Kultur

“Hallo Spencer – Der Film”: Lasst noch mal die Puppen tanzen! | ABC-Z

Wer in den Achtzigern und
Neunzigern Kind war, hat den Satz vermutlich noch im Kopf: “Hallo, liebe Leute,
von A bis Z, von eins bis 100, von Norden bis Süden und von Osten bis Westen.
Hier bin ich wieder, euer guter alter Spencer!”, so begrüßte die Titelfigur aus
Hallo Spencer sein Publikum. Die NDR-Serie für Kinder im Vorschulalter
lief von 1979 bis 2001 im Ersten, den Dritten Programmen und später im KiKA,
noch bis 2013 wurden Wiederholungen ausgestrahlt. Ursprünglich war die Puppenserie
gedacht als vorübergehender Ersatz für die Sesamstraße, doch die
Pilotfolgen kamen so gut an, dass der NDR weiterproduzieren ließ.

Spencer, eine Klappmaulfigur aus
gelbem Plüsch, im karierten Anzug und mit Schiebermütze, war gleichzeitig
Moderator und Bürgermeister eines kreisförmig angelegten Dorfs. Die Serie
begleitete den Alltag der liebenswürdigen und schrulligen Bewohnerinnen und
Bewohner: Da war Poldi, der laut eigenen Angaben “schönste Jungdrache der Welt”,
der immer “Ich will dir fressen” ruft. Der gutmütige Kasimir und der
griesgrämige Nepomuk, der intellektuelle Lexi und die sehr unterschiedlichen
Zwillinge Mona und Lisa.

Die Spencer-Gang hat bis heute
Fans, einer davon ist der Satiriker und Moderator Jan Böhmermann. Bereits Ende
2020, in der ersten Ausgabe des ZDF Magazin Royale, gab es einen Einspieler mit einer
nachgebauten Spencer-Puppe mit Aluhut, als Parodie auf die Corona-Äußerungen
diverser Prominenter. Der Sendungserfinder Winfried Debertin antwortete in
einem Video
auf
seinem YouTube-Kanal “Spencer TV”, Böhmermann wiederum lud ihn in die Sendung
ein. Dabei erzählte Debertin, dass er zum 40. Jubiläum vergeblich einen
Kinofilm drehen wollte, und dass er alle Puppen und Kulissen in einer alten
Disco, dem MicMac in Moisburg bei Hamburg, aufbewahrt hat. Weil das Gebäude
abgerissen werden sollte, wusste er nicht, wohin mit ihnen.

Nachdem Böhmermann den Spencer-Fundus
mit einem Team besucht hatte, stieß er selbst eine Filmidee an. Mit dem ZDF
Magazin Royale
-Headautor Tim Wolff und dem Karikaturisten Elias Hauck
(Hauck & Bauer) schrieb Böhmermann das Drehbuch. Timo Schierhorn, der sonst
Musikvideos unter anderem für Deichkind und Tocotronic dreht, führte Regie. Hallo
Spencer – Der Film
handelt nicht nur davon, wie ein Film über Hallo
Spencer
entsteht – er ist vor allem eine Hommage ans Fernsehen, mit dem die
Millennials aufgewachsen sind.

Rainer Bock spielt den Spencer-Erfinder,
der im Film Jakob Sesam heißt und in einer alten Disco namens Coconut Cave
lebt. Dort hütet er die Spencer-Requisiten und tritt mit den Puppen bei
Kindergeburtstagen auf, bis die Disco-Besitzerin Peggy (Victoria
Trauttmansdorff) ihn rausschmeißen will. Eine Firma hat ihr zehn Millionen für
das Grundstück geboten, um dort ein Pflegeheim zu bauen. Um sein
Vermächtnis zu schützen, muss Sesam mit dem Angebot mithalten und beginnt,
einen Film zu schreiben. An seiner Schreibmaschine ist er umringt von den
Puppen. Der Film wurde mit Originalrequisiten, -puppen und fast allen
Puppenspielerinnen und -spielern sowie Sprecherinnen und Sprechern von damals
gedreht. In Sesams Fantasie reden und interagieren sie mit ihm, ebenso wie seine
verstorbene Partnerin Luise (Margarita Broich), deren Rolle auf der realen,
verstorbenen Partnerin und Hallo Spencer-Co-Erfinderin Angelika Paetow
basiert.

