Toren Rückstand nicht den Kopf verlieren, sondern noch nach vorne gehen“, fand auch Wolff anerkennende Worte für seine Teamkollegen.
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Warum aber die Deckung noch immer große Lücken offenbart, das Umschaltspiel in die Defensive dem Gegner zu leichte Tore beschert, selbst vorne Zögern und Ungenauigkeit nicht früh für eine entlastende Führung sorgen, war aus keinem Spieler-Statement klar herauszuhören. Alle wissen nur, dass an diesem Sonntag (18 Uhr/ARD) beim Gruppenausklang gegen aus deutscher Sicht bedenklich defensivstarke Tschechen „auf jeden Fall gewonnen werden muss“, verdeutlichte Andreas Wolff, „um mit der maximalen Punktausbeute in die Hauptrunde einzuziehen.“
Handball-WM: Voraussichtlich am Dienstag im Topspiel gegen Übermacht Dänemark
Dort wartet dann Dänemark als erster richtig großer Brocken auf dem Weg in die K.o.-Runde in Oslo. „Wir sind noch nicht auf einem Topniveau“, sagte DHB-Kapitän Johannes Golla, „aber ich bin mir sicher, dass der Punkt kommt, an dem wir sagen: Wir sind wieder da.“ Soll dies voraussichtlich am Dienstag gegen den Co-Gastgeber, Olympiasieger und alles dominierenden Titelverteidiger der Fall sein, müssen die deutschen Nationalspieler doch noch mal an ihre Nationaltät ran und eigentlich eines sein: Dänen.