Unter Javier Milei: Argentinien zwischen Reformkurs und Schuldenfalle | ABC-Z

Argentiniens Regierungen haben – unabhängig von ihrer politischen Richtung – eine außergewöhnliche Fähigkeit bewiesen, die sie von fast allen anderen Regierungen der Welt unterscheidet: Sie sind darin große Klasse, sich im Ausland Geld zu besorgen. Selbst die Tatsache, dass sie nicht selten auf die Rückzahlung verzichten, minderte ihren Erfolg nur temporär.
Die große Tradition des Geldbeschaffens unter widrigen Umständen setzt der Reformer Javier Milei erfolgreich fort. Argentiniens Präsident besucht in diesen Tagen das Weiße Haus und den Internationalen Währungsfonds (IWF), um die wichtigsten Gläubiger bei Laune zu halten. Das ist bitter nötig, denn die Reserven des Landes werden aktuell im Kampf um den Peso aufgerieben. Die US-Regierung stützt Argentinien seit Kurzem mit einer sogenannten Swap-Linie in Höhe von 20 Milliarden Dollar und der ungewöhnlichen Ankündigung, Pesos zu kaufen, um die Währung des Landes zu stützen.
Seit 1956 gewährte der IWF 23 Stützkredite
Noch tiefer verschuldet ist Argentinien beim IWF, der gerade seine Jahrestagung in der amerikanischen Hauptstadt abhält und dabei die Botschaft an die Länder der Welt sendet, sie mögen ihre Staatshaushalte in Ordnung bringen. Argentinien schuldet dem IWF rund 65 Milliarden Dollar.
Das ist eine gewaltige Summe, die der IWF mit seinen 191 Mitgliedsländern einem einzigen Land gewährt. Sie repräsentiert mehr als ein Drittel der Ausleihungen des Fonds – ausgerechnet für ein Land, das seit 1956 genau 23 Stützkredite bekommen hat; 22 davon waren, nüchtern betrachtet, nicht übermäßig erfolgreich. Über den jüngsten Kredit in Höhe von 20 Milliarden Dollar steht das Urteil noch aus, weil das Programm noch läuft. Die Tatsache aber, dass die amerikanische Regierung sich veranlasst sieht, Argentinien mit Notmaßnahmen zu helfen, ist kein gutes Zeichen.
Wenn Kreditgeber für komplexe Projekte Kreditprogramme vorzeitig stoppen oder die Verlängerung verweigern, geraten sie unter den Verdacht, ein vielversprechendes Vorhaben zerstört zu haben, weil sie nicht geduldig und nicht großzügig genug waren. Ein Zitat, das dem Ölmilliardär J. Paul Getty zugeschrieben wird, kommt einem in den Sinn: „Wenn du der Bank 100 Dollar schuldest, ist das dein Problem; wenn du der Bank 100 Millionen schuldest, ist das das Problem der Bank.“
Das Argentinien-Dilemma des IWF
Das charakterisiert das IWF-Dilemma: Er hat immer wieder eigene Prinzipien verletzt, um Argentinien immer mehr Geld zu gewähren und eigene Kredite zu sichern. Das Geld floss jüngst, obwohl die Milei-Regierung die wichtige IWF-Auflage verletzt hatte, Dollarreserven in festgelegtem Umfang anzusammeln, um Munition gegen Währungsspekulation zu haben. Der IWF zahlte vom im April gewährten 20-Milliarden-Dollar-Kredit zwölf Milliarden Dollar sofort aus, weitere zwei Milliarden Dollar nach einer Überprüfung des Programmfortschritts im Juni.
Dieses „Frontloading“ hat den Nachteil, dass Schuldnerländer weniger Anreize haben, sich an die mit den IWF-Krediten stets verbundenen Auflagen zu halten. Es wird deshalb vom IWF nicht gerne praktiziert. Auf Versprechen argentinischer Politiker will man sich lieber nicht verlassen, nachdem sie in der Vergangenheit Inflationsdaten manipuliert und den Fonds regelrecht vorgeführt hatten, indem sie entgegen eingegangener Verpflichtungen ihrer Klientel Zuwendungen aus der Staatskasse zukommen ließen, um Wahlen zu gewinnen.
Unterbelichtet ist dabei ein besonderes Risiko: Die exorbitant hohe Verschuldung beim IWF ist auch schlecht für Argentinien, weil sie private Anleger abschreckt. Wegen der Besonderheit, dass IWF-Schulden mit Präferenz bedient werden, werden Ausleihungen für private Investoren schlicht riskanter.
Die kritische Bestandsaufnahme ändert nichts an dem positiven Zwischenzeugnis für Javier Mileis Reformagenda: Er hat die dreistellige Inflationsrate auf unter 40 Prozent gesenkt, erwirtschaftet einen Haushaltsüberschuss und hat ein Deregulierungsprogramm auf den Weg gebracht, um das man Argentinien beneiden kann. Man wittert die Chance, dass das Land, befreit von der peronistischen Kleptokraten-Kaste, erblühen könnte, wenn es nur die nächste Dürre überstünde.
In jüngsten Regionalwahlen und im Parlament hat Milei schwere Niederlagen erlebt, die nichts Gutes für die Zwischenwahlen ahnen lassen. Mileis Reformkurs ist in größter Gefahr. Das hätte der IWF bedenken müssen. Kredite gewährt man nicht Lichtgestalten, sondern Ländern, die auch nach politischen Turbulenzen noch kreditwürdig sind. Argentinien hat das bislang nicht bewiesen.





