Sesam pitcht seine Idee vor divers
besetzten Gremien von Streaming-Diensten und vor dem fiktiven NRF, dem Nord
Rund Funk
, der natürlich der NDR sein soll. Dort sitzen ausschließlich alte
weiße Männer und sagen: “Diversity ist uns wichtig, und Female
Empowerment
, is’ ja klar.” Und dann mischt da noch das Verlegerpaar Magnus
und Jette Wilde (gespielt von Jens Harzer und Marina Galic) mit, das im Film die Rechte an Hallo Spencer hält – und sicher nur zufällig an reale Vorbilder in der Berliner Medienlandschaft erinnert. Von Bett, Badewanne und Sauna aus scheuchen sie ihre Assistenten herum und
träumen von einem “Hallo Spencer Cinematic Universe”, das Millionen einbringt. Die
Wildes lassen die Puppen erst einmal umstylen, weil sie ihnen “zu Achtzigerjahre
Westdeutschland” aussehen. Spencer bekommt Beanie
und Perlenkette verpasst. Poldi, mit Tribal auf der Brust, zieht an der
E-Zigarette und “Kasi” raunt: “Slay, Pussy Queens!”

Da sind sie ja alle wieder: Die Original-“Spencer”-Puppen sitzen vor ihren neuen Besitzers Jette und Magnus Wilde (Marina Galic und Jens Harzer, mit dem Rücken zum Bild). Im Hintergrund: das gestresste Assistenzteam Ilknur (Aybi Era) und Friederich (Hendrik v. Bültzingslöwen) © ZDF/​Gordon Timpen

Hallo Spencer ist einer
dieser Filme, die man mehrmals gucken kann und jedes Mal neue Details entdeckt.
Zum Beispiel Gastauftritte von Olli Dittrich und dem Musiker Carsten Meyer
(Erobique), auch Böhmermann selbst und der Original-Spencer-Sprecher Achim
Hall sind vor der Kamera zu sehen. Überhaupt ist Hallo Spencer – Der Film
hervorragend besetzt, vor allem Rainer Bock glänzt als melancholischer, aber
zweckoptimistischer Sesam. Als er irgendwann doch verzweifelt, begegnet er
Tocotronic-Frontman Dirk von Lowtzow. “Sie wirken irgendwie wie jemand, der
seit Jahrzehnten in den Köpfen von Millionen großgewordener Kinder lebt”, sagt dieser
zu Sesam und performt mit der Band des Spencer-Dorfs, den Quietschbeus,
einen Song, den er für den Film geschrieben hat (Musik: Albrecht Schrader).

Der Film ist kein Revival der Serie
und kein reines Nostalgieprojekt. Er ist stellenweise herzzerreißend und dann
wieder herrlich komisch, als Mediensatire mehr ein Film für Erwachsene. Im
Grunde ist Hallo Spencer aber ein Weihnachtsfilm für die ganze Familie.

Bei der Premiere auf dem Münchner
Filmfest im Sommer kämpfte der Erfinder Debertin auf der Bühne mit den Tränen
und sagte: “Der Film hat in vielerlei Hinsicht etwas Therapeutisches gehabt.” Abgeschlossen
hat er mit dem Spencer-Universum aber nicht. Im Interview mit dem ZEITmagazin sagte
Debertin, er träume davon, seinen eigenen Hallo Spencer-Film zu drehen
und ins Kino zu bringen. Derzeit lagert das Puppenserien-Universum in ein paar
Überseecontainern. Das wäre doch eigentlich Stoff für eine Fortsetzung.

“Hallo Spencer – Der Film” ist
ab 13. Dezember in der ZDF-Mediathek abrufbar und läuft am 25. Dezember um
20.15 Uhr bei ZDFneo und am 27. Dezember 2024 um 23.45 Uhr im ZDF.

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