Wirtschaft

Habeck bei Stahlgipfel: „Haben in letzten 20 Jahren zu wenig in Wettbewerbsfähigkeit des Landes investiert“ | ABC-Z

Die Stahlindustrie steckt in einer tiefen Krise. Ein Aktionsplan von Industrie, IG Metall und elf Bundesländern soll nun Abhilfe schaffen. Hendrik Wüst sichert Unterstützung zu – und Wirtschaftsminister Habeck macht ein Angebot.

Schlafprobleme sind Hendrik Wüst fremd. „Ich habe einen gesegneten Nachtschlaf“, sagt der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Dass seine schwarz-grüne Landesregierung gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium rund zwei Milliarden Euro Fördergeld für das Projekt „tkH2Steel“ von Thyssenkrupp bezahlt, mit dem Deutschlands größter Stahlhersteller durch den Bau einer sogenannten Direktreduktionsanlage am Standort Duisburg den Einstieg in eine klimafreundliche Stahlproduktion schaffen will, hat den CDU-Politiker dann aber doch nachts wach liegen lassen.

„Da habe ich zwei Nächte schlecht geschlafen“, gibt Wüst zu. „Wegen der Dimension des Projekts.“ Schließlich gehe es um sehr viel Geld. „Und das in einer Zeit, in der wir es uns gar nicht leisten können.“

Infrage steht die Förderung trotzdem nicht. „Unser Commitment ist sicher und klar. Wir stehen dazu“, sagte Wüst beim zweiten Nationalen Stahlgipfel in der Mercator-Halle in Duisburg, bei dem sich Spitzenpolitiker aus Land und Bund mit Gewerkschaftern und Unternehmern sowie der Wirtschaftsvereinigung Stahl getroffen haben. Stahl sei schließlich eine der Säulen des Industriestandorts Deutschland und stehe am Anfang vieler Wertschöpfungsketten. „Ohne Stahl kein Maschinenbau, keine Autoindustrie, kein Bau von Wohnungen und Infrastruktur“, erklärt Wüst. Stahl habe Tradition und Geschichte und gehöre zur DNA dieses Landes. „Und wir wollen, dass es so bleibt.“

Wüst nimmt damit Bezug auf anhaltende Diskussionen, ob und warum in Deutschland überhaupt noch Stahl produziert werden soll. Denn die Branche steckt in einer tiefen Krise. Zum einen fehlt die Nachfrage aus den wichtigen Abnehmerbranchen, zum anderen drängen Billigimporte vor alle aus Asien auf den deutschen Markt und zerstören das Preisgefüge für die heimischen Anbieter, die aufgrund hoher Energiekosten und Netzentgelte derzeit ohnehin kaum wettbewerbsfähig produzieren können. Gleichzeitig aber muss die angeschlagene Branche, die für alleine sieben Prozent der Treibhausgasemissionen hierzulande steht, die grüne Transformation schaffen.

„Die Energiekosten fressen sämtliche Mittel auf“

Für diese klimaneutrale Umstellung fehlt mittlerweile aber das Geld. „Die Energiekosten fressen sämtliche Mittel auf, die eigentlich für Investitionen in die Zukunft vorgesehen sind“, sagt Anne-Marie Großmann, die Geschäftsführerin der Georgsmarienhütte Holding, und warnt: „Was heute nicht investiert wird, ist morgen oder übermorgen weg.“

Die Angst vor Schließungen und Abwanderungen treibt auch die Wirtschaftsvereinigung Stahl um. „Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist bereits zwölf“, sagt Gunnar Groebler, der Präsident des Branchenverbandes. Gemeinsam mit der IG Metall und den Wirtschaftsministern der elf Bundesländer mit Stahl-Standorten wie zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bayern, Bremen, Hamburg oder Saarland fordert er mehr Unterstützung seitens der Bundesregierung, um den Erhalt der Stahlindustrie in Deutschland sicherzustellen.

Dazu haben die Beteiligten den „Nationalen Aktionsplan Stahl“ formuliert und an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) übergeben. Gefordert werden darin zum Beispiel wettbewerbsfähige Energiepreise, ein schnellerer Ausbau erneuerbarer Energien, eine Begrenzung der Stromnetzentgelte, aber auch die Schaffung grüner Leitmärkte, also der Aufbau von Nachfrage nach CO2-reduziertem Stahl mithilfe öffentlicher Aufträge. „Eine wettbewerbsfähige heimische Stahlindustrie sei essenziell für industrielle Wertschöpfungsnetze, Wohlstand, Beschäftigung und eine grüne Transformation in Deutschland und Europa“, heißt es dazu im Aktionsplan.

