Gehirnzellen sollen Computer jagen: Grusel-Technik oder Revolution? | ABC-Z
Rom. Die Entwicklung der KI schreitet rasant voran. Italienische Forscher arbeiten nun an einem neuen Projekt. Doch das wirft ethische Fragen auf.
Es klingt wie das Drehbuch eines Science-Fiction-Films, könnte aber bald Realität werden. Organoide Intelligenz soll es ermöglichen, dass Gehirnzellen einen Biocomputer antreiben. Noch ist es eine Vision, doch Forschende an der Universität Bologna arbeiten an Systemen, bei denen 3D-Kulturen menschlicher Gehirnzellen als Hardware dienen.
Organoide Intelligenz bezeichnet die Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI), die auf biologischen Zellen basiert, insbesondere durch die Verwendung von Organoiden – kleinen, miniaturisierten Versionen von Organen, die aus menschlichen Stammzellen gezüchtet werden. Diese Organoide haben die Fähigkeit, grundlegende biologische Prozesse nachzubilden und in gewissem Sinne auch „Intelligenz“ zu entwickeln, da sie neuronale Netzwerke und Kommunikationsstrukturen enthalten, die denen des menschlichen Gehirns ähnlich sind.
Organoide Intelligenz soll genutzt werden, um menschliches Gehirn- oder Organverhalten besser zu verstehen und zu simulieren. Sie könnte helfen, personalisierte Therapien zu entwickeln, indem sie es ermöglicht, die Reaktion von Zellen oder Organsystemen auf bestimmte Medikamente oder Behandlungen vorherzusagen. Sie stellt einen der fortschrittlichsten und vielversprechendsten Grenzbereiche der modernen Wissenschaft und Technologie dar.
KI soll gehirnähnlicher gestaltet werden
„Bei dem Ansatz der Forscherteams geht es darum, KI gehirnähnlicher zu gestalten. Wie sich die künstliche Intelligenz künftig entwickeln wird und sogar ein mögliches Selbstbewusstsein erlangen kann, sind Fragen, mit denen wir uns in Zukunft immer häufiger befassen müssen“, betonte der Experte für neuronale Netze und Künstliche Intelligenz, Claudio Anastasio, jüngst auf einer Tagung in Rom.
Die neuen Biocomputer werden enorme Leistungen bei sehr geringen Energiekosten garantieren können. Sogar eine „hochentwickelte emotionale Intelligenz“ gestehen Fachleute dem Biocomputer der Zukunft zu; mit dieser könnte er bei Konflikten vermitteln, die psychische Gesundheit unterstützen und ein positives Arbeitsumfeld fördern.
„Die künftigen Computer werden nicht mehr aus Silizium bestehen, sondern aus biologischem Material.“
KI wird ethische und rechtliche Fragen auf – auch mit Blick auf die kommenden Generationen
„Die künftigen Computer werden nicht mehr aus Silizium bestehen, sondern aus biologischem Material. Sie werden so strukturiert sein, dass sie den Synapsen des menschlichen Gehirns ähneln. Wir wissen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie sich diese Maschinen in Bezug auf ihr Selbstbewusstsein verhalten werden. In wenigen Jahren werden die Menschen sich mit dem Begriff des künstlichen Selbstbewusstseins auseinandersetzen müssen. Denn damit sind viele ethische Fragen verbunden“, sagte Anastasio, Präsident der Vereinigung Minermes, gegenüber unserer Redaktion.
Die Vereinigung beschäftigt sich unter anderem mit den ethischen Aspekten bezüglich der Technologie. Die in den 1950er Jahren entstandene Künstliche Intelligenz hat sich rasch weiterentwickelt und beeinflusst bereits mehrere berufliche und gesellschaftliche Bereiche, ohne dass jedoch aufgrund ihres multidisziplinären und sich ständig verändernden Charakters eine allgemein akzeptierte Definition gefunden wurde.
Gleichzeitig wirft die KI komplexe ethische und rechtliche Fragen auf, auch bezüglich der künftigen Generationen, die in eine Welt hineingeboren werden, in der KI allgegenwärtig sein wird. „Wie wird sich die Wahrnehmung der menschlichen Grenzen verändern? Sind wir bereit, uns den ethischen, bioethischen und sozialen Herausforderungen zu stellen, die dies mit sich bringt?“, lautet die Frage der Experten. Denn in Zukunft könnte eine Welt entstehen, in der die Realität mit dem Virtuellen verschmilzt, in der digitale Avatare Verbrechen begehen und Computer ein eigenes Leben führen.
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Wer ist verantwortlich, wenn ein digitaler Avatar ein Verbrechen begeht?
„Die KI bietet erstaunliche Möglichkeiten, doch ausgerechnet ihr Einsatz im Gesundheitsbereich und die möglichen rechtlichen Folgen im Fall eines medizinischen Fehlers sind Themen, die die Experten in den nächsten Jahren stark beschäftigen werden“, meinte die italienische Neurologin Maria Grazia Marciani, Präsidentin des Ethikausschusses des Latiums der Region um Rom.
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Wie das Gesetz in einer Welt ohne physische Grenzen angewendet werden kann, fragt sich die Anwältin und Juristin Silvia Carosini. „Wenn zum Beispiel in der Zukunft ein Avatar ein Verbrechen begeht, das in der realen Welt als sexuelle Nötigung gilt, wer wäre dann dafür verantwortlich?“, fragte Carosini. Denn die Entwicklung von Avatars, dem Metaversum und der KI konfrontiert die Menschen mit vielen Problemen, auch in Sachen Sicherheit.
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Auch der Papst fordert eine Auseinandersetzung mit KI
Die ethischen Aspekte der KI beschäftigen immer mehr auch die Regierungen und den Vatikan. Papst Franziskus hat zuletzt eine intensivere Auseinandersetzung mit den Auswirkungen Künstlicