Grünfläche: Das Scheitern der Feinfüßler in der Steppe | ABC-Z

In unserer Kolumne “Grünfläche” schreiben
abwechselnd Oliver Fritsch, Christof Siemes, Stephan Reich und Anna Kemper über die Fußballwelt und die Welt des
Fußballs. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende,
Ausgabe 14/2025.
So richtig gut verlieren können sie immer noch nicht in Leverkusen. Zwar verschonten sich Spieler und Verantwortliche nach der denkwürdigen Pokal-Pleite gegen den Vierten der dritten Liga keineswegs mit Selbstkritik. Aber einen Mitschuldigen dafür, dass bald womöglich wieder das Vizekusen-Gespenst umgeht unterm Bayer-Kreuz, hatten alle Verlierer schnell ausgemacht: die Grünfläche auf der Bielefelder Alm.
Schon im Vorhinein hatte der Rasen den rheinischen Feinfüßlern offenbar Kopfzerbrechen bereitet. “Wir wussten, dass es auf dem Platz kein super Spiel wird”, sagte Simon Rolfes, der Geschäftsführer Sport, beim Rechtfertigungsinterview mit der ARD; das übliche Kombinationsspiel sei dort “so nicht möglich” gewesen. Auch der Mittelfeldwüterich Robert Andrich gestand, schon vor dem Anpfiff sei in der Mannschaft ein Thema gewesen, dass “der Platz nicht der beste ist”. Immerhin war er ehrlich genug zuzugeben, dass der Gegner auch darauf spielen musste. Der CEO Fernando Carro forderte gar ernste Konsequenzen für die tapferen Arminen, die den Platz angeblich nicht hinreichend gewässert hatten: “Das ist eine Regularien-Sache. Da muss der DFB eine Strafe machen. Das geht nicht. Das kann man nicht akzeptieren.”
Stimmt schon: Das Geläuf vor den Toren sah so aus wie der Rasen in
Wimbledon am Finalwochenende – eine Ahnung von Grün in einer graubraunen
Steppe. Die Gastgeber hatten auch keinen Hehl daraus gemacht, dass sie den Vorteil
des räudigen Platzes, auf dem technische Unterlegenheit nicht so ins Gewicht
fällt, gnadenlos ausnützen würden. “Wir müssen jetzt einen Aschenplatz bauen,
damit wir ein bisschen mehr Chancen haben”, hatte der Bielefelder Trainer Mitch
Kniat gesagt, als die Halbfinallose gerade aus dem Topf gezogen worden waren. Nach
Studium der einschlägigen Vorschriften leisteten seine zuständigen Kollegen
ganze Arbeit. Gewässert wurde der Platz nicht, wie zum Beispiel in der feinen
BayArena üblich, unmittelbar vor dem Anpfiff, sondern am frühen Morgen – auch
das ist ja “am Spieltag”, wie es die Regeln vorsehen. Nach dem heißesten
deutschen März seit Menschengedenken verwandelte sich das Spielfeld dann binnen
Stunden in des Trainers knüppelharten Wunschtraum.
Jenseits aller botanischen Spökenkiekerei ist es
unübersehbar: Die Aura des Double-Gewinners Leverkusen, die in der Vorsaison so
makellos strahlte, flackert nun gelegentlich wie eine altersschwache Glühbirne.
Auf die mentalen Kraftakte, mit denen er – immer noch – Spiele in den letzten
Minuten umbiegen kann, folgen kaum erklärbare Aussetzer wie die Demütigungen
gegen die Bayern in der Champions League. Oder maue Unentschieden wie gegen
Holstein Kiel und den VfL Bochum. Selbst das Pokal-Halbfinale wurde erst nach einer
Zitterpartie gegen den Zweitligisten Köln mit knapper Not erreicht. Und nun der
Systemabsturz gegen ein Team, das in der globalen Clubtabelle schlappe
700 Plätze hinter Leverkusen (Platz 11) rangiert.
Woran liegt’s? Sind es mal wieder die mythischen Gesetze
des Pokals, denen zufolge die Goliaths der Branche die Davids beim besten
Willen nicht ganz ernstnehmen können? Beim Blick auf die Arminia hätte man
besonders gewarnt sein müssen, nicht nur, weil sie schon drei andere
Bundesligisten aus dem Wettbewerb geworfen hatten. Auch, weil hier die
Geschichte vom Underdog Arminius, der die Weltmacht Rom schlägt, sogar als
Graffiti den Spielertunnel ziert – als letzte Warnung an alle, die die Arena
betreten.
Ist es vielleicht die Abwesenheit des verletzten
Götterlieblings Florian Wirtz? “No, no, no”,
versicherte sein sichtlich ratloser Trainer Xabi Alonso nach dem Bielefelder
Blackout, seiner ersten Niederlage im DFB-Pokal überhaupt. “Das ist zu einfach,
wir haben auch ohne ihn gewonnen.” Oder steckte dem ecuadorianischen
Verteidiger Piero Hincapié noch die Länderspielreise in seine Heimat so in den
Knochen, dass er in allen spielentscheidenden Situationen von einer
Verlegenheit in die nächste stolperte?
Die Probleme (wenn man davon nach der
bislang zweitbesten Saison der Vereinsgeschichte überhaupt sprechen will)
scheinen grundsätzlicherer Natur zu sein. Einmal mehr zeigte sich, dass Bayer
allenfalls einen guten, aber keinen herausragenden Torhüter hat: Bei der
entscheidenden Freistoßflanke zum Bielefelder Siegtreffer klebte Lukáš Hrádecký auf der Linie, während der Ball kaum zwei Meter von ihm entfernt durch seinen
Fünfmeterraum zischte.
Zudem haben die Erfolge des Vorjahrs nahezu
jeden Leverkusener Spieler zu einer Ware auf dem Transfermarkt gemacht; das produziert
Gewinner und Verlierer, was wiederum Unruhe in die Kabine bringt und Konzentration
kostet. Selbst Alonso, als Trainergenie in aller Welt begehrt, ist nun
vielleicht doch schon mit den Gedanken beim nächsten Karriereschritt. Die ein
oder andere Partie vercoachte er in einer Weise, die an den Dauergrübler Pep
Guardiola erinnert, der sich selbst vor lauter Perfektionismus und
Innovationsfreude gelegentlich schachmatt setzt. Bielefelds Coach Kniat jedenfalls
hat Alonso nicht nur auf dem braunen Rasenansatz eiskalt ausgeguckt und seinen Arminen
kurz vor dem Anpfiff ein paar Videos vorgeführt, aus denen sie alles Notwendige
über die Anfälligkeit der Leverkusener bei langen Bällen lernten.
Alonso vermisste bei seiner Mannschaft
vor allem “Mentalität, Energie, Kreativität”. Vielleicht ist davon auch in
seinem Tank nicht mehr ganz so viel zu finden wie noch in der vergangenen Saison.
Dort war sein Selbstvertrauen und das seiner Spieler unerschütterlich. Aber
auch der Glaube an sich selbst ist anstrengend und zehrt an den Kräften, in den
Beinen und vor allem im Kopf.
Ein Double-Gewinner kann seinen Erfolg
bestenfalls wiederholen, zu verlieren hat er viel mehr. Damit muss man erstmal klarkommen.