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Gemeinsam kochen im Büro – klappt dasjenige? | ABC-Z

In den bisher elf Jahren meiner Selbständigkeit habe ich in sieben Büros gearbeitet, davor als Angestellte in drei anderen: Co-Working-Spaces, Agenturen, Redaktionen, einer NGO, einem ehemaligen Funkhaus. Ab elf Uhr, spätestens zu Mittag, stellte sich, in unterschiedlichen Ausformungen, immer wieder dieselbe Frage: Was essen wir? Was soll ich essen? Was isst du heute? Wo kann man hier essen gehen? Wie wird hier gegessen? Wird hier überhaupt gegessen?

An jedem Ort herrschten ungeschriebene Regeln und unterschiedliche Bedingungen. Versuche, eine Koch- oder Essroutine zu entwickeln, gab es viele. Sie funktionierten aber nur stellen- oder phasenweise. In der Agentur, wo ich mich als Freelancerin einquartiert habe und derzeit mindestens sechs Menschen arbeiten, ist das anders: Das mit dem Kochen läuft, und zwar kontinuierlich. Seit über zehn Jahren.

„Das Essen muss man einfach mitdenken“

Bevor ich die Frage nach dem Wie beantworte, stelle ich Lukas, dem Inhaber der Agentur, die nach dem Warum. Warum hat er sich bereit erklärt, die Kosten für das gemeinsame Essen zu übernehmen, das auch noch in der Arbeitszeit zubereitet wird? „Als Grundbedürfnis muss man das Essen bei einer Vollzeitbeschäftigung einfach mitdenken“, sagt er. „Und wenn man genauer darüber nachdenkt, spart man Zeit: Die Diskussionen rund ums Essen fallen weg, die Überlegungen, was ich wo und mit wem essen soll, ebenso. All das würde ja auch in der Arbeitszeit passieren.“ Wenn die Firma zahlt, fällt das mühsame Ausrechnen, wer wem wie viel schuldet, weg. Auch Kleinigkeiten wie diese kosten Zeit und Nerven. Lukas kann die Kosten steuerlich ab­setzen. Im Falle seiner Agentur, wo die Arbeitswoche seit zwei Jahren nur vier Tage hat, sind sie mit etwa 200 Euro pro Woche zwar überschaubar, aber nicht nichts. In einem Unternehmen mit über 100 Angestellten wäre das freilich anders.

Während ich das hier schreibe, brät Anna in der Küche nebenan Knoblauch und Zwiebeln in Butter an. Spaghetti bolognese? Wir werden sehen. An jedem Arbeitstag ist hier eine andere Person zuständig für alles, vom Einkaufen über das Kochen bis zum Abräumen. Zeitaufwand: circa 1,5 Stunden. Bei aktuell sieben Personen im Office bedeutet das, ungefähr einmal alle zwei Wochen in der Küche zu stehen. Und an allen anderen Tagen frisch Gekochtes serviert zu bekommen, ohne dafür einen Finger rühren zu müssen.

Das Grundgericht ist vegetarisch

Kochen im Team hat man ausprobiert, aber bewährt hat es sich nicht. „Es ist logistisch einfacher, wenn immer eine Person zuständig ist“, sagt Lukas. Es wäre schwieriger, wenn sich alle täglich Zeit freischaufeln müssten – und das auch noch simultan. Bis sich alles eingespielt hatte, dauerte es. Und es gibt auch heute noch Tage, an denen etwas Unvorher­gesehenes geschieht und man dann doch schnell zum Markt geht, um Falafel-Sandwiches zu holen.

Wer fürs Kochen zuständig ist, übernimmt auch den Einkauf.Belinda Thaler/BESTHE

Wie wird mit Unverträglichkeiten, Vorlieben, Abneigungen und Ernährungsformen wie Veganismus oder Vegetarismus umgegangen? Dazu gibt es eine Art Modulsystem. Einen gemeinsamen Nenner findet man immer. Hier gibt es zurzeit eine Vegetarierin. Das Grund­gericht ist nicht nur wegen ihr, sondern auch aus gesundheitlichen und ethischen Gründen (Klima!) stets vegetarisch. Wenn’s passt, gibt’s optional dazu angebratene Speckwürfel oder Ähnliches. Die Glaubensfrage Koriander kommt wegen Mitarbeiterin Anna immer allein in eine Schüssel, der Schafskäse ebenso – damit hat Kollege Michael ein Problem. Da sich Lukas gerade laktosefrei ernährt, wird derzeit ohne Milchprodukte gekocht.