„Grüner Stahl made in Germany ist unser Antrieb“

Habeck zeigte sich bei seinem Stahlgipfel-Auftritt offen für Hilfen. „Grüner Stahl made in Germany ist unser Antrieb“, sagte der Minister. Denn der sei zweifelsfrei die Zukunft. „Stahl wird künftig grün produziert. Die politische Frage ist nur: Soll er auch in Deutschland und Europa hergestellt werden“, stellt Habeck in den Raum, um die Antwort sofort selbst zu geben: „Das kann nur mit ‚Ja‘ beantwortet werden. Es ist undenkbar, dass wir in Deutschland und in Europa für all die Bereiche, die wir brauchen, von der Rüstung und der Sicherheitsindustrie bis hin zur Infrastruktur keine Produktionskapazitäten für Stahl haben. Wir wären in allen zentralen Bereichen abhängig von ausländischen Importen.“ Das könne nicht richtig sein.

„Das Bekenntnis zum Stahlstandort Deutschland ist ein Bekenntnis zur Resilienz nicht nur der Wirtschaft, sondern der gesamten Volkswirtschaft.“ Der eingeschlagene Weg der Transformation müsse deswegen zusammen weitergegangen werden.

Möglichkeiten zur Unterstützung sieht Habeck dabei vor allem in zwei Bereichen: durch eine Änderung des Vergaberechts und durch die Subventionierung von Netzentgelten. Beim Thema Vergaberecht denkt der Minister an Ausschreibungskriterien, die grünen Stahl aus Deutschland bevorzugen, wie er beim Stahlgipfel ausgeführte. „Damit würden wir die Investitionen in grünen Stahl mit einer sicheren Nachfrage absichern.“

Zweitens müsse beim Thema Energiekosten angesetzt werden. „Hier geht es vor allem um die Infrastrukturmaßnahmen“, erklärt der Minister. Zwar sei der Ausbau der Stromnetze elementar wichtig. „Jeder sieht, dass wir in den letzten 15, 20 Jahren zu wenig in die Wettbewerbsfähigkeit des Landes investiert haben – und zwar nicht aus Versehen. Wir waren systematisch unterfinanziert.“ Damit aber gebe es eine politische Begründung, die hohen Kosten für den Netzausbau nicht bei den Unternehmen abzuladen, bei denen sie sofort zu Buche schlagen und Investitionen verhindern. Stattdessen soll Habeck zufolge der Staat einspringen.

„Die Kraft solider Haushalte sollten wir nun nutzen“

„Das gesparte Geld ist ja nicht verraucht, es hat die Möglichkeit geschaffen, solide Haushalte zu haben. Diese Kraft sollten wir nun nutzen.“ Gemeint ist damit die Aufnahme staatlicher Kredite für den Netzausbau. „Dafür können wir die starke fiskalische Feuerkraft Deutschlands nutzen.“ Zumal die notwendige Infrastruktur für die nächsten Generationen gebaut werde. „Das wäre jedenfalls der Versuch einer politischen Argumentation – und ich glaube, die ist Markus Lanz- und Tagesschau-tauglich.“

An mehr als Worte in einer Talkshow oder Nachrichtensendung glaubt Habeck beim Thema Netzentgelt-Finanzierung aber offenbar selbst nicht. Auf WELT-Nachfrage, wie wahrscheinlich diese Idee ist, wiegelt der Vizekanzler jedenfalls ab. „Das ist in den gegenwärtigen Haushaltsverhandlungen nicht so sehr wahrscheinlich, sonst hätten wir es schon vorgeschlagen.“ Aber diese Debatte müsse geführt werden.

Stahl-Präsident Groebler zeigt sich dementsprechend ernüchtert und hofft nun auf Diskussionsbereitschaft bei den Koalitionspartnern SPD und FDP, aber auch bei der Opposition. „Wir brauchen einen übergreifenden Konsens.“ Zumal nicht nur die Stahlbranche betroffen sei, sondern alle energieintensiven Industrien in Deutschland.

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