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Großer Preis von Kanada in Formel 1: Russell gewinnt, Hamilton abgehängt | ABC-Z

Was wird Lewis Hamilton in dem Moment gedacht haben, als George Russell und Kimi Antonelli auf das Siegerpodest beim Großen Preis von Kanada stiegen, getrennt nur durch den zweitplatzierten Max Verstappen? Die beste Saisonleistung von Mercedes, das Comeback der Silberpfeile, und das auf einer der Lieblingsstrecken des Rekordweltmeisters, der das deutsch-britische Werksteam ob der besseren Perspektive verlassen hatte.

Hamilton war nur Sechster geworden, einen Platz hinter seinem Teamkollegen Charles Leclerc, kreist mit seinem Ferrari im Niemandsland – sowohl auf dem Circuit Gilles-Villeneuve als auch insgesamt. Die Umarmung seines jungen italienischen Nachfolgers, auch die seines ehemaligen britischen Kollegen waren bestimmt herzlich gemeint, aber sicher auch von Wehmut geprägt.

Pilotenduo galt lange als umstritten

Neben den beiden Piloten des Tages hatte noch einer mit großen Gefühlen zu kämpfen. Mercedes-Teamchef Toto Wolff war bei der Siegerehrung in der Box geblieben, er brauchte einen Moment für sich. Beim zehnten WM-Lauf der Formel 1 in dieser Saison hatte er erstmals eine rein an den Resultaten ablesbare Bestätigung für seine nicht unumstrittene Personalwahl im vergangenen Jahr erhalten. Auf Russell, einen ordentlichen, aber nicht überragenden Fahrer, als Leitfigur zu setzen war ebenso risikoreich wie die Beförderung eines 18 Jahre alten Antonelli in die Königsklasse als Ersatz für Lewis Hamilton.

Wolff, ein auch rhetorisch versierter Teamchef, musste während seiner Analyse ein paarmal schlucken. Dann rang der sich oft selbstkritische Österreicher in seiner ersten Bilanz noch einen „Super-Tag“ ab. Mercedes zog dank dieser Mannschaftsleistung in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft an Ferrari vorbei und hat als Zweiter hinter McLaren nun 16 Punkte Vorsprung auf die Italiener. Mehr als eine Momentaufnahme, gar der Durchbruch?

George Russell lässt Weltmeister Max Verstappen hinter sich.Reuters

Dem eher unauffälligen, aber höchst effektiven Rennfahrer Russell, der mit seinem ersten Sieg in diesem Jahr zugleich den 130. Sieg für das Mercedes-Werksteam einfahren konnte, bescheinigte Toto Wolff einen absolut fehlerfreien Nachmittag, von der unnötigen Provokation in der abschließenden Safety-Car-Phase gegenüber Max Verstappen einmal abgesehen. Wolff ging es bei seiner Lobeshymne primär ohnehin nicht um die Tagesform: „Es ist unglaublich, welchen Schritt George gemacht hat. Die besten Fahrer zeichnen ich dadurch aus, dass sie nicht stillstehen.“

Kommissare schmettern Red-Bull-Protest ab

Allerdings musste Mercedes bis fünf Stunden nach der Siegerehrung noch um den Erfolg bangen, nachdem Red Bull wegen des Vorfalls während der Safety-Car-Phase einen Protest gegen Russell eingelegt hatte. Dieser habe nicht genügend Abstand hinter dem Sicherheitsfahrzeug gehalten, zudem durch „erratische“ Fahrmanöver versucht, den von einer Sperre bedrohten Verstappen in eine Falle zu locken.

Denn der Weltmeister schoss bei einem Bremsmanöver Russells, wie es zum Aufheizen der Reifen hinter dem Safety-Car üblich ist, an ihm vorbei, was verboten ist. Die Kommissare werteten zwar den öffentlichen Hinweis Russells auf dieses Vergehen als „unsportlich“, schmetterten den Protest von Red Bull aber als unbegründet ab.

Der 27 Jahre alte Sieger spürte in Montreal, dass der vierte Sieg seiner Karriere durchaus einer mit Langzeitwirkung gewesen sein könnte. Nicht nur, weil er endlich einmal nicht gegen seinen niederländischen Erzrivalen verloren hatte, wenn beide in der ersten Startreihe standen. Seit Monaten wollen die Stimmen nicht verstummen, die Max Verstappen künftig im Silberpfeil sehen.

„Mir ist bewusst, dass Verstappen bei jedem an erster Stelle stünde“

Mit einem Erfolg wie dem im zehnten WM-Lauf im Rücken lässt sich sogar dieses Schreckensszenario (für Russell) entspannt kontern: „Ich habe schon immer klar gesagt, dass ich loyal zu Mercedes bin, mit keinen anderen Teams spreche. Mir ist auch bewusst, dass Max bei jedem einzelnen Rennstall an erster Stelle stünde, wenn er auf dem Markt wäre. Aber ich weiß auch, dass meine Position in keinster Weise gefährdet ist, wenn ich weiter meine Leistung bringe. Es gibt keine Eile in den Vertragsverhandlungen. Warum sollte man etwas verändern, was funktioniert?“

Der frühere Weltmeister Nico Rosberg schrieb Russell ins Stammbuch, dass er nun zu einem echten Nummer-eins-Fahrer geworden sei. Antonellis Beförderung aufs Podium als drittjüngster Fahrer der Formel-1-Historie wertete er als ersten Meilenstein einer vielversprechenden Karriere. Toto Wolff hätte es nicht besser ausdrücken können. Dem Österreicher aber hatte vor allem imponiert, wie Antonelli dem WM-Spitzenreiter Oscar Piastri gleich nach dem Start den Schneid abgekauft und den dritten Platz erobert hatte – und in der Schlussphase mit den McLaren im Rücken seine Position souverän verteidigen konnte.

Der Italiener, der nach vielversprechendem Saisonstart drei Rennen ohne Punktgewinn zu verkraften hatte, versuchte seinen Erfolg nach der ausgiebigsten Champagnerdusche seiner Karriere abgeklärt zu bewerten: „Auf dem Podium zu stehen war viel besser, als ich erwartet hatte. Ein unglaubliches Gefühl. Aber eins, das ich öfter erleben will.“ Das mündliche Prüfungsergebnis hatte ihm Wolff gleich nach der Zieldurchfahrt über den Boxenfunk durchgegeben: „Der kleine Kimi ist zum großen Kimi geworden.“

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