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Gesundheit: Impfungen als vierte Säule der Herzprävention | ABC-Z

Stand: 29.09.2025 06:16 Uhr

Um das Risiko für Herzinfarkte oder Schlaganfälle zu reduzieren, empfehlen Fachverbände Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte und Diabetes zu behandeln. Jetzt kommt eine vierte Säule hinzu: Impfungen gegen Atemwegsinfekte.

Martina J. bricht während eines Familienfrühstücks plötzlich zusammen – Herzstillstand. Nur durch die schnelle Reanimation ihres Schwagers überlebt sie. Im Krankenhaus erhält sie die Diagnose: Die Ursache ist eine Herzmuskelentzündung, höchstwahrscheinlich ausgelöst durch eine Infektion mit dem Corona-Virus drei Monate zuvor. Ihr Herz ist durch die Entzündungsprozesse dauerhaft geschädigt und die Kardiologen müssen Martina J. einen Defibrillator einsetzen, der von nun an in einem Notfall ihr Herz mit einem Stromstoß wieder aktivieren soll.

Der Fall zeigt: Vermeintlich banale Atemwegsinfekte können Herz und Kreislauf angreifen und schwerwiegende Folgen haben. “Es ist unstrittig, dass Atemwegsinfekte die Häufigkeit von Herzinfarkten und Schlaganfällen erhöhen”, sagt Kardiologe Roland R. Tilz vom Universitären Herzzentrum des UKSH Campus Lübeck. Besonders gelte das für Menschen mit Vorerkrankungen. Impfungen gegen Atemwegsinfekte wie etwa Grippe (Influenza), SARS-CoV-2 oder RSV können das Herz schützen. Ihre Bedeutung wird in der Bevölkerung noch unterschätzt.

Impfungen als vierte Säule der Herzprävention

Die European Society of Cardiology (ESC) stuft bestimmte Impfungen in ihrem aktuellen Konsensuspapier als vierte Säule der kardiovaskulären Prävention ein.

Die Experten der wichtigen europäischen Fachgesellschaft stellen den präventiven Nutzen von Impfungen für Herzpatienten damit auf eine Stufe mit der Behandlung bekannter Risikofaktoren wie Blutdruckhochdruck, erhöhten Blutfettwerten und Diabetes. Denn Atemwegsinfekte wie Grippe, SARS-CoV-2 oder RSV, aber auch Pneumokokken sind nachweislich mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle und Herzschwäche verbunden.

Wie Infekte das Herz angreifen

Viren wie SARS-CoV-2, Influenza oder RSV können einerseits direkt Herzmuskelzellen infizieren und dort Entzündungen auslösen. Eine Herzmuskelentzündung nach einem Atemwegsinfekt wird von den Betroffenen häufig übersehen, da es zunächst in der Regel zu eher diffusen Symptomen wie Müdigkeit oder Luftnot kommt. Wenn eine Herzmuskelentzündung nicht erkannt und dann nicht auf körperliche Anstrengung verzichtet wird, steigt das Risiko für bleibende Schäden am Herzen.

Andererseits kann die Aktivierung des Immunsystems als Antwort auf einen Atemwegsinfekt zu Entzündungsprozessen in vorgeschädigten Gefäßen führen. Diese Prozesse destabilisieren unter Umständen vorhandene Fett- und Kalkablagerungen in den Gefäßwänden, wodurch diese unter Umständen aufreißen und Blutgerinnsel bilden – eine Gefahr für Herzinfarkt oder Schlaganfall. Das Risiko wird zusätzlich verstärkt durch eine allgemein verstärkte Gerinnungsneigung bei Infekten.

Studien zeigen herzschützende Effekte

Eine Influenzaimpfung ist bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit klar empfohlen, bei akutem Koronarsyndrom sogar mit der höchsten Empfehlungsstufe, heißt es in den ESC-Leitlinien. Dass Impfungen nicht nur vor Infekten, sondern auch vor Herzinfarkten schützen können, belegen mehrere Studien. Eine Metaanalyse zeigt, dass gegen Influenza geimpfte Patientinnen und Patienten ein um 25 Prozent geringeres Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse haben.

Niedrige Impfquoten trotz klarer Empfehlungen

Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Grippeimpfung grundsätzlich für alle Menschen über 60 Jahren und darüber hinaus auch Menschen mit Vorerkrankungen und Schwangeren. Doch trotz guter Evidenz bleiben die Impfquoten in Deutschland niedrig.

In der Grippesaison 2021/22 lag die Quote bei den über 60-Jährigen bei lediglich 43 Prozent – in Ostdeutschland bei 56, in Westdeutschland sogar nur bei 41 Prozent. “Gerade herzvorerkrankte Menschen vergeben ohne entsprechende Impfungen eine wichtige Chance, ihr Herz und ihre Gefäße zusätzlich zu schützen”, betont Kardiologe Tilz vom Universitären Herzzentrum des UKSH Campus Lübeck. Denn Herzpatienten sind doppelt gefährdet: Sie sind anfälliger für Atemwegsinfekte und erleiden zudem nach Infekten häufiger Komplikationen.

Impfen gehört in die Herzmedizin

Die ESC hat Impfempfehlungen inzwischen in mehrere Leitlinien aufgenommen – etwa zu Herzinsuffizienz, akutem Koronarsyndrom und angeborenen Herzfehlern. Der Fachverband empfiehlt neben der jährlichen Influenza-Impfung auch eine Pneumokokken-Impfung für alle Personen über 60 Jahren. Die Impfung verhindert nicht nur schwere Lungenentzündungen, sondern verringert bei Menschen ab 65 Jahren auch die Zahl der kardiovaskulären Ereignisse. Gegen alle anderen Infektionen sollte entsprechend der Empfehlung der STIKO geimpft werden. 

Gerade die Kardiologen, so die Fachgesellschaft, müssten in Zukunft mehr Verantwortung übernehmen, ihre Patienten aktiv über Impfungen informieren und sie idealerweise direkt in der Praxis durchführen. Dies überlasse man bislang zu sehr den Allgemeinmedizinern, die möglicherweise aber nicht so nachdrücklich wie die Kardiologen über den Herzschutz der Impfungen aufklären könnten.

Das Fazit der Kardiologen ist eindeutig: Impfungen sind nicht nur Infektionsschutz, sondern ein wirksamer, kostengünstiger und oft unterschätzter Beitrag zur Herz-Kreislauf-Prävention.

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