Wirtschaft

Großbritannien: Personalnot in der Landwirtschaft – Versorgung mit Milch akut gefährdet | ABC-Z

In Großbritannien müssen immer mehr Höfe schließen oder ihre Herde reduzieren, weil sie kein Personal mehr finden. Das sorgt nun zunehmend dafür, dass die Versorgung mit Milchprodukten gefährdet ist. Nicht einmal die Rekordzuwanderung im Land schafft Abhilfe.

In Carmarthenshire, Ceredigion, Devon, Dorset und Somerset sind sie besonders häufig zu sehen: schwarz-weiß gefleckte friesische Rinder, die in Großbritannien einen großen Teil der Milchkühe ausmachen. Doch sie werden weniger. Jeder zehnte Milchbauer hat im vergangenen Jahr seine Herde und damit auch die Milchmenge reduziert. 16 Prozent erwägen sogar, angesichts der zahlreichen Herausforderungen ihren Hof ganz aufzugeben, belegt eine aktuelle Umfrage von Arla, der größten milchwirtschaftlichen Genossenschaft im Land.

Auslöser für den Frust der Milchbauern und die schrumpfende Milchmenge ist vor allem der Arbeitsmarkt. Komplizierter denn je sei es, offene Stellen zu besetzen, sagt über die Hälfte der Landwirte. 86 Prozent der Milchbauern, die derzeit nach Personal suchen, hatten sehr wenige oder gar keine Bewerber mit passenden Kenntnissen, die sich für die Jobs gemeldet haben.

Nicht nur auf die sprichwörtliche Milch für Darjeeling oder Earl Grey hat das Auswirkungen. Auch Clotted Cream, Cheddar und Cottage Cheese aus heimischer Produktion könnten knapp, zumindest aber deutlich teurer werden.

Tatsächlich sei die Lage so ernst, dass die Versorgungssicherheit mit Milchprodukten in Gefahr sei, warnte Bas Padberg, Geschäftsführer bei Arla Foods. „Unsere Landwirte haben uns schon seit einiger Zeit gesagt, dass sie der Arbeitsmarkt vor echte Herausforderungen stellt. Diese neuen Daten zeigen, wie ernst die Sorgen zu nehmen sind und dass sie möglicherweise Folgen haben können für die Nahrungsmittelpreise und die Nahrungsmittelversorgung.“

Die knappen Bewerber für offene Stellen haben zunächst zu einem deutlichen Sprung bei den Lohnkosten geführt. Im Schnitt bekommen Angestellte heute 30 Prozent mehr als zum Jahresende 2019, vor dem Beginn der Covid-Pandemie. Zu dem Zeitpunkt endete mit dem Brexit auch die Freizügigkeit für EU-Bürgerinnen und -Bürger.

370 Höfe haben den Betrieb eingestellt – in sieben Monaten

Die Zahl der Milchbauern im Land ist seither kontinuierlich geschrumpft. Zuletzt war der Rückgang jedoch besonders deutlich. In den sechs Monaten zwischen Oktober 2023 und April 2024 haben 370 Höfe den Betrieb eingestellt, eine Schrumpfung um 5,8 Prozent auf 7130, zeigen Daten der Branchenorganisation Agriculture and Horticulture Development Board.

Auch die besseren Löhne machen keinen Unterschied, klagte Landwirt David Christensen, der im Themsetal westlich von Oxford einen Hof mit Milchkühen und Rinderzucht betreibt. Die fehlenden Angestellten seien seit Jahren ein Problem für Bauern im ganzen Land.

„Und es wird immer schlimmer. Wir müssen Schulen, Eltern und Berufsberatern die Vorteile der Arbeit in Landwirtschaft und Nahrungsmittelbranche vermitteln und dafür sorgen, dass sie sie an junge Menschen weitergeben.“

Andere Bereiche der Landwirtschaft, von Obstbauern bis Blumenzüchtern, klagen seit einigen Jahren ebenfalls über fehlende Arbeitskräfte. Der britische Arbeitsmarkt ist seit Jahren eng. Im August lag die Arbeitslosigkeit bei 4,1 Prozent, sie schwankt seit Jahren um die vier Prozent. Jobs in der Landwirtschaft mit langen Arbeitszeiten, die oft vom Wetter beeinflusst werden, haben in dem Umfeld einen schweren Stand.

Mit dem Brexit hat Großbritannien sich ein neues Visumsregime gegeben, um die Zuwanderung besser zu kontrollieren. In den vergangenen beiden Jahren ist die Nettomigration auf Rekordwerte gestiegen, 2023 lag sie bei knapp 700.000.

Die Landwirtschaft profitiert von diesen Zuwanderern indes nicht. Eine Arbeitserlaubnis erhält seitdem, wer eine Ausbildung in gesuchten Branchen vorweisen kann, etwa Mediziner oder Pflegekräfte. Gesucht sind aber beispielsweise auch Labortechniker, Steinmetze und Orchestermusiker. Bedingung ist ein zertifizierter Arbeitgeber, der mindestens 38.700 Pfund (rund 46.300 Euro) im Jahr zahlt, beziehungsweise den höheren, in der Branche üblichen Lohn.

Auswirkungen der US-Wahl auf Großbritannien

Für die Landwirtschaft sind in diesem Schema nur saisonale Kräfte vorgesehen. Dabei dürfen Erntehelfer sechs Monate im Land bleiben, Hilfskräfte auf Geflügelfarmen nur in den drei Monaten vor Weihnachten.

Zuwanderung ist auch ein Thema, dass Ökonomen sich zunehmend genauer ansehen, um die Lage einzelner Branchen oder einer ganzen Volkswirtschaft zu beurteilen. Um die möglichen Auswirkungen der Präsidentschaftswahlen in den USA zu beurteilen, schaue sich sein Unternehmen eine Reihe von Szenarien an, sagte Yuichi Murao, Chief Investment Officer des japanischen Vermögensverwalters Nomura Asset Management.

Sollte Donald Trump die Wahl gewinnen, dürfte die Zuwanderung erheblich eingeschränkt werden. „Das wird zu einem deutlichen inflationären Impuls führen.“ Zwar könnten in Aussicht gestellte Steuersenkungen die finanziellen Folgen für einige Unternehmen etwas abmildern. „Aber die Wirtschaft wird schlechter dastehen.“

Neben den fehlenden Arbeitskräften haben der Landwirtschaft in Großbritannien zuletzt die Witterungsbedingungen erheblich zugesetzt. Auf ein Dürrejahr folgten Monate mit Rekordniederschlägen, die nicht nur den Anbau von Getreide beeinträchtigt haben, sondern auch die Qualität der Weiden für die Milchwirtschaft.

Arla und die rund 2000 Milchbauer, die die Genossenschaft tragen, drängen nun auf mehr Unterstützung in Fragen der Ausbildung. Sie hoffen aber auch auf Nachbesserungen bei administrativen Vorschriften, die den Landwirten das Leben erleichtern könnten.

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