Gesundheitsexperten ins Kanzleramt | ABC-Z

Während der Corona-Pandemie ist viel schiefgelaufen, auch im Austausch zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Nun stehen weitere Herausforderungen für das Gesundheitswesen an, etwa die Frage, wie gut es auf einen möglichen Kriegsfall vorbereitet ist.
Damit die Meinungsbildung und die Entscheidungsfindung künftig besser funktionieren, könnte ein neues zentrales Koordinationsgremium zur wissenschaftlichen Politikberatung im Gesundheitswesen entstehen. Darauf laufen Empfehlungen des Expertenrats Gesundheit und Resilienz hinaus, die am Montag in Berlin veröffentlicht wurden. Nach dem Willen der Autoren sollen die Vorschläge in den Koalitionsverhandlungen für eine neue Bundesregierung Berücksichtigung finden.
Neues interdisziplinäres Koorninationsgremium angedacht
Der 2024 gegründete Expertenrat Gesundheit ist Nachfolger des Corona-Expertenrats im Kanzleramt. Der Runde gehören mehr als 20 Wissenschaftler an, darunter der Virologe Christian Drosten und der Kölner Pneumologe Christian Karagiannidis. Der Leiter ist Heyo Kroemer, der Vorstandsvorsitzende des Berliner Universitätsklinikums Charité. Die neue Stellungnahme, die vierzehnte des Gremiums, hat maßgeblich der Braunschweiger Politikwissenschaftler Nils Bandelow verfasst. Ihm schwebt ein neues interdisziplinäres Koordinationsgremium im Bundeskanzleramt vor, das die Politik in Fragen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge (Public Health) beraten soll.
Dort könnten alle relevanten Disziplinen vertreten sein, Theoretiker wie Praktiker: Mediziner, Ökonomen, Juristen, Modellierer, Digitalfachleute, Experten für Kinder und Jugendliche, Demographen und andere Gesellschaftswissenschaftler. Der Ansatz „Gesundheit in allen Politikfeldern“ (Health in All Policies) müsse über das Gesundheitssystem hinausreichen und auch die Themen Umwelt, Bildung, Forschung, Soziales und Verkehr in den Blick nehmen, sagte Bandelow der F.A.Z. Bei Bedarf könne der Kreis die Vertreter weiterer Fachrichtungen hinzubitten.
„Das Wissen ist da, aber uns fehlt oft die Vernetzung“, monierte der Politikprofessor. Die umfassende Expertise im Bund und in den Ländern, in den Ministerien, Beiräten, Verbänden, in den Parlamenten oder Selbstverwaltungen gelte es zusammenzuführen. Bisher arbeite man oft gegeneinander. „Die föderale Kompetenzverteilung im deutschen Gesundheitswesen erschwert eine einheitliche, evidenzbasierte Politikberatung“, so Bandelow.
Bessere Koordination und gezielterer Rückgriff auf Wissen
In allen Ansätzen gehe es immer um eine bessere Vorbeugung und Versorgung für die Bevölkerung. „Deutschlands Gesundheitsausgaben steigen rasant, doch gemessen an Indikatoren wie der Lebenserwartung sind die Ergebnisse nur mittelmäßig: Die Kosten sind hoch, die Wirkung ist gering“, kritisierte Bandelow. „Demographischer Wandel, Klimaveränderungen und neue Krisen wie Pandemien oder Kriege stellen zusätzliche Belastungen dar.“ Eine wirkungsvollere Gesundheitspolitik brauche eine bessere Koordination der wissenschaftsbasierten Politikberatung und einen gezielteren Rückgriff auf vorhandenes Wissen.
Anders als die bestehenden Sachverständigengruppen müsse der neue Rat auch internationale Vergleiche und die sogenannte Strategische Vorausschau berücksichtigen. In der Pandemie habe man nicht einmal gewusst, wie die Entscheidungsfindung in anderen Ländern stattgefunden habe – und deshalb von diesen Beispielen nicht lernen können. Skandinavien, Großbritannien, Frankreich oder die Niederlande hätten damals auf bereits vorhandene Beraterstäbe oder Gesundheitsräte zurückgreifen können und seien daher krisenfester gewesen.
Die Strategische Vorausschau (Strategic Foresight) beschränke sich in Deutschland bisher vor allem auf die Verteidigung. Indes betreibe das Vereinigte Königreich diese Zukunftsbetrachtung schon sehr erfolgreich im Gesundheitssystem. Bandelow ist überzeugt, dass dergleichen auch in Deutschland fester Bestandteil der Gesundheitsplanung werden müsse: „Anstatt nur auf akute Probleme zu reagieren, sollte die Politikberatung künftige Szenarien antizipieren und Risiken frühzeitig bewerten.“