Haimhausen rückt seine historischen Gebäude ins Bewusstsein – Dachau | ABC-Z

Schaut man sich die Fassaden alter Häuser an, kann man bisweilen in ihnen lesen wie in einem Buch voller spannender Geschichten. Manche sind aufs Feinste herausgeputzt – und doch nur schöner Schein, weil sie innen ganz auf 21. Jahrhundert getrimmt sind. An anderen wiederum hat der Zahn der Zeit sichtbar genagt. Sie sind Symbole des Werdens und Vergehens. Bei wieder anderen fragt man sich unwillkürlich: Wer hat hier gebaut und gewohnt?
Für Hiltrud Frühauf sowie ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter vom Arbeitskreis Ortsgeschichte im Haimhauser Kulturkreis sind die alten Gebäude in ihrem Dorf Leidenschaft und Herausforderung zugleich. Werden sie doch im öffentlichen Bewusstsein gerne von den zwei „Leuchttürmen“, nämlich Schloss und künftige Nutzung des früheren Haniel’schen Brauereigeländes, verdrängt. Nun hat der Arbeitskreis bei acht Häusern deren Geschichte und die ihrer Bewohner erforscht und auf unübersehbaren Tafeln – inklusive QR-Code für Detailinformationen – aufgeschrieben.
Doch damit nicht genug. Architekt Hans Schindlböck hat vor einigen Jahren die Fundamente des einstigen Wasserschlosses Favorita auf dem Schlossgelände gefunden. Vorausgegangen war eine jahrelange detektivische Klein- und Kleinstarbeit des Arbeitskreises Ortsgeschichte in Archiven, Urkunden, Plänen und Büchern. Die kargen Überreste des einstmals prachtvollen Lustschlosses bleiben allerdings als Bodendenkmal unangetastet, so wie aktuell weitere unterirdische Denkmäler im Dorf.
„Da sind sie erst einmal sicher“, sagt Hiltrud Frühauf und erzählt so lebendig und mit ungeheurer Liebe zum Detail von der Historie der vom Arbeitskreis erforschten Häuser, dass man am liebsten gleich losspazieren würde, um sie alle anzusehen. Da ist zum Beispiel das Schinnerer-Schlössl in der Dachauer Straße 73. Benannt ist es nach dem Maler Adolf Schinnerer (1876-1946). Der Mitbegründer der Neuen Sezession in München, war auch Mitglied der Reichskammer der bildenden Künste in der NS-Zeit. Seine früheren Grafiken beschlagnahmten die Nazis jedoch, weil sie ihnen als „entartete Kunst“ galt. Nach dem Zweiten Weltkrieg holte Schinnerer die „Akademie der Bildenden Künste“ übergangsweise ins Haimhauser Schloss, weil deren Gebäude in München völlig zerstört war.
Das Bruckmeier-Haus in der Dorfstraße 24 war einmal das Jägerhaus und dann das Ledererhaus. Das kam so: Um das Jahr 1660 wohnten hier die vom Schlossherrn angestellten Jäger. Von 1742 an zogen Gerber, genannt Lederer, ein. Sie hatten ideale Arbeitsbedingungen für ihr Handwerk, da das Haus bis 1841 auf einer Insel im Mühlbach lag. Der damalige Schlossherr Theobald Sigmund Graf Butler-Haimhausen befahl einen Durchstich, um das Mühlbach-Wasser regulieren zu können. 1959 starb der letzte Gerber Haimhausens, Alois Bruckmeier. Nur wenig später ließ die Hauseigentümerin Rosalia Bruckmeier die arg verblasste Fassade vom Haimhausener Künstler Bernhard Kühlewein erneuern.
Um einen Blick auf den Mesnerhof zu werfen, muss man in den Haimhauser Ortsteil Westerndorf fahren. Hiltrud Frühauf kennt die historischen Bauernhäuser dort. Unter ihnen nimmt der Mesnerhof eine Sonderstellung ein. Denn der Grundbesitz gehörte einstmals dem Kloster Fürstenfeld. Bereits 1432 hatte ihn ein Hans Westendorfer den geistlichen Herren überlassen, in deren Besitz der Hof bis zur Säkularisation 1802 blieb. Den Namen verdankt er dem Mesneramt, das die Hofbesitzer in der nahe gelegenen Kirche Sankt Peter und Paul ausübten. Die Geschichte des Hofes ist ein Auf und Ab, ein Spiegelbild der Zeitläufte mit Krieg und Frieden, mit Niedergang und Wiederaufbau.

Ein wenig Stolz schimmert bei Hiltrud Frühaufs Erzählungen durch, als sie vom barocken Schweifgiebel auf dem Hauptgebäude schwärmt. Von diesem war allerdings in den 1970er-Jahren nicht mehr viel zu sehen, denn das Haus war lange Zeit unbewohnt, das Dach drohte einzustürzen, das Gebäude moderte vor sich hin. Doch die Besitzer wollten das Haus nicht endgültig seinem Schicksal überlassen. Mit Unterstützung der Denkmalpflege begannen sie eine Rettungsaktion – und heute ist auch der barocke Schweifgiebel wieder zu sehen.
Die erste „Kinderbewahranstalt“ im alten Mesnerhaus gab es aus ganz praktischen Gründen
Das Mesnerhaus steht zwar nicht unter Denkmalschutz, ist aber für die Haimhausener mehr als ein halbes Jahrhundert lang unverzichtbar gewesen: als Kindergarten in der Dorfstraße 1. Er wurde 1907 von der damaligen Schlossherrin Henriette Haniel von Haimhausen gegründet. Nicht unbedingt aus altruistischen Erwägungen, sondern aus ganz praktischen Gründen: So konnten die Frauen aus dem Dorf in den Haniel’schen Schlossbetrieben ihrer Arbeit nachgehen.

Um die Kleinen kümmerten sich Dillinger Franziskanerinnen. Sie nahmen – und waren damit ihrer Zeit weit voraus – in der Kinderkrippe bereits Säuglinge auf. Im angeschlossenen Kindergarten, „Kinderbewahranstalt“ genannt, und im Hort betreuten sie bis zu vierzig Kinder täglich. 1964 wurde ein neuer Kindergarten in Betrieb genommen. Die letzte Ordensfrau verließ 1998 Haimhausen.
Schon diese wenigen Einblicke in die Häusergeschichte machen Lust auf mehr. Wird es also weitere Geschichtstafeln geben? „Da müssen wir erst einmal die Finanzierung klären“, sagt Hiltrud Frühauf. So energiegeladen und engagiert, wie sie über dieses Projekt spricht, wird der Arbeitskreis auch dieses Problem lösen.