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Schweiz: Eiskanal und Steinbockschnitzen | ABC-Z

Plötzlich geht alles ganz schnell. Geplauder und Lachen verstummen. Nur das Schaben der Schlitten-Kufen durchbricht die Stille. Ein kurzer Anlauf, der Fahrer wirft sich auf das Gefährt, die Höllenfahrt durch den Eiskanal beginnt.

Allzu verständlich, dass es gut betuchte Engländer bereits vor dem 19. Jahrhundert im Winter ins Alpenland zog. Gerade während der vorwiegend verregneten und grauen Zeit auf ihrer Insel. Im Oberengadin in der Region Maloja im schweizerischen Kanton Graubünden schien die Sonne, Schneekristalle funkelten und allerhand Abwechslungen fand man in St. Moritz, das damals wie heute Treffpunkt der Wohlhabenden war. Den Kutschfahrten und des „Five o‘clock Tea“ überdrüssig kamen erste englische Wintertouristen auf eine glorreiche Idee, warum nicht die vereiste Straße von St. Moritz nach Celerina auf einfachen Schlitten berg­ab rasen.

Es war die Geburtsstunde des „Cresta Run“. Als Urfassung entstand ein offener Eiskanal mit Wänden aus demselben Material. Mit den Jahren erfuhr der immer mehr an Beliebtheit wachsende Sport etliche Verfeinerungen. Über 1212 Meter geht es durch zehn Kurven, der Höhenunterschied beträgt 157 Meter. Dabei können Teilnehmer eine Geschwindigkeit von bis zu 140 Stundenkilometern erreichen. Das Ganze mit der Nase nur wenige Zentimeter über dem Eis. Seit 2018 dürfen auch Frauen teilnehmen, denen einst gesundheitliche Schäden durch das Liegen auf Brust und Bauch nachgesagt wurden. Das Skeleton-Rennen schaffte es sogar in die Olympischen Winterspiele 1928 und 1948. Mit den ersten warmen Frühlingstagen setzt seine Vergänglichkeit ein. Das Eis schmilzt und jeden Winter beginnt das Abenteuer aufs Neue. Der Cresta Run im Engadin lockt zahlreiche Zuschauer auch ins nur wenige Kilometer von St. Moritz entfernte Celerina.

Erinnerungen an diese glorreichen Zeiten spiegeln sich heute noch im Hotel Cresta Palace in Celerina. Wer nicht zu den allzu abenteuerlich gesinnten Wintergästen zählt, hat dort diverse Möglichkeiten, seine Urlaubstage zu verbringen. Nach einem Tag voller sportlicher Aktivitäten hat man eine Auswahl an vier verschiedenen Restaurants, mit jeweils individuellen Konzepten. Zuvor lassen sich im großzügigen Wellness-Bereich angestrengte Muskeln durch wohltuende Massagen wieder entspannen. Direkt hinter dem Hotel sind Skilifte in wenigen Minuten zu Fuß erreichbar. Dasselbe gilt auch für den Bahnhof.

Geräumte Winterwanderwege führen durch die fast 1800 Meter hoch gelegene Talebene, auch entlang des noch jungen Inn. Das benachbarte St. Moritz bietet dann für Schaulustige allerlei Abenteuer mit der Kreditkarte. Dabei ist am oberen Ortsende das architektonisch gelungene Museum mit Galerie der Werke des Oberengadiner Malers Giovanni Segantini eine Erkundung wert. Wer von Schnee und Eis genug hat, reist mal kurz mit dem Zug ins italienische Tirano, wo der Winter schon Vergangenheit ist.

„Seid vorsichtig, die Schnitzmesser sind echt scharf. Also auf jeden Fall eure Schutz-Handschuhe tragen.“ Urska weiht uns in die Geheimnisse des Schnitzens ein. Gemäß der Landschaft, in der wir uns befinden, soll es ein Steinbock sein. Zum Glück steht uns ein Prototyp aus Lindenholz zur Verfügung, den wir nur noch verfeinern müssen. Urska ist Gästebetreuerin im Maiensässhotel Guarda Val im 1600 Meter hoch gelegenen Weiler Sporz, oberhalb von Lenzerheide in Graubünden.

Die teilweise 300 Jahre alten Hütten und Ställe dienten einst den Bauern als „Verschnaufpause“ bevor es endgültig hinauf zur Alm ins Hochgebirge ging. Wie vielerorts kam eine Zeit, in der sich für einen Landwirtschaftsbetrieb in dieser Lage keine Zukunftsaussichten boten. Als Alfred Gantner, Besitzer der Hotelanlage, die elf alten Gebäude sah, sah er gleichzeitig, welches Potenzial sich hier für ihn bot: gestressten Gästen einen Luxus-Aufenthalt mit Bündner Alptradition in der Natur zu bieten. Dabei hatte er genaue Vorstellungen für das Konzept: Das Feuer muss lodern, wenn in der FÖ-Küche mittags im Freien gekocht wird, und bei jedem Speise-Gang muss ein Produkt aus der Region dabei sein. Doch nicht nur im Gourmet Restaurant Guarda Val, sondern auch im urigen Crap Naros serviert man Gästen bündnerische Spezialitäten.

„Kommt‘s mit mir in den Käsekeller. Dort könnt‘s ihr aussuchen, was ihr wollt!“ Im Untergeschoss ist es schummrig und kühl, wir stehen vor einer Vielzahl von Käsesorten und wissen nicht, für welchen wir uns entscheiden. Bergkäse gehört auf jeden Fall dazu, und Ziegenkäse aus der Region darf auch nicht fehlen. Gut, dass wir den Nachtisch für heute Abend gestrichen haben. Bevor es an der Bar wieder nach oben geht, kommen wir nicht an dem Wurlitzer Musikautomaten vorbei, ohne eine der nostalgischen Schallplatten zum Klingen zu bringen.

„Pst!“ Jäger Stefan legt seine Finger auf die Lippen. Wir verstehen, er hat etwas entdeckt. Seit 6 Uhr morgens sind wir mit ihm unterwegs zur Wildbeobachtung. Über eine halbe Stunde folgen wir ihm fast lautlos den Berg hinauf. Mit dem Fernglas können nun auch wir Rehe erkennen, die sorglos das erste frische Grün zupfen. Immer mehr Tiere geraten in unseren Fokus, wir zählen acht. Das ist ungewöhnlich. Doch dann haben sie uns wohl erspäht und verschwinden bergauf. Nur wenig später stoßen wir auf Gämsen, wunderbare Tiere mit ihrer eigenartigen Gesichtszeichnung und den geschwungenen Hörnern. Sie sind besonders scheu, und schon stürmt die ganze Herde bergab. Inzwischen wagen sich Sonnenstrahlen hinter den Berggipfeln hervor. Vergessen ist das unwillige, frühe Aufstehen. Bald erreichen wir den geografischen Mittelpunkt des Kantons Graubünden. Urs­ka versorgt uns mit wohlduftendem, heißem Tee. Momente, welche uns doch noch an eine heile Welt glauben lassen.

Nur wenige Kilometer von Sporz entfernt befindet sich der romantisch in einem Alpental liegende bekannte Ferienort Lenzerheide, Ausgangspunkt für Skifahrten im Gebiet Arosa mit insgesamt über 200 Pistenkilometern, die bis auf 2865 Meter Höhe führen. Während einer Vollmond-Fahrt, oder wer als Early Bird die Abfahrt genießt, erlebt unvergessliche Momente.

Über 80 Kilometer Winterwanderwege mit sieben ausgeschilderten Touren können erkundet werden. Aber auch im Sommer lässt sich hier viel unternehmen. Lenzerheide ist auch bei Bikern ein beliebtes Ziel. Herzstück bildet der Bikepark. Um diese Jahreszeit lassen sich bei einem Rundgang um den glasklaren Heidsee viele verschiedene Wasservögel entdecken. „Schau mal, meine Wurst ist gleich fertig.“ Stolz hält ein kleiner Junge seinen Spieß über das Feuer. Besonderen Spaß versprechen die in der Schweiz üblichen Familien-Feuerstellen. Holz ist vorhanden, ebenso ein eisernes Grillgitter. Wenn sich morgen wieder die Sonne zeigt, wird es uns bestimmt nicht langweilig.

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