Kultur

Hamburger Rapper Disarstar: Einer, der in kein Raster passt | ABC-Z

Da liegt eine tiefe Falte zwischen Gerrit Falius’ Augen und dennoch wirkt er kein Stück brüsk, im Gegenteil. Freundlich reicht er die Hand, stellt sich vor, gesteht, nervös zu sein. Das passt so gar nicht zur typischen Rapper-Attitüde, aber Falius fällt als Disarstar in der Rap-Szene ohnehin aus dem Raster. Er ist der linkspolitische Gegenpol, der über Karl Marx und Kapitalismuskritik spricht, statt über dicke Karren und Kokain zu rappen. Auf seinem neuen Album zeigt er sich so nahbar wie nie zuvor.

Sieben Zigaretten raucht der 31-Jährige während des Gesprächs. Sein Körper ist durchtrainiert, die Haare kurz rasiert, Ringe stecken an seinen Fingern, auf dem linken Oberschenkel steht „Monster“ tätowiert. Er hatte lange das Gefühl, nicht dazuzugehören.

„Ich bin nicht wie ihr, dabei wollte ich das immer“, rappt er in „Saint Tropez“, der ersten Single-Auskopplung seines neuen Albums „Hamburger Aufstand“. So eine Zeile ist schwer erträglich, wenn man an einen Jungen denkt, dessen Welt immer wieder zerbricht. Der auf dem Schulweg rumlungert und auf seine Freunde wartet, obwohl ihre Eltern ihnen den Kontakt zu ihm verboten haben. Wie schwer war es, so ehrlich zu sich zu sein? „Ging früher gar nicht,“ sagt Falius, der sich die letzten Jahre viel mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt hat.

Geschichte eines Absturzes

Seine Geschichte ist keine Schubladengeschichte, keine „Ich komme von unten“-Erzählung, sondern die eines Absturzes. Falius wächst finanziell gut situiert in Hamburg zwischen Schnelsen, Langenhorn und Niendorf auf, in einer „bürgerlichen Illusion“, wie er sagt. Doch der Vater trinkt, geht pleite und die Familie zerbricht. Mittendrin ein Junge, der irgendwo dazwischen seinen Weg zurücklegen muss und das nicht kann.

Er fliegt mehrfach vom Gymnasium, bekommt Ärger mit der Polizei, wird zu Psychiatern geschleppt, mit 15 Jahren nimmt ihn das Jugendamt aus der Familie. Ein Betreuer zeigt ihm, wie man eine Idee von sich selbst entwickelt. Mit 18 zieht er in eine Wohnung auf St. Pauli mit Blick auf die Herbertstraße. „Ich hatte keinen Drive in meinem Leben“, sagt er über diese Zeit.

13 Jahre lang lebt Falius auf dem Kiez, arbeitet bei verschiedenen Lieferdiensten und auf Baustellen. Er bringt parallel Album um Album raus, landet mit seiner Musik in den Charts. Er trinkt viel, nimmt Drogen. Vor allem Alkohol habe immer eine Funktion für ihn gehabt, weshalb es schwer gewesen sei, davon loszukommen. „Ich hab’s immer wieder versucht, nicht geschafft und mich dafür gehasst.“ Nach einer langen Partynacht habe es dann einfach Klick gemacht. Seit März 2023 hat er keinen Schluck getrunken.

Wenn Falius erzählt, dribbelt er mit den Worten, setzt oft mehrfach an, wippt mit dem Bein. Man spürt einen hellwachen Kopf, der gedanklich viel in Bewegung ist. Man hört im erwachsenen Falius einen Jungen, der verstanden werden will. Wenn er über seine Geschichte spricht, dann wird seine Stimme bei den letzten Silben manchmal ganz weich. Und scharf, wenn er Ungerechtigkeit thematisiert.

Das Album und die Konzerte

LP Hamburger Aufstand, Sony, CD 18 Euro, Vinyl 28 Euro,

Live 6. 10., Capitol Hannover, 30. 1. 2026 Pier 2, Bremen, und 30. 4. 2026 Sporthalle, Hamburg, jeweils 20 Uhr

Die Pleite seines Vaters sei eine prägende Erfahrung gewesen. Dadurch habe er gemerkt, dass man „im Leben auf die Fresse fallen kann, obwohl man sein Bestes gibt“. Er habe die Oberflächlichkeit der Welt nie akzeptieren wollen, fragte sich stattdessen, warum Dinge so sind, wie sie sind. „Dann kommt man schnell zu politischen Antworten, würde ich behaupten.“

Je länger das Gespräch dauert, desto deutlicher steht Falius der Tag ins Gesicht geschrieben. Ende 2023 beginnt er eine Ausbildung zum Tischler. Niemand rollt dort für ihn den roten Teppich aus, er arbeitet 40 Stunden, geht zur Berufsschule, Promo-Termine finden abends oder am Wochenende statt.

Ausbildung zum Tischler

Holt man in seinen 30ern nach, was einem in der Jugend verwehrt blieb? „Ein bisschen“, sagt er, und ergänzt, dass er in den letzten Jahren nicht immer zufrieden mit sich gewesen sei. „Ich bin seit 18 Jahren Disarstar. Alle identifizieren mich darüber, auch ich. Wer bin ich, wenn ich das nicht mehr bin?“

Schon sein Betreuer habe ihm beigebracht, Gedanken, Gefühle und Handeln zusammenzubringen. „Da bin ich ganz gut drin, ich kann eigentlich immer ich selbst sein in verschiedenen Nuancen.“ Das gibt ihm Sicherheit. Er weiß, dass sich die Kunstfigur Disarstar vielleicht nicht für immer trägt. Falius reflektiert ständig, denkt voraus, will sein Leben nicht dem Zufall überlassen.

Studio statt Pause

2024 wird Falius Vater. Die Musik rückt in den Hintergrund, er denkt ans Aufhören. Doch im Frühjahr kündigt er überraschend ein neues Album an. 1.687 Aufnahmen hat er in zwei Jahren auf dem Handy gesammelt.

„Ich hab so dagesessen und das gar nicht ausgehalten,“ sagt er lachend. Also Studio statt Pause. Falius bleibt ruhelos. „Ich habe krasse Sehnsucht nach innerer Ruhe, kriege das aber noch nicht hin. Ich arbeite daran.“ Er ist einer, der es besser machen will.

Falius lebt alltäglich – und träumt von Weltrevolution und demokratischem Sozialismus.

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