Gesellschaftliche Spaltung: Wie gespalten ist Deutschland wirklich? | ABC-Z

Deutschland ist nicht gespalten – zumindest nicht so,
wie es oft behauptet wird. Die tatsächlichen Unterschiede in Einstellungen und
Lebensrealitäten sind geringer, als viele meinen. Das jedenfalls ist das
Ergebnis einer Studie von
2023 der Soziologen Steffen Mau, Thomas
Lux und Linus Westheuser. Demnach sei die gesellschaftliche Polarisierung in
Deutschland in vielen Bereichen recht gering. Was uns trennt, sei weniger
die soziale Wirklichkeit als die aufgeheizte Rhetorik darüber.
Ist die Polarisierung also nur ein politisches
Narrativ? Eine Scheindebatte, die von anderen Problemen ablenkt?
Laut der Studie herrscht bei vielen gesellschaftlichen
Fragen überraschend breiter Konsens. Über Parteigrenzen und soziale Milieus
hinweg seien sich die meisten einig: Die Ungleichheit bei
Einkommen und Vermögen sei zu groß, Deutschland müsse mehr für den
Klimaschutz tun, und Zuwanderung bereichere das kulturelle Leben.
Die Studie
argumentiert auf Grundlage solcher Werte und Einstellungen: Die soziale
Polarisierung in Deutschland sei deutlich geringer, als sie generell
wahrgenommen werde. Die verstärkte Wahrnehmung resultiere aus der Emotionalisierung bestimmter Themen wie Gendern, Ernährung oder E-Mobilität.
Bestimmte Reizthemen wirken wie Triggerpunkte – sie lösen bei
vielen Menschen überzogene, teils konfrontative
Reaktionen aus. All das wird als tiefer Eingriff in die Privatsphäre und das
eigene Leben wahrgenommen. Das Problem dabei: Es handelt sich meistens um
Phantomdebatten, die so gar nicht stattfinden. Kaum jemand will anderen eine
gendergerechte Sprache aufzwingen oder den Verzehr von Fleisch; das Autofahren
oder das Fliegen verbieten.
Die Sorgen der Menschen ernst nehmen
Vieles spricht dafür, dass die Ängste und Sorgen
vieler Menschen aus den realen Erfahrungen ihres Alltags erwachsen: 85 Prozent der Deutschen sind
überzeugt, dass die Zukunft schlechter werden wird, dass es künftigen
Generationen nicht mehr so gut gehen wird, wie es der heutigen älteren
Generation geht und in den letzten Jahrzehnten ergangen ist. Seit jeher sehen viele das
Aufstiegsversprechen als essenziellen Teil des Gesellschaftsvertrags: Den
eigenen Kindern und Enkelkindern soll es einmal besser gehen, nicht schlechter.
Wir machen es uns zu
einfach, wenn wir Menschen als unmündig abstempeln und ihre Ängste
hauptsächlich als das Resultat von Manipulation abtun.
In der Realität
hat die soziale Polarisierung zugenommen und heute ein beachtliches Maß
erreicht: 40 Prozent der Menschen in Deutschland haben praktisch keine
Ersparnisse, keine Vorsorge oder Absicherung für Krisen. Dies macht sie abhängig vom
Sozialstaat. Die von vielen als Almosen wahrgenommenen sozialen Leistungen sind
immer stärker mit einem Stigma verbunden. 60 Prozent der von Armut bedrohten
Rentner und Rentnerinnen nehmen ihren Anspruch auf Grundsicherung nicht wahr —
nicht aus Unwissen, sondern primär aus Scham und Selbstrespekt.
Der Wandel von
Klima und Umwelt wird die Lebensgrundlage vieler Menschen, auch in Deutschland, zerstören oder grundlegend verändern. Wenn manche jungen Menschen sich heute
fragen, ob es noch verantwortungsvoll ist, eigene Kinder in diese Welt zu
setzen, dann sollten wir dies ernst
nehmen. Denn die Wissenschaft zeigt mit einem ungewöhnlich großen Konsens, wie
dramatisch die Bedrohung durch den Klimawandel ist.





















