Wirtschaft

Großbritannien: Schon nach wenigen Monaten droht die große Labour-Enttäuschung | ABC-Z

Nicht zuletzt Unternehmen hatten große Hoffnungen auf die neue Labour-Regierung in Großbritannien gesetzt. Doch schon fünf Monate später ist vom Stimmungshoch wenig übrig geblieben. Auch die Schuldfrage ist laut dem Industrieverband des Landes schon geklärt.

Monatelang hatten Rachel Reeves und Keir Starmer vor den Unterhauswahlen Anfang Juli daran gearbeitet, das Image der Labourpartei in der britischen Wirtschaft aufzubessern. Unzählige Breakfast Meetings mit Vertretern aller großen Branchen im Land, regelmäßige Gespräche, ein enger Austausch hinsichtlich Problemen und Erwartungen – die Rechnung ist aufgegangen.

Labour gewann 411 der 650 Sitze. Starmer wurde Premierminister, Reeves Finanzministerin. Die Stimmung im Sommer stand auf Wandel, die Partei startete mit großen Hoffnungen auch der Unternehmer im Land.

Doch nicht einmal fünf Monate nach den Wahlen ist dieses Stimmungshoch Geschichte. Britische Firmen seien dabei, ihre Wachstumspläne zu kappen, warnte Rain Newton-Smith, Generalsekretärin des Industrieverbandes Confederation of British Industries (CBI), am Montag in London. „Margen werden gedrückt und Gewinne schrumpfen und wenn Gewinne getroffen werden, trifft das die Wettbewerbsfähigkeit, trifft das Investitionen, trifft das Wachstum.“

Die Firmen, mit denen Newton-Smith spreche, wollten Beschäftigung schaffen, Investitionen ausbauen, Weiterbildung in den Regionen anbieten. „Doch stattdessen sind sehr viele – ganz besonders im Handel und im Gastgewerbe – inzwischen wieder im Modus der Krisenbekämpfung.“ Schweren Herzens erwägten sie, Investitionen zu kürzen, Dekarbonisierungsprojekte zu verzögern oder zusätzliche Kosten an die Kunden weiterzugeben.

Die Schuldfrage ist laut Newton-Smith eindeutig geklärt: die Steuererhöhungen in Reeves Haushaltsentwurf von Ende Oktober. Nachdem vor allem der Finanzministerin lange zugutegehalten worden war, die Beziehung ihrer Partei zur Wirtschaft instand setzen zu wollen, hat die Erhöhung des Arbeitgeberanteils zur Sozialversicherung „uns alle auf dem falschen Fuß erwischt […] und den Unternehmen eine schwere Last aufgeladen.“

Solche Steuererhöhungen dürften den Betrieben einfach nicht zugemutet werden. Erhebliche Zustimmung in der Wirtschaft haben darüber hinaus ein Paket zur Stärkung von Arbeitnehmerrechten und die Erhöhung des Mindestlohns gekostet.

Fast vier Wochen sind seit der Veröffentlichung des Haushaltsentwurfs vergangen. Doch die angekündigten Maßnahmen schlagen im Land fast jeden Tag neue Wellen. Während des Wahlkampfs hatte Labour versprochen, dass die arbeitende Bevölkerung nicht mit zusätzlichen Steuern belastet werde.

Geplante Steuererhöhungen belaufen sich auf 40 Milliarden Pfund

Einkommens- und Mehrwertsteuer sowie der Arbeitnehmerbeitrag zur Sozialversicherung fielen damit aus als mögliche Einnahmequellen, um eine Erhöhung der Ausgaben, etwa für den kriselnden staatlichen Gesundheitsdienst NHS oder dringend nötige Infrastrukturinvestitionen zu finanzieren. Zudem hatte Reeves zugesagt, die Obergrenze der Körperschaftssteuer von 25 Prozent unangetastet zu lassen.

Angehoben wurde stattdessen der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung um 1,2 Prozentpunkte auf 15 Prozent. Dieser Beitrag wird künftig schon bei Gehältern ab 5000 Pfund (6015 Euro) im Jahr fällig, bisher waren es 9100 Pfund. Hinzu kommen eine Reihe weiterer Maßnahmen, etwa die Einführung der Mehrwertsteuer auf die Gebühren von Privatschulen. Insgesamt belaufen sich die geplanten Steuererhöhungen 40 Milliarden Pfund. Gleichzeitig wurde der Mindestlohn um 6,7 Prozent auf 12,21 Pfund angehoben.

