Wie sie sich als Actionstar beweist | ABC-Z

Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist eine schwarze Frau. Eine schwarze Frau mit dem Plan, die Welt ein wenig besser zu machen und gemeinsam mit anderen reichen Nationen den ärmsten der Armen zu helfen.
Schon die Ausgangssituation des Films „G 20“, der am 10. April bei Prime Video startet, mutet angesichts der US-amerikanischen Realität utopisch an; da wirkt der weitere Verlauf, wenn der Politikergipfel G 20 von Terroristen gekapert wird und die Präsidentin wie ein Bruce Willis im roten Abendkleid ihre Amtskollegen, ihre Familie und die Welt retten muss, gar nicht mehr viel abenteuerlicher.
Natürlich muss man Viola Davis, die diese wehrhafte Staatschefin namens Danielle Sutton spielt, im Video-Interview darauf ansprechen, wie weit sich die USA unter Trump von dieser hoffnungsvollen Filmphantasie entfernt haben. Und natürlich antwortet sie ausweichend. Als Leitstern des liberalen Amerikas hat Hollywood an Glanz verloren, und auch Viola Davis, die selbstverständlich aufseiten Kamala Harris’ war, würde sich jetzt hüten, die Aussichten ihres Streamingspektakels durch Sätze zu schmälern, die Trump oder dessen Anhänger vergrätzen könnten.
Anführerin mit Schwächen
„Es ist ein Film“, sagt sie mit ihrer volltönenden tiefen Stimme, „ein Film in einer ausgedachten Welt, in der Danielle Sutton – die in der Tat eine schwarze Frau ist – Präsidentin ist. Und, wie wir sehen, dazu vollauf befähigt. Wir sehen eine Heldin.“ Eine Anführerin, die, darauf legt Davis Wert, zugleich eine Frau mit Schwächen ist, die fürchtet, ihrer Verantwortung im Job und als Mutter einer Teenagertochter nicht gewachsen zu sein: „Ich möchte Menschen erschaffen“, sagt Viola Davis.
Als Menschenerschafferin ist Viola Davis eine der ganz Großen ihrer Branche. Sie zählt zu den 21 Künstlern mit EGOT-Status, die jeweils mindestens einen der wichtigsten US-amerikanischen Entertainment-Preise Emmy, Grammy, Oscar und Tony errangen; den Oscar, für den sie noch weitere drei Male nominiert war, bekam sie 2017 als beste Nebendarstellerin in „Fences“, den Audiopreis Grammy 2023 für die Hörbuchausgabe ihrer Autobiographie „Finding Me“. In seiner Dankesrede für den SAG-Filmpreis nannte der derzeit angesagteste Hollywood-Jungstar Timothée Chalamet drei Schauspieler als Inspirationsquellen: Daniel Day-Lewis. Marlon Brando. Viola Davis.
Ein unwahrscheinliches Leben
Dass diese von Kollegen und Cineasten hochverehrte Schauspielerin jetzt erstmals als Hauptdarstellerin eines Mainstream-Actionfilms auftritt, und das vier Monate vor ihrem sechzigsten Geburtstag, das ist ein weiteres verblüffendes Kapitel in der ganz und gar unwahrscheinlichen Lebensgeschichte der Viola Davis, welche sie selbst in ihren – noch nicht auf Deutsch erschienenen – Memoiren in eindringlicher Weise geschildert hat.
Es ist, obschon sich das in der Wirklichkeit weit schwerer definieren lässt als im Film, die Geschichte einer Heldin, in diesem Fall: einer, die Fürchterliches erlebt und daran nicht zugrunde gegangen ist. Zugleich ist es ein erschütternder Beleg, wie verlogen die Ideologie der vermeintlich gleichen Startchancen ist, die Trump und anderen Großkapitalisten gerade als Vorwand zur Vernichtung des amerikanischen Gemeinwesens dient.