„Im Grunde handelt es sich bei der Frage nach dem Mittagessen um ein Projekt“, sagt Lukas. So wie in einem Projekt auch immer wieder neue Variablen berücksichtigt werden müssen, so ist es auch beim Kochen: Man passt an, justiert nach, bestimmt Verantwortlichkeiten. An Rezepten mangelt es nicht, auch für abenteuerliche Kombinationen. Paleo und vegan? Es gibt ganze Kochbücher für Peganer, wie sich Menschen nennen, die fleischlastige, glutenfreie Paleo-Ernährung lieber ohne tierische Produkte praktizieren.

Alles eine Frage des Projektmanagements

Ließe sich das Modell dieser Agentur auch auf größere Teams umlegen? Man könnte Cluster von Mitarbeitenden bilden, die zu unterschiedlichen Tageszeiten rotierend kochen; Freiwilligendienste etablieren, für die es kleine Boni gibt; eine kulinarische Taskforce bilden – alles eine Frage des Projektmanagements.

Es hat geschmeckt: Das Essen für die Mitarbeiter wird während der Arbeitszeit gekocht, immer reihum, jeder ist mal dran.
Es hat geschmeckt: Das Essen für die Mitarbeiter wird während der Arbeitszeit gekocht, immer reihum, jeder ist mal dran.Belinda Thaler/BESTHE

Heute befindet sich eine gut ausgestattete Küche in der Agentur. Mit Backofen, Herd, Mixer, blitzblauen Töpfen und korallfarbenen Pfannen sowie einer ku­ratierten Auswahl an Gewürzen, Ölen, Saucen und Grundnahrungsmitteln. Popcornmaschine und Raclette-Set sind mittlerweile im Abstellraum. Neben der Küche steht ein großer Esstisch. Im Sommer wird die blaue Holzbank auf den Gehsteig vor dem Erdgeschoss-Office gestellt, und man isst mit dem Teller auf dem Schoß und der Sonnenbrille im Gesicht, während Passanten guten Appetit wünschen.

Als es 2013 mit der Kochpraxis losging, musste das Team mit zwei Herdplatten auskommen. Damals gab es oft Pasta und Salat. Was es niemals gab: Ausreden à la „zu wenig Platz“, „zu wenig Zeit“ oder „zu wenig Equipment“. Wie konnte die kulinarische Routine so stark werden? Wie hat es das Team geschafft, sie auch in stressigen Zeiten zu einem selbstverständlichen Momentum im Alltag zu machen? Um diese Fragen zu beantworten, muss man etwas tiefer graben. Eine solche Routine funktioniert nur mit Commitment. Und Commitment ist da am stärksten, wo das Teamwohl einen hohen Stellenwert hat und sich Mitarbeitende ernst genommen fühlen. Man entwickelt dann organisch das Bedürfnis, seinen Teil beizutragen. Man bekommt Lust, den anderen etwas vorzusetzen, das ihnen guttut und schmeckt.

Man entkommt der schlechten Laune

Wenn Essen einen so hohen Stellenwert genießt, ist es fast logische Kon­sequenz, dass der gesundheitliche Aspekt nicht zu kurz kommt. Man wird nicht nur satt, sondern versorgt den Körper auch mit Nährstoffen und kleinen oder grö­ßeren Glücksgefühlen. Erwünschter Ne­ben­effekt: Man bildet sich ganz en passant kulinarisch weiter, probiert sich am Teller aus und lernt Neues kennen, das man mit nach Hause nehmen kann. Weiterer Nebeneffekt: Man entkommt der schlechten Laune und der dicken Luft, die sich langsam, aber sicher im Raum ausdehnt, wenn sich hungrige Mitarbeitende neben allem anderen auf den wahrscheinlich ohnehin schon viel zu langen To-do-Listen auch noch um die Nahrungsbeschaffung kümmern müssen. Dieses als „food noise“ bezeichnete Hintergrundrauschen wird dann ganz leise. Und niemand eskaliert – zumindest nicht weil er aufgrund von Hunger gereizt, schlecht gelaunt oder sogar wütend wird, also hangry ist.

Eine kulinarische Routine kann also als positives Symptom einer Unternehmenskultur gelesen werden. Eine culture, in der Werte wie Vertrauen, Respekt, Verantwortung und Work-Life-Balance keine leeren Worthülsen sind, sondern die Pfeiler, auf denen das ganze Haus steht – Werte, für welche die Werbebranche nicht unbedingt bekannt ist. Ihr schlechtes Image hinsichtlich Bezahlung, Arbeitszeiten oder Workload ist in vielen Fällen nicht unberechtigt.

