Hafenwirtschaft: „Wir werden täglich mehrere Hundert Mal angegriffen“ | ABC-Z
Die deutsche Hafenwirtschaft stockt ihre Forderung für die Unterstützung des Bundes auf 500 Millionen Euro jährlich auf. Neben der Funktionsfähigkeit des Außenhandels und der Energieversorgung rückt die militärische Tauglichkeit der Seehäfen immer stärker in den Fokus.
Die deutsche Hafenwirtschaft will vom Bund jährlich 500 Millionen Euro an Förderung haben, um die Funktionsfähigkeit der Infrastruktur in den Seehäfen zu erhalten und zu stärken. Das sagte am Montag in Hamburg Angela Titzrath, die Vorstandsvorsitzende des Hafenlogistikkonzerns HHLA, die zugleich auch Präsidentin des Zentralverbandes der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) ist. Bislang ging die Hafenwirtschaft davon aus, dass der Bund mindestens 400 Millionen Euro im Jahr beisteuern muss.
Im ersten Halbjahr 2024 war der Güterumschlag im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 50.000 Tonnen auf insgesamt 136,29 Millionen Tonnen gestiegen. Der Containerumschlag legte im ersten Halbjahr um 3,3 Prozent auf 6,5 Millionen Containereinheiten (TEU) zu. „Egal ob sichere Versorgung, industrieller Erfolg, die Energiewende oder die Zeitenwende: Die Zukunft Deutschlands entscheidet sich auch in den Seehäfen“, sagte Titzrath. „Infrastruktur ist eine grundlegende Bedingung für ein funktionierendes Gemeinwesen. Wir können uns keine Politik leisten, die den gesellschaftlichen Wert einer Sache erst dann erkennt, wenn sie nicht mehr funktioniert. Das gilt besonders für die Seehäfen und die Finanzierung der oft staatlichen Infrastruktur.“
Die Erhöhung der Forderung auf 500 Millionen Euro im Jahr habe mit „Kostensteigerungen und der Inflation“ zu tun, sagte Titzrath. Der Bund unterstütze die deutschen Seehäfen seit 14 Jahren unverändert mit insgesamt 38 Millionen Euro. „Auf der einen Seite muss die Grundfinanzierung der Seehäfen vor allem für nötige Sanierungen gesichert sein. Eine neue Bundesregierung muss das in ihrem Regierungsprogramm festhalten“, sagte sie. „Auf der anderen Seite muss der Bund sich für den Wirtschaftsstandort Deutschland auch deutlich stärker an Investitionen, etwa für neue Terminalinfrastrukturen für die Energiewende beteiligen. Auch hier erwarten wir mit einer neuen Regierung einen konkreten Schritt nach vorne.“
Besonderes Augenmerk richtet die Hafenwirtschaft inzwischen auf die militärische Tauglichkeit der Hafenanlagen. Der seit dem Frühjahr vorliegende „Operationsplan Deutschland“ bezieht auch die Seehäfen intensiv in die Abwehrstrategie der Nato gegen eine mögliche Aggression Russlands im Osten der Europäischen Union und der Nato mit ein.
Frank Dreeke, Vorstandsvorsitzender des Bremer Logistikkonzerns BLG Logistics Group und Präsidiumsmitglied des ZDS, sagte mit Blick auf Russlands hybride Kriegsführung und die Cybersicherheit der deutschen Häfen: „Wir werden täglich mehrere Hundert Mal angegriffen.“ Für die digitale Sicherheit auf den Terminals und in den Hafenanlagen müssten die Unternehmen als deren Betreiber sorgen, sagte Dreeke. Eine abwehrfähige Infrastruktur – Straßen, Schienen, Kaikanten und Flächen – in den Seehäfen müsse allerdings die öffentliche Hand bereitstellen: „Andere Länder sind hier in den vergangenen Jahren viel weitsichtiger gewesen und haben schneller gehandelt, unter anderem die USA.“ Bremerhaven, das zentrale Drehkreuz von BLG Logistics, ist in Deutschland der wichtigste Seehafen für die US-Armee und für die seeseitige Bewegung von Nato-Truppen.
Auch die Bundeswehr brauche mehr „Pufferflächen“ an den deutschen Häfen, sagte Dreeke. Man sei bereit, intensiv mit den deutschen Streitkräften zu kooperieren. „Wir tun das seit Jahrzehnten“, sagte er mit Blick auf die US-Armee in Bremerhaven, „und wir würden es auch für die Bundeswehr tun. Aber diese logistischen Leistungen müssen bezahlt werden.“
Der ZDS und die Hafenwirtschaft fordern seit Jahren eine Erhöhung der Bundesmittel für die Seehäfen. Die Hafenstädte und die Bundesländer allein könnten diese Kosten nicht tragen, sagte Titzrath. Die teils marode Infrastruktur auch in den Seehäfen, die wachsenden Anforderungen angesichts vor allem immer größerer Containerschiffe, aber auch die Verschlickung von Flussläufen wie der Weser und der Elbe zeigen, dass die deutschen Seehäfen von der öffentlichen Hand unterfinanziert sind.
„Wir greifen mit unserer Forderung finanziell nicht nach den Sternen“, sagte Titzrath. Sie setzte die halbe Milliarde Euro an Bundesmitteln in Bezug zur extrem niedrigen Tonnagesteuer, mit der die deutschen Reedereien besteuert werden, trotz hoher Gewinne in der Schifffahrt. Dies sei, sagte Titzrath, ein finanzielles Privileg in Höhe von jährlich „mehreren Milliarden Euro“.
Die ZDS-Präsidentin kritisierte auch den neuen Protektionismus in vielen Ländern und Regionen: „Überall auf der Welt beobachten wir einen Rückfall in den Protektionismus und die Rückorientierung auf vermeintlich nationale Stärke. Die Antwort auf wirtschaftliche Probleme liegt aber ganz sicher nicht in der Abschottung“, sagte Titzrath. „Der freie Austausch über Grenzen hinweg schafft und sichert Wohlstand. Hier müssen wir weitergehen, Hemmnisse abbauen und neue Freihandelsabkommen, wie etwa mit Indien, vorantreiben. Leichtfertig verhängte Sonderzölle, wie aktuell gegenüber E-Autos aus China, schaden nicht zuletzt der eigenen Wirtschaft immens.“
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit 35 Jahren über die maritime Wirtschaft, über Häfen, Schifffahrt und Werften.