Gesellschaftlicher Backlash: Wovor wir Frauen wirklich Angst haben sollten | ABC-Z

Wann macht Friedrich Merz sich Sorgen um Ricarda Lang? Wenn sie zu einem Mann mit Turban ins Taxi
steigt. Was klingt wie ein Internetwitz, ist nicht nur eine wahre Begebenheit,
es markiert auch das, was viele seit Beginn der Kanzlerschaft von Friedrich Merz als Backlash bezeichnen.
Über diesen Backlash
wird spätestens seit den Tagen nach der Bundestagswahl diskutiert, als Markus
Söder ein Foto postete: die sechs Spitzenmänner der Union um einen Tisch versammelt
im Konrad-Adenauer-Haus, mit dem Versprechen, nun den “Politikwechsel”
voranzutreiben. Das sorgte für Spott und Häme im Internet, aber darüber hinaus
scheint es die Herren nicht weiter irritiert zu haben. Das Bild entsprach
durchaus dem “Wählerwillen”. Der neue Bundestag ist männlicher. Nicht einmal
mehr ein Drittel der Mandate wird von Frauen wahrgenommen.
Vor zehn Jahren schien
die Welt eine andere gewesen zu sein. Auf die Frage, warum ihm Parität in
seinem Kabinett so wichtig sei, antwortete Justin Trudeau, der damals 43-jährige
Shooting-Star moderner Politik aus Kanada: “Because it’s 2015!”, und wurde
vielerorts dafür gefeiert. Die Zeit der “alten weißen Männer” schien vorbei. Erst
ein Jahr zuvor hatte die schwedische Außenministerin Margot Wallström die
“feministische Außenpolitik” zum Programm erhoben. Und die Zahl der Frauen auf
dem internationalen Parkett stieg. Seit 2019 steht mit Ursula von der Leyen erstmals
eine Frau an der Spitze der Europäischen Union. Im selben Jahr wurde Christine
Lagarde Chefin der Europäischen Zentralbank. Dass die weltweite Klimabewegung
Fridays For Future vorrangig von jungen Frauen angeführt wurde, schien diese
Entwicklung auch für kommende Generationen zu bestätigen. Selbst Angela Merkel,
die sich lange nicht als Feministin bezeichnen wollte, bekannte sich zum Ende
ihrer Kanzlerschaft als ebensolche.
Feministische Außenpolitik gilt im besten Fall noch als Lachnummer
Von heute aus
betrachtet, kommt mir dieser Glaube an einen echten Aufbruch reichlich naiv vor. Die “feministische Außenpolitik” wurde
von der gegenwärtigen schwedischen Regierung wieder aus dem Programm gestrichen.
Auch in Deutschland gilt sie im besten Fall noch als Lachnummer, weit häufiger
steht sie sinnbildlich für das Scheitern der Ampel-Koalition. Das ist umso
bemerkenswerter, als die politische Weltlage die Notwendigkeit feministischer
Politik täglich unterstreicht. Im Weißen Haus regiert ein Mann, der wegen
sexuellen Missbrauchs zu 5 Millionen Dollar Strafe verurteilt wurde, in Russland
wurde häusliche Gewalt entkriminalisiert, Javier Milei hat gleich zu Beginn
seiner Amtszeit das Frauenministerium abgeschafft und die Programme zur
Bekämpfung geschlechterspezifischer Gewalt gestrichen. Das Recht auf
Abtreibung, das einst als demokratische Errungenschaft galt, ist vielerorts
wieder Teil des Kulturkampfs und in manchen Demokratien bereits eingeschränkt.
Vielleicht liegt genau
darin der Kern dessen, was in den vergangenen Jahren passiert ist: nämlich nichts
oder jedenfalls zu wenig. Die Welt, in der Frauen ihren Platz an den Kabinetts-
und Verhandlungstischen hatten, war auch jene, in der Donald Trump 2016 trotz
sexistischer Sprüche gewählt wurde. Und eine, in der auf rechter Seite
Antifeminstinnen wie Giorgia Meloni, Alice Weidel und Marine Le Pen von
Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilten. Könnte es also sein, dass es den Backlash, die
Rolle rückwärts, nie gegeben hat, weil ihm kein echter Fortschritt
vorausgegangen ist, sondern nur eine Modeerscheinung einer um Aufmerksamkeit
buhlenden Mediendemokratie? Weil das, was wir als Fortschritt empfunden haben,
nicht aus der Erkenntnis heraus getrieben war, dass Gleichberechtigung und
Diversität uns in dem Sinne stärken, dass wir die Ressourcen unserer
Gesellschaft voll ausschöpfen können und ein höheres Maß an Beteiligung auch
mit einer größeren Akzeptanz demokratischer Prozesse einhergeht?





















