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Gespräche in Dschidda – wer fordert was für die Ukraine? | ABC-Z


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Stand: 10.03.2025 20:15 Uhr

Eine beschränkte Feuerpause, internationale Friedenstruppen oder ein Verzicht auf Gebiete? Es gibt viele Varianten, wie ein Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine aussehen könnte. Wer will dabei was – und was nicht?

Die Position der Ukraine

Für die Ukraine geht es in in diesen Wochen vielleicht schon um alles; um die Hoffnung, diesen Krieg nicht zu verlieren und auf eine Übereinkunft, die ihr Überleben als eigenständiger und unabhängiger Staat sichert.

Von der Erfüllung ihrer völkerrechtlich begründeten Forderungen ist das überfallene Land weiter denn je entfernt. Die Aussicht auf die Wiederherstellung ihrer territorialen Integrität, also die Wiedererlangung der Hoheit über die von Russland völkerrechtswidrig besetzte und annektierte Krim sowie der Regionen Donetsk und Luhansk, ist denkbar gering. Die neue US-Administration hat gleich nach Übernahme der Amtsgeschäfte im Januar deutlich gemacht, dass die Ukraine wohl auf Land verzichten müsse – Russland betrachtet entsprechende Gebiete ohnehin bereits als russisches Territorium.

Sollte die Ukraine also einwilligen, auf einen Teil ihres Staatsgebietes im Osten und Südosten zumindest vorübergehend zu verzichten, stellt sich die Frage, welche Gebiete die Ukraine vorerst aufgibt – und wie die Demarkationslinie sowie die Waffenruhe insgesamt abgesichert wird. Die Forderung, dass das gesamte Staatsgebiet wieder hergestellt werden müsse, hat die ukrainische Führung aber zuletzt nicht mehr erhoben.

Die ukrainische Führung hat immer wieder unterstrichen, dass sie die Mitgliedschaft in der NATO anstrebt, um einen Frieden abzusichern und Russland von einem weiteren Angriff abzuschrecken. Auch diese Perspektive hat die neue Trump-Administration vom Tisch genommen – allerdings war auch bei vielen NATO-Staaten, unter anderem auch in Deutschland, schon vorher die Skepsis gegenüber einer baldigen Aufnahme groß.

Darüber hinaus wünscht sich die Ukraine, dass eine Waffenruhe von ausländischen Soldaten abgesichert wird, möglichst mit Sicherheitsgarantien. Ob sie diese bekommt und von wem, ist noch nicht abzusehen. Die USA lassen dazu keine Bereitschaft erkennen. Die Europäer wiederum wollen, dass entsprechende Garantien durch die USA abgesichert würden.

Der aktuell rund 900 Kilometer lange Frontverlauf müsste durch eine große Zahl von ausländischen Soldaten abgesichert werden. Die gesamte Grenze zwischen beiden Ländern bemisst sich sogar auf 2.300 Kilometer. Militärexperten haben errechnet, dass westliche Staaten mindestens 150.000 Soldaten bereitstellen müssten, möglicherweise sogar noch deutlich mehr. Auch hier ist unklar, wie diese Zahl ohne die USA zusammenkommen soll.

Ein erster Schritt könnte für Präsident Wolodymyr Selenskyj eine partielle Waffenruhe sein, die ein Ende der Luftkämpfe und Kämpfe auf See umfassen würde. Diese wäre leichter zu überwachen, erklärte ein ukrainischer Regierungsvertreter. Die Ukraine wolle einen entsprechenden Vorschlag in Dschidda unterbreiten.

Die Position Russlands

Russland hat bislang kein einziges seiner Kriegsziele zurückgenommen. Zwar erklärt sich das Land zu Gesprächen über ein Ende der Kampfhandlungen bereit, aber seine Pläne für die Ukraine sind seit dem Angriff vom 24. Februar 2022 unverändert.

Russland lehnt eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO ab. Es verlangt die Neutralität des Landes und eine Begrenzung seiner Streitkräfte. Nach Ansicht westlicher Experten käme dies einer Demilitarisierung des Landes gleich und würde die Ukraine – ohne westliche Beistandsgarantien – schutzlos im Falle eines neuen russischen Angriffs machen.

Den Vorschlag, westliche Soldaten auf dem Territorium der Ukraine zur Absicherung einer Waffenruhe zu stationieren, weist Russland zurück. Ferner forderte Russland zu Beginn des Krieges eine „Entnazifizierung“ der Ukraine – ein Begriff, der auf die Denunzierung und Delegitimierung der ukrainischen Führung um Selenskyj zielte. Damit machte Russland deutlich, dass es einen Regimewechsel in Kiew anstrebte und Selenskyj durch einen Moskau wohlgesonnenen Präsidenten ersetzen wollte. Der Kreml behauptet mittlerweile, dass Selenskyj kein rechtmäßiger Präsident mehr sei, weil seine Amtszeit im Krieg abgelaufen ist. Diese Position hat sich inzwischen auch US-Präsident Donald Trump zu eigen gemacht. Trump und Putin übergehen dabei, dass das ukrainische Kriegsrecht keine Wahlen in Kriegszeiten vorsieht.