Zum Glück gibt es immer mehr Gegenbeispiele. Denn der Nachwuchs will anders leben und arbeiten als die Generationen davor. Und nicht nur der. Der Ruf nach einer anderen Art zu arbeiten wird immer lauter, das Bedürfnis, Erwerbsarbeit und Care-Arbeit mehr miteinander zu verschränken, immer drängender. Ist das Kochen im Büro – und während der Arbeitszeit – nicht auch eine Art von Care-Arbeit?

Man lernt aus Erfahrung

Die Klingel! Es ist eine, wie man sie von der Hotelrezeption kennt: klein, silbern, kräftiger Klang. Wenn das Essen fertig ist, erklingt ihr freundlicher Ton. Die Konditionierung tut das Ihre und versammelt das Team augenblicklich in der Küche. Heute hat Anna tatsächlich vegetarische Pasta bolognese gemacht, dazu gibt es Fenchel-Orangen-Salat. Von der Kürbiscremesuppe, die Miki am Vortag gemacht hat, ist auch noch etwas da, die gibt es als Vorspeise. Ich lasse den Text liegen und hole mir meine Portion. Heute scheint die Sonne, und wir essen draußen. Morgen bin ich an der Reihe, ich will einen Blumenkohl-Basmati-Salat mit Joghurt-Minzsauce machen. Am Anfang fand ich es schwierig, Menge und Zubereitungszeit richtig einzuschätzen. Man lernt mit Erfahrung.

Grob lassen sich die Gerichte, die hier auf die Tische kommen, in vier Kategorien einteilen: Salate, Eintöpfe, Pasta- und Reisgerichte, Aufläufe. Einfache und schnelle Gerichte, die auch Menschen ohne großes kulinarisches Talent hinkriegen. Im Zentrum ist meistens ein großer Topf oder eine Schüssel, flankierend und optional dann noch Extras und Toppings. Desserts gibt es nach Lust und Laune, aber nicht institutionalisiert. Man muss es nicht übertreiben.

Ein Ausbruch aus der To-do-Liste

Statt die Essensfrage als lästiges Übel abzutun und die Beantwortung jedem selbst zu überlassen, kann man sie als Gelegenheit wahrnehmen, die Unternehmenskultur sinnlich erfahrbar zu machen und das Team zu stärken. Und zwar in doppelter Hinsicht: Essen gibt jedem Einzelnen Energie. Es gemeinsam zu tun, ist Teamkitt. Es regelmäßig zu tun, macht es zum Ritual. „Rituale machen die Zeit begehbar wie ein Haus“, schreibt der Philosoph Byung-Chul Han in seinem Buch „Vom Verschwinden der Rituale“: „Rituale machen aus der Welt einen verlässlichen Ort. Sie ordnen die Zeit, richten sie ein.“ Rituale geben Halt. Sie ermöglichen den temporären Ausbruch aus der To-do-Liste. Die tägliche Wiederholung ist wie Training. Sie macht Rituale zu Gewohnheiten der guten Art. Zu Fixpunkten in einem unsicher gewordenen Alltag, in dem der Mensch heute innerhalb eines einzigen Tages mehr Reizen ausgesetzt ist, als es ein Landwirt im Mittelalter in seinem ganzen Leben war. Ein Alltag, der ein Tempo vorgibt, dem man auf Dauer unmöglich folgen kann.

„Wir rennen so schnell wir können, nur um auf der Stelle zu treten,“ hat der Literaturwissenschaftler Peter Conrad schon vor über 20 Jahren gesagt. Ist es da nicht schön, mal aus dem reißenden Strom der Ereignisse heraustreten zu können, um Karotten im Julienne zu schneiden, Risotto zu rühren oder Shiitake-Pilze scharf anzubraten?

Essen ist mehr als ein Grundbedürfnis. Es ist kultureller Ausdruck, es erzeugt Emotionen und wird zur Erinnerung. Die gesamte Maslow’sche Bedürfnis­py­ra­mide lässt sich damit durchdeklinieren: Essen gibt ein Gefühl von Sicherheit, stärkt die Community, ist Selbstverwirklichung für die, die es kochen, und ermöglicht beizeiten – vor allem wenn man es weglässt – sogar Erfahrungen der Transzendenz. Und: Wie der amerikanische Unternehmensberater Simon Sinek anhand seines Golden-Circle-Modells zeigt, ist das Wichtigste dabei nicht das Was oder das Wie, sondern das Warum, das zum Beispiel lauten könnte: weil wir eine Unternehmenskultur leben wollen, in der das Miteinander im Zentrum steht. Was verbindet mehr als Essen?

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