Irgendwie müssten die zusätzlich nötigen Ausgaben finanziert werden, beharrte Reeves immer wieder. Sie habe viele Rückmeldungen zum Budget gehört, erwiderte sie auf die Vorwürfe des Industrieverbandes. Eine echte Alternative habe sie bisher aber nicht gehört. „Ich bin mir bewusst, dass diese Entscheidungen Folgen haben“, betonte sie. Doch es sei die richtige Entscheidung für das Land, die Probleme des NHS anzupacken und Großbritannien wieder aufzubauen.

Als eine der wichtigsten Variablen hat die Regierung immer wieder auf Wachstum verwiesen. Der richtige Rahmen ermögliche Wirtschaftswachstum, was wiederum höhere Steuereinnahmen und zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten für die Regierung bedeute.

Doch gerade den Ausgangspunkt dieser Rechnung für mehr Wachstum sah Newton-Smith nun infrage gestellt. Eine Umfrage unter den CBI-Mitgliedern Anfang November hat ergeben, dass fast die Hälfte der teilnehmenden Betriebe Stellen abbauen wollen. Zwei Drittel fahren geplante Einstellungen zurück. 266 Mitgliedsunternehmen haben an der Befragung teilgenommen.

Mit seiner Kritik steht der Industrieverband nicht alleine

Lob hatte Newton-Smith dafür, dass es der Labour-Regierung gelungen sei, „den Vorhang zu ziehen über eine knappe Dekade Instabilität im Land.“ Doch als Voraussetzung für echtes Wachstum genüge das nicht. Sie verwies auf die Schätzung des Office for Budget Responsibility, der unabhängigen Behörde für Budgetverantwortung. Deren Vorhersage, an der auch das Finanzministerium seine Arbeit ausrichtet, geht für das Ende der Legislaturperiode von 1,5 Prozent Wachstum aus. Bis zur Erfüllung der Wachstumserwartungen sei es damit noch ein weiter Weg.

Mit seiner Kritik steht der Industrieverband nicht alleine. „Das Narrativ zum Wachstum fehlte ein wenig“, bemängelten auch die Analysten der Boston Consulting Group in einer Beurteilung des Haushalts. Statt einer echten wirtschaftspolitischen Strategie machten sie eher fiskalische Flickschusterei aus.

Vergangene Woche hatten mehr als 80 Führungskräfte aus dem Lebensmittel- und Einzelhandel in einem Brief an Reeves auf die erheblichen Kosten hingewiesen, die in ihrer Branche durch die neuen Steuersätze verursacht würden. „Die schiere Menge neuer Kosten und die Geschwindigkeit, mit der sie fällig werden, addiert sich zu einer Last, die Arbeitsplatzverluste unvermeidbar machen wird und höhere Preise zur Sicherheit werden lässt.“ Auf sieben Milliarden Pfund würden sich die Kosten für die Branche summieren, auch auf die Zulieferer würden sie durchschlagen.

Auch die wirtschaftlichen Indikatoren zeigen in die falsche Richtung. Der Einkaufsmanagerindex für November rutschte auf 49,9 Punkte. Das war nicht nur ein kräftiges Minus gegenüber den 51,8 Punkten vom Oktober. Seit 13 Monaten lag er auch zum ersten Mal unter 50, ein Hinweis dafür, dass die meisten Befragten ein schlechteres Umfeld ausmachen. „Unternehmen geben ein deutliches ‚Daumen-Runter‘-Signal zu den Maßnahmen, die im Budget angekündigt wurden“, sagte Chris Williamson, Chefvolkswirt bei S&P Global Market Intelligence.

Auch die Einzelhandelsumsätze sind zuletzt deutlich um 0,7 Prozent geschrumpft. Elias Hilmer von Capital Economics wollte nicht ausschließen, dass die Volkswirtschaft nach drei Wachstumsquartalen schon wieder schrumpfen könnte. Schlechte Nachrichten für Reeves sind das, und für die Wachstumserwartungen der Regierung.

Claudia Wanner schreibt für WELT vor allem über die britische Wirtschaft

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