Wirtschaft

Hamburger Delegationsreise: „Jahrzehnte eines nahezu durchgehenden Wirtschaftswachstums, das ist neben Polen praktisch nur China gelungen“ | ABC-Z

Bei einer Reise nach Polen erlebt eine Hamburger Delegation ein wachstumsstarkes und wehrhaftes Land – das angesichts multipler Krisen vom Querulanten Europas zu einem Anker der Stabilität werden könnte. Die Häfen an der Ostsee spielen dabei eine Schlüsselrolle.

Der Tag, an dem Donald Trump auf die politische Weltbühne zurückkehrt und Deutschlands Regierung zerfällt, beginnt morgens in Warschau mit einem leuchtend-orangen Horizont. Über dem Dunstschleier geht die Sonne in Polens Hauptstadt auf. Beim Frühstück im Hotel InterContinental will Melanie Leonhard den Medien ihre Sicht zur neuen Lage erläutern. Da weiß Hamburgs Wirtschaftssenatorin und SPD-Chefin allerdings noch nicht, dass die Bundesregierung kurz vor ihrem Ende steht.

„Europa ist gut beraten, die europäische Integration jetzt wirklich voranzubringen – sei es sicherheits- oder wirtschaftspolitisch“, sagt sie zur bevorstehenden zweiten Amtszeit von Trump nach dessen Sieg gegen Kamala Harris bei den Präsidentschaftswahlen in den USA. „Wirtschaftspolitisch hat Europa bislang keine Antwort auf die Veränderungen der vergangenen Jahre in den USA – und auf das, was in einer zweiten Präsidentschaft von Donald Trump nun voraussichtlich kommen wird.“

Mit 32 Personen ist Leonhard von Montag bis Mittwoch dieser Woche bei einer Delegationsreise unterwegs in Polen, in Gdansk (dem früheren Danzig), Gdynia (Gdingen) und in Warschau. Wie unter einem Brennglas werden in diesen Tagen Themen und Herausforderungen sichtbar, die das künftige Verhältnis zwischen Europa und den Vereinigten Staaten prägen werden – vor allem der Kampf der Ukrainerinnen und Ukrainer gegen Russland, der auch ein Freiheitskampf für Europa ist.

Für Hamburgs Außenhandel hat Polen mit einem Warenwert beim Im- und Export von insgesamt mehr als fünf Milliarden Euro (2023) ein herausragendes Gewicht. Polen belegt in der Statistik mitunter Rang eins, wenn man die Flugzeuge des europäischen Herstellers Airbus nicht mitrechnet, von denen viele in Hamburg endmontiert und die in viele Länder ausgeliefert werden. Jahrhundertealte, enge Beziehungen verbinden Hamburg mit Polen. Rund 73.000 Menschen polnischer Herkunft leben in der Hansestadt.

Lange Zeit allerdings hat Hamburg das östliche Nachbarland nicht mehr mit einer Wirtschaftsdelegation besucht. Seit 27 Jahren arbeite sie für die Außenhandelskammer in Polen, sagt eine Mitarbeiterin in Danzig, eine Hamburger Delegation habe sie in dieser Zeit vor Ort nicht gesehen. Besonders in den Regierungsjahren unter Führung der nationalkonservativen PiS-Partei, zuletzt zwischen 2015 und 2023, hat sich Polen politisch gegen die westeuropäischen Mitgliedstaaten der EU abgeschottet, speziell gegen Deutschland.

Dabei boomt Polens Wirtschaft seit langer Zeit – auch wegen hoher Subventionen der Europäischen Union, deren größter Nettoempfänger das Land ist, und auch mit vielen Milliarden Euro an deutschen Direktinvestitionen. „Polen hat sich in den vergangenen Jahren enorm entwickelt“, sagt Lars Gutheil, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer in Warschau. „Jahrzehnte eines nahezu durchgehenden Wirtschaftswachstums, das ist neben Polen praktisch nur China gelungen.“

Die Besucher aus Hamburg sehen ein Land in Modernisierung und Aufbruch. Die neue bürgerliche Koalition unter dem seit Ende 2023 – und auch schon von 2007 bis 20214 – regierenden Ministerpräsidenten Donald Tusk will Polen wieder näher an die Europäische Union heranführen. Tusk selbst repräsentierte die Gemeinschaft von 2014 bis 2019 als EU-Ratspräsident. Polen baut seine stark diversifizierte Wirtschaft weiter aus, es errichtet, vor allem mit EU-Hilfe, neue Autobahnen und Bahntrassen, will seinen Kohleanteil von mehr als zwei Dritteln bei der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien und Atomkraft bis Anfang der 2040 Jahre auf null bringen.

Und Polen investiert massiv in seine Armee. 2024 sind umgerechnet rund 35 Milliarden Dollar geplant. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt sind das etwa 4,1 Prozent. Kein Land in der Nato, nicht einmal die USA, hat einen höheren Anteil. Im kommenden Jahr sollen die Ausgaben für die Vergrößerung und Modernisierung der polnischen Berufsarmee gar auf 4,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen.

Polen setzt, nach seiner leidvollen Geschichte mit Deutschland, Russland und der Sowjetunion, sehr auch auf seine eigene Stärke, und Russlands Überfall auf die Ukraine Ende Februar 2022 gibt der polnischen Strategie recht. Statt weiterer deutscher Reparationszahlungen für die Verheerungen des Zweiten Weltkriegs interessiere sich Polen inzwischen eher für eine Art deutsches Sondervermögen zur Co-Finanzierung beim militärischen Ausbau der polnischen Ostgrenze gegen mögliche russische Attacken, heißt es aus deutschen diplomatischen Kreisen.

Die hohen Verteidigungsausgaben sind ein Grund dafür, warum Polen mit der künftigen Administration des wiedergewählten Ex-Präsidenten Trump besser zurechtkommen könnte als andere europäische Staaten. In seiner ersten Amtszeit wie auch in seinem zurückliegenden Wahlkampf drang Trump stets darauf, dass jeder Nato-Mitgliedsstaat die im Bündnis vereinbarten zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in seine Verteidigung investieren müsse. Polen hat das Zwei-Prozent-Ziel längst erreicht, Deutschland erst in diesem Jahr. „Es gibt weltweit kein stärkeres Bündnis als das zwischen den USA und Polen“, sagt Michał Jaros, Staatssekretär im Ministerium für Entwicklung und Technologie, nach einem Treffen mit der Hamburger Delegation in Warschau. „Polen und die Europäische Union werden die Zusammenarbeit mit den USA weiter vertiefen, auch in Sicherheitsfragen.“ Allerdings könnte Trump durch eine – von ihm immer wieder angedrohte – Einstellung der US-Militärhilfen entscheidend dazu beitragen, dass die Ukraine gegen Russland verliert.

Polen jedenfalls tut viel dafür, die Ukraine militärisch und logistisch zu unterstützen. Der größte Teil des militärischen Nachschubs gelangt über Polen in dessen östliches Nachbarland. Das lernen die Besucher aus Deutschland vor allem auch in den Hafenverwaltungen von Gdingen und im benachbarten Danzig. Die beiden Ostseehäfen sollen in den kommenden Jahrzehnten beständig weiter vergrößert und modernisiert werden, für den Umschlag von Containern, Energie, Agrarprodukten – und für die Mobilität der Nato-Truppen, die im Spannungs- und Verteidigungsfall schnell an Polens Ostgrenze verlegt werden müssten.

Der neue Intermodalterminal, der zur Bewegung unter anderem von Fahrzeugen dient, werde auch aus einem polnischen Verteidigungsfonds mitfinanziert, sagt bei einer Präsentation für die Hamburger Delegation Piotr Gorzeński, der Präsident der Hafenverwaltung von Gdingen. Die Stadt ist Polens wichtigster Hafen für die Verlegung von Nato-Truppen, vor allem auch aus den USA. Die gleiche Funktion erfülle in Deutschland der Hafen von Bremerhaven, sagt Jens Meier, Chef der Hafenverwaltung Hamburg Port Authority, den polnischen Gastgebern. Generell würden nun auch die anderen deutschen Häfen an Nord- und Ostsee, von Hamburg bis Rostock, stärker in die Logik und Logistik der Nato integriert.

„Vor zwei Jahren habe ich den Begriff der ,military mobility’ noch in kaum einem europäischen Hafen gehört, jetzt kommt dieses Thema nahezu in jeder Präsentation vor“, sagt Meier. Beeindruckt sei er davon, wie intensiv die militärische Ebene in den polnischen Ostseehäfen mitgedacht und umgesetzt werde. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass unsere Häfen auch gemeinsame Übungen zur militärischen Logistik und zu Fragen etwa der Cybersicherheit organisieren“, sagt er. Aber auch bei etlichen zivilen Funktionen und bei der übergeordneten Entwicklung könnten Hamburg und die Häfen von Danzig und Gdingen viel voneinander lernen. „Wichtig ist vor allem auch, gemeinsamen an internationalen Hafenstandards weiterzuarbeiten, etwa für die Versorgung von Schiffen mit Landstrom.“ Den Ausstoß von Treibhausgasen in den Seehäfen können man nur „mit starken Anstrengungen aller Häfen senken“.

Stärker noch als Gdingen baut Danzig seine Hafenanlagen aus, vor allem mit privatwirtschaftlichem Kapital, etwa des Hafenbetreibers PSA aus Singapur. Danzig will seine Position als zentraler Containerhafen an der Ostsee weiter stärken – auch in Konkurrenz zu Hamburg. Viele Container aus den oder für die Ostseestaaten, die früher in Hamburg von Überseeschiffen auf Feeder umgeladen wurden, fahren heutzutage direkt bis Danzig, sei es aus Asien oder Nordamerika. Danzig und Gdingen setzen auf das Wachstum des osteuropäischen Marktes, aber auch auf den Aufbau eines neuen logistischen Korridors durch Polen hindurch von Skandinavien bis an die Adria. „Es ist sehr spannend zu sehen, dass die polnischen Häfen eine klare, stringente und vor allem sehr langfristige Strategie für ihre Entwicklung verfolgen“, sagt Malte Heyne, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg, nach den Präsentationen in Gdingen und Danzig. „Es ist sehr gut und wichtig, dass wir aus Hamburg hier waren, um daraus etwas für unseren Hafen abzuleiten und um neue Verbindungen zu schaffen.“

Überschattet aber wird jede gute Entwicklung zwischen Deutschland und Polen, zwischen Hamburg und den Ostseehäfen von den Fragen, wie der Krieg in der Ukraine ausgeht – und wie sich die EU in der neuen Welt mit dem künftigen US-Präsidenten Trump aufstellt. Hinter verschlossenen Konferenzraumtüren seines Ministeriums in Warschau gibt der Staatssekretär Jaros – der demnächst wohl neuer polnischer Minister für die Digitalisierung wird – der Hamburger Delegation am Mittwochmittag eine Bitte mit auf den Weg: Deutschland müsse schnell seine offenen energie-, wirtschafts- und sicherheitspolitischen Fragen klären. Für Europa und für Polen sei Deutschland zu wichtig, um sich solche Unklarheiten zu leisten.

Sechs Stunden später zerbricht in Berlin die Ampelkoalition.

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Über Hamburgs und Deutschlands Außenhandel mit Osteuropa und Russland berichtet er seit Jahrzehnten.

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