„Ich habe“, schreibt Davis in „Finding Me“, „nie aufgehört zu rennen.“ Um ihr Leben zu rennen wie das achtjährige Mädchen mit zu kleinen Schuhen und löchrigen Socken, das nach Schulschluss Tag für Tag von acht oder neun Jungen durch die Straßen von Central Falls im nordöstlichen Bundesstaat Rhode Island gejagt, als „hässlicher schwarzer Nigger“ beschimpft und mit allem beworfen wurde, was am Wegesrand lag: Steine, Ziegelsteine, Batterien; irgendwann bewaffnete sich Viola auf Rat ihrer Mutter mit einer Häkelnadel.
Die familiäre Wohnung bot Ruhe vor den Angreifern, ein Refugium aber war sie nicht, im Gegenteil. Viola und ihre Geschwister wuchsen auf in bitterer Armut und unter ständigem Hunger. Niemals, erinnert sie sich, habe die Toilettenspülung funktioniert, und buchstäblich nie habe sie die Küche betreten, in der das Regiment die Ratten übernommen hatten. Diese waren auch in den anderen Zimmern, sprangen auf die Betten der Kinder und fraßen die Gesichter von Violas Puppen. Auch weil sie nachts den Gang zur Toilette fürchteten, wurden die Kinder Bettnässer, was bei Viola erst aufhörte, als sie 14 war. Oft fehlte es an warmem Wasser und an Seife, sodass die Kinder in ihren notdürftig gereinigten, nassen und nach Urin stinkenden Kleidern in die Schule gehen mussten. Mehrfach musste die Familie aus ihrer brennenden Wohnung fliehen – und anschließend wieder dorthin zurück. Sexueller Missbrauch, auch wenn es damals nicht so genannt wurde, traf alle Mädchen, durch Fremde, durch Babysitter und auch den eigenen Bruder.
Der furchterregende Vater
Als furchterregendste Figur ihres Lebens aber beschreibt Davis ihren Vater, der trank, ihre Mutter über viele Jahre brutal misshandelte und ihr immer wieder mit dem Tod drohte. Viola war 14 und trug ihre kleine Schwester im Arm, als sie es in panischer Tollkühnheit schaffte, dem Vater das zerbrochene Glas abzunehmen, mit dem er seiner Frau das Gesicht zerschnitten hatte. Dass der Familientyrann nicht im Knast landete, sondern sich in späten Jahren zum gütigen Großvater wandeln durfte, ist ein für ihn unverdientes, beklemmendes, für die Familie jedoch – aus Sicht von Viola Davis – erlösendes Happy End, da es ihr die Chance bot, zu vergeben.

Was Davis dabei half, den Dämonen der Vergangenheit zu entkommen: empathische Lehrer. Therapie. Willenskraft. Und, nicht zuletzt, ihr Beruf: „Ich wurde Schauspielerin, weil es sich dabei um eine Heilquelle handelt“, schreibt Davis. Und sagt, darauf angesprochen, dass dies sogar für einen Popcornkinofilm wie „G 20“ gelte: „In diesem Fall bestand der heilende Effekt darin, dass ich in der Lage war, es zu tun. Manchmal ist die persönliche Reise bei der Vorbereitung auf eine Rolle der Heiltrank. Das ist es, was Kunst bedeutet: Sie lässt dich dein Inneres erforschen. Die heiligsten und geheimsten Teile von dir.“
Dass Viola Davis den stereotypen Rollen entkommen ist, die Hollywood für schwarze Schauspielerinnen bereithält – die schlagfertige beste Freundin, die Dienstmagd im Historienfilm –, liegt neben ihrem Können auch daran, dass sie mit ihrem Mann ihre eigene Produktionsfirma gegründet hat. Lange haderte sie damit, dass selbst die Rollen für Schwarze an andere Frauen gingen, die schmaler gebaut waren, hellere Haut hatten und weniger breite Nasen; inzwischen spielt sie Hauptrollen wie die einer afrikanischen Kriegerkönigin in „The Woman King“ oder nun eben der amerikanischen Präsidentin.
Ihre 14 Jahre junge Adoptivtochter Genesis, die so viel behüteter aufwachsen darf als sie, hat Davis zur Premierenfeier von „G 20“ begleitet – und sie danach als goated gefeiert, als Größte von allen. Die Begeisterung ihrer Tochter ist für Viola Davis das schönste Kompliment. „Das Beste, was man einem Kind geben kann“, sagt sie und lächelt, „ist ein gutes Beispiel.“