Glücksspielsucht als globale Krise: Online-Spiele verstärken das Problem – Wissen | ABC-Z
Es gibt noch immer Menschen, die Rubbellose kaufen. Und ja, auch sie können eine ungesunde Fixierung auf diese Produkte entwickeln, wie aus einem umfangreichen Bericht zum Glückspiel im Fachblatt Lancet Public Health hervorgeht. Doch die Spiele um Geld legen ihre analoge Behäbigkeit immer mehr ab und finden nonstop im Internet statt. Es sind Online-Glücksspiele wie Wetten, Lotterien, Pokerrunden und selbst Bingo, die in hoher Geschwindigkeit immer neue Gewinnchancen, Jackpots, zusätzliche Boni und Extra-Spiele anbieten. Sie kapern das Belohnungssystem ihrer Nutzer mit gelegentlichen Gewinnen, die bei genauer Betrachtung Verluste sind, weil die Spieler weniger herausbekommen, als sie eingezahlt haben.
„Jeder, der ein Mobiltelefon besitzt, hat jetzt 24 Stunden am Tag Zugang zu einem Casino in seiner Hosentasche. Hochentwickeltes Marketing und Technologie machen es leichter, mit dem Spielen anzufangen, und schwerer, damit aufzuhören“, sagt Hauptautorin Heather Wardle, Sozialwissenschaftlerin der Universität Glasgow in einer Pressemitteilung. Aufzuhören werde nicht nur durch ausgefeiltes Spieldesign erschwert, sondern zum Teil auch durch sehr banale Hürden. Während Anmeldung und Geldeinzahlungen üblicherweise problemlos funktionieren, machten Anbieter es den Nutzern schwer, Spielkonten wieder zu schließen und Geld zurückzuziehen.
Glücksspielsucht ist eine anerkannte Krankheit
Insgesamt würden Glücksspiele aller Art weltweit etwa 80 Millionen Erwachsenen pro Jahr zum Verhängnis, schreiben die Autoren und berufen sich dabei auf eine vorangegangene Meta-Analyse. Diese Menschen leiden an einer manifesten Glücksspielsucht oder kommen ihr zumindest sehr nahe.
Die Diagnose Glücksspielsucht gibt es bereits seit 1977 im Krankheitskatalog der Weltgesundheitsorganisation WHO. Nach ihren Kriterien ist abhängig, wer bei analogen oder Online-Glücksspielen drei Kriterien erfüllt: Er hat nicht mehr die volle Kontrolle über sein Spielverhalten, vernachlässigt andere Lebensbereiche zugunsten des Zockens und setzt sein Spielen auch dann fort, wenn bereits negative Konsequenzen spürbar werden. Zusätzlich ist die Störung mit einem Leidensdruck verbunden.
„Glücksspielsucht hat sich zu einer Krise ohne Grenzen entwickelt, die Menschen und Gesellschaften rund um den Globus betrifft“, sagt Autorin Kristiana Siste, Psychiaterin an der Universitas Indonesia. Dabei sind diese 80 Millionen abhängigen Spieler – sie entsprechen etwa 1,4 Prozent der Weltbevölkerung – noch recht überschaubar. Wenn man aber jene hinzuzählt, die zwar noch nicht der Diagnose entsprechen, aber schon ein riskantes Spielverhalten, das heißt mindestens eines der Kriterien der Spielesucht oder aber Folgeprobleme aufweisen, steigt die Zahl. In die Kategorie des riskanten Spiels fallen neun Prozent aller Erwachsen. Das sind 450 Millionen Menschen pro Jahr.
Auch sie können bereits viele der Konsequenzen spüren, die mit der Diagnose Spielsucht einhergehen wie hohe Geldverluste, kaputte Beziehungen, psychische und körperliche Probleme.
Eine australische Studie zeigte schon 2018, dass auch Spieler, die noch nicht die Schwelle zur Suchtdiagnose überschreiten, über eine Vielzahl negativer Gesundheitsfolgen berichten: Sie vernachlässigten etwa Hygiene und Ernährung, rauchten und tranken mehr als üblich. Sie sparten an Lebensmitteln, Medikamenten, Behandlungen oder Versicherungen. Manche gaben an, ihre Kinder nicht mehr ausreichend zu beaufsichtigen.
Die weit verbreiteten Folgen, die zum Teil eben auch Familie und andere Nahestehende betreffen, sind ein Grund, warum der Ton des Lancet-Berichtes insgesamt recht alarmiert ausfällt. Ein weiterer ist, dass die Verbreitung der Online-Spiele weiter zunimmt.
„Der Wachstumskurs der Branche ist gewaltig“, sagt Heather Wardle. Die Einnahmen – oder ehrlicher ausgedrückt, die Verluste der Spieler – werden rasant steigen: Von 75 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 auf 200 Milliarden Dollar im Jahr 2030, schreiben die Autoren unter Berufung auf Marktforschungsdaten.
„Wir müssen aufwachen“, sagt die Wissenschaftlerin und mahnt, schnell gegen die immer stärkere Ausbreitung des Glücksspiels vorzugehen. Wenn jetzt nichts unternommen werde, seien die Problem in Zukunft noch viel schwerer zu bewältigen, betont sie.
Die Wissenschaftler fordern politische Entscheidungsträger auf, diese Spiele als ein Problem der öffentlichen Gesundheit zu behandeln, so wie Alkohol und Tabak auch. Demzufolge sollte der Zugang zum Glücksspiel stärker beschränkt, Werbung, Marketing und Sponsorship zurückgefahren oder verboten werden. Zugleich sollten Behandlungsmöglichkeiten gestärkt werden.