Großbritannien: Kliniken am Pranger – Neues Ranking entscheidet künftig über Entlassungen | ABC-Z
Großbritanniens Kliniken ächzen wegen der alternden Bevölkerung, immer mehr Patienten haben zudem Übergewicht oder Adipositas. Lange Wartezeiten sind die Folge. Nun soll eine Reform für Verbesserungen sorgen. Der Kern: Rankings, die über mehr Geld oder Gehalts-Stopps entscheiden.
Großbritanniens Gesundheitsminister Wes Streeting greift beim staatlichen Gesundheitsdienst NHS durch. Leistungsschwache Krankenhäuser werden künftig in Ranglisten an den Pranger gestellt. Klinikdirektoren dauerhaft auffälliger Häuser droht die Entlassung. Kliniken mit mäßigen Restrukturierungserfolgen werden durch spezielle Sanierungsteams unterstützt. Erreicht das Management keine Verbesserung, werden die Gehälter nicht erhöht.
„Wir werden kein Auge mehr zudrücken beim Versagen“, kündigte Streeting am Mittwoch bei der Konferenz der NHS Providers, der Mitgliederorganisation des Gesundheitsdienstes, in Liverpool an. „Wir werden das Gesundheitssystem zu Verbesserungen antreiben, mit dem Ziel, dass Patienten von den Steuergeldern besser profitieren.“
Die Gesundheitsversorgung in Großbritannien ist staatlich finanziert. Der 1948 eingeführte National Health Service genießt im Land große Zustimmung und gilt als identitätsstiftend. Doch seit Jahren arbeitet das System an der Belastungsgrenze. Eine alternde Bevölkerung, aber auch die Folgen von Übergewicht und Adipositas verlangen Praxen und Krankenhäusern zunehmend mehr ab. In der Folge der Finanzkrise hat eine restriktivere Finanzausstattung zu Engpässen geführt.
Die Pandemie setzte das System dann zusätzlich unter erheblichen Druck, von dem sich der NHS bis heute nicht erholt hat. Lange Wartezeiten in der Notaufnahme, Behandlungstermine erst nach Monaten und die „Winterkrise“, die den NHS Jahr für Jahr mit steigenden Zahlen von Erkältungskrankheiten ereilt, zeugen davon.
Den NHS „fit für die Zukunft“ zu machen, gehörte denn auch zu den zentralen Punkten im Wahlprogramm der Labourpartei bei den Wahlen im Sommer. Finanzministerin Rachel Reeves hat im Haushalt Ende Oktober mehr Geld zur Verfügung gestellt. In den kommenden zwei Jahren steigt das Budget für laufende Ausgaben um 22,6 Milliarden Pfund. Hinzu kommt eine Aufstockung der Investitionsausgaben um 3,1 Milliarden Pfund.
Die bessere finanzielle Ausstattung zeige, dass Labour dem NHS hohe Priorität einräume, sagte Streeting. Die Investitionen in das Gesundheitssystem müssten aber durch Reformen begleitet werden. Sie sollen sicherstellen, „dass jeder Penny zusätzlicher Investitionen sinnvoll verwendet wird und die Wartezeiten für Patienten reduziert werden“.
Die Ziele der Regierung gelten als äußerst ambitioniert und werden seit fast zehn Jahren nicht erreicht. Bis zum Ende der Legislaturperiode sollen Patienten in Notfallambulanzen nicht länger als vier Stunden auf eine Behandlung warten müssen. Krankenhausaufenthalte für nicht dringende Behandlungen sollen spätestens 18 Wochen nach der Diagnose beginnen.
Laut den jüngsten Daten des Nuffield Trust, einer Denkfabrik mit dem Schwerpunkt Gesundheitswesen, wurden im August 24,8 Prozent der Notfallpatienten in England nicht innerhalb der angestrebten vier Stunden behandelt. Im Durchschnitt warteten die Patienten 14,6 Wochen auf eine nicht dringende Behandlung. Im Jahr 2019, vor der Pandemie, waren es acht Wochen. Für 283.000 Menschen mit medizinischen Problemen hat die Behandlung bereits vor mehr als einem Jahr begonnen.
Deutlicher Rückgang der Produktivität
Streetings Ankündigung eines strikten Qualitätskurses ist auch eine Reaktion auf den umfassenden NHS-Prüfbericht von Lord Ara Darzi vom September. Der Professor für Chirurgie am Imperial College in London hatte unter anderem einen deutlichen Rückgang der Produktivität im staatlichen Gesundheitssystem festgestellt.
Während das Personal in den vergangenen fünf Jahren um 20 Prozent aufgestockt wurde, stieg die Zahl der behandelten Patienten nur um drei Prozent. Lord Darzi wies auch darauf hin, dass sich die Vergütung der Krankenhausleitung ausschließlich am Umsatz orientiere. Weder die Schnelligkeit des Zugangs zur Pflege noch deren Qualität würden standardmäßig berücksichtigt. „Bestärkt die Organisationen darin, ihre Umsätze auszubauen, statt ihre Leistungen zu verbessern.“
Streetings Reform setzt hier an. Der NHS ist in regionalen Einheiten, den NHS Trusts, organisiert. Sie sollen ab dem kommenden Jahr regelmäßig bewertet werden. Herangezogen werden dabei die medizinischen Angebote für Patienten, das Finanzmanagement und die Krankenhausleitung. Doch es geht nicht nur darum, längerfristig schwächelnde medizinische Einrichtungen an den Pranger zu stellen und mithilfe externer Hilfe zu sanieren. Krankenhäuser, die gut abschneiden, erhalten künftig zusätzliche finanzielle Spielräume.
Bisher besteht wenig Anreiz, Überschüsse zu erwirtschaften, da diese an die zentrale NHS-Organisation abgeführt werden müssen. Im Rahmen der Reform sollen die am besten wirtschaftenden NHS Trusts einen Teil dieses Kapitals behalten und nach eigenen Maßgaben investieren können, in neue technische Ausstattung oder die Gebäudemodernisierung.
NHS-Chefin Amanda Pritchard begrüßte die angekündigten Veränderungen. „Das umfangreiche Reformpaket, das gemeinsam mit der Regierung entwickelt wurde, wird alle Führungskräfte im NHS unterstützen – und es gibt ihnen die Werkzeuge an die Hand, die sie brauchen, um unseren Patienten den besten Service zu bieten.“
Rachel Power, Vorsitzende der Patientenvereinigung, fügte hinzu, dass die Betonung der Belohnung guter Ergebnisse und der Bekämpfung schlechter Leistungen zeige, dass es darum gehe, die Standards im NHS zu verbessern.
Doch sie warnte, dass es nicht selbstverständlich sei, dass zusätzliche Finanzmittel sinnvoll eingesetzt werden. „Wir hoffen, dass Trusts, die mehr Finanzierungsspielraum erhalten, das Geld klug einsetzen.“ Kürzere und angenehmere Wartezeiten und eine engere Zusammenarbeit mit den Patienten sei für alle NHS-Nutzer besonders wichtig.
Zurückhaltend äußerte sich Matthew Taylor, Chef der NHS Confederation. „Ranglisten alleine führen nicht zur Verbesserung.“ Der Gesundheitsdienst sei bereits einer Reihe von Aufsichtsvorgaben und Regulierung unterworfen. „Der Teufel steckt im Detail, wenn es darum geht, was ein Versagen darstellt“, zumal die Krankenhausleitungen längst nicht alle Faktoren kontrollieren könnten.