Gar nicht verhandeln will Russland über die Annektierung der Krim und der ukrainischen Regionen Donetsk, Luhansk, Saporischschja und Cherson. Ihre Zugehörigkeit zur russischen Föderation hat es inzwischen in seine Verfassung aufgenommen, obwohl Russland bis heute nur einen Teil der Regionen Saporischschja und Cherson kontrolliert. Konstantin Remtschukow, Chefredakteur der russischen Tageszeitung „Nesawissimaja Gaseta“, vertrat jedoch die Ansicht, Russland könnte bereit sein, den Anspruch auf die nicht eroberten Gebiete aufzugeben – eine Verfassungsänderung stelle „kein Problem“ dar. Das würde den derzeitigen Frontverlauf in der Ukraine festschreiben.

Am vergangenen Freitag brachte der Kreml Entwürfe für eine Waffenruhe ins Spiel, über die im März 2022 in Istanbul verhandelt wurde – kurz nach Beginn des russischen Angriffkriegs. Aus Sicht der USA und Russlands könnten diese eine mögliche Grundlage für ein Friedensabkommen bilden, erklärte das Präsidialamt in Moskau.

Damals ging es der russischen Seite nach Medieninformationen unter anderem um einen Neutralitätsstatus der Ukraine, eine massive Verringerung ihrer Truppenstärke und ihres Waffenarsenals sowie um den Verzicht auf westliche Truppen im Land. Eine Einigung gab es aber damals nicht – weil beide Seiten in der Sache weit auseinanderlagen und zudem nach der Entdeckung der Gräueltaten russischer Truppen in Butscha kaum noch Verhandlungen möglich waren.

Die Position der USA

Präsident Trump hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Ukraine nicht mehr wie bisher finanziell und militärisch unterstützen will. Er begründet dies einerseits mit der Höhe der bisher geleisteten Hilfe und mit dem Tod und dem Leid so vieler Menschen in diesem Krieg.

Trump wirft der Ukraine angesichts der von den USA gezahlten Milliardenhilfen Undankbarkeit vor und drängt auf ein Abkommen, das den USA theoretisch den Zugriff auf wertvolle Rohstoffe des Landes sichern würde. Allerdings befindet sich ein signifikanter Teil davon auf Gebieten, die derzeit von Russland kontrolliert werden. Selenskyj ist bereit, ein solches Abkommen zu unterzeichnen, hat sich aber in der Vergangenheit im Gegenzug Sicherheitsgarantien der USA gewünscht.

Schon vor Gesprächen mit russischen Vertretern hat die US-Seite im Februar deutlich gemacht, dass sie einen NATO-Beitritt der Ukraine für unrealistisch hält und auch davon ausgeht, dass die Ukraine auf einen Teil ihres Landesgebiets verzichten muss. Welche Forderungen Washington an Russland hat, bleibt unklar – abgesehen von der Erwartung, dass sich beide Seiten auf eine Waffenruhe verständigen.

Dazu hat Präsident Trump Russland auch mit zusätzlichen Sanktionen und Zöllen gedroht – um kurz darauf Verständnis für das russische Vorgehen zu äußern. Handfester sind die Maßnahmen gegen die Ukraine. Die USA haben die Militärhilfe für das Land eingestellt und stellen dem Land keine militärischen Informationen mehr zur Verfügung. Nach Angaben aus der Ukraine hat das umgehend die Verteidigungsfähigkeit der Armee und des Zivilschutzes geschwächt.

Eine Waffenruhe wollen die USA nicht mit eigenen Soldaten, einer Sicherheitsgarantie oder einer anderen Absicherung internationaler Truppen im Land stützen. Sie sehen dies vor allem als Aufgabe der Europäer an. Unklar bleibt schließlich, ob auch Trump Selenskyj aus dem Amt drängen will. Mit dem Vorwurf, Selenskyj sei ein „Diktator ohne Wahlen„, hat er zuletzt ein russisches Narrativ übernommen.

Die Position der Europäer

Die Europäer sind bislang nicht an den amerikanisch-russischen und amerikanisch-ukrainischen Gesprächen über eine Waffenruhe in der Ukraine beteiligt, dennoch aber Teil unterschiedlicher Szenarien. Angesichts der fundamentalen Kehrtwende in der US-amerikanischen Ukraine-Politik versuchen sie nun, einen eigenen Plan für ein Ende der Kampfhandlungen auszuarbeiten. Dabei geht es darum, eine „Koalition der Willigen“ zu bilden, die die Ukraine weiter unterstützen will. Ihr gehören nach britischen Angaben inzwischen 20 Staaten an.

Dabei geht es darum, den Frieden auch mit eigenen Soldaten abzusichern – möglicherweise unter Beteiligung von Staaten aus Asien und Ozeanien.

Am kommenden Wochenende soll im Rahmen einer virtuellen Konferenz weiterverhandelt werden, zu der die britische Regierung geladen hat. An weiteren Gesprächen in Paris würden Vertreter von 30 Staaten teilnehmen, sagte ein französischer Militärvertreter.

In Europa führen Frankreich und Großbritannien die Bemühungen an und haben sich schon bereit erklärt, eigene Soldaten abzustellen. Beide Länder haben angekündigt, einen Plan für eine einmonatige Waffenruhe in der Ukraine auszuarbeiten. Laut Präsident Emmanuel Macron soll diese „in der Luft, auf den Meeren und bei der Energieinfrastruktur“ gelten. Eine Einigung darüber steht aber noch aus.

Außerdem bekennen sich fast alle EU-Staaten zur weiteren militärischen Unterstützung der Ukraine. Bis auf Ungarn stimmten alle EU-Staaten einer entsprechenden Erklärung auf einem Sondergipfel in der vergangenen Woche zu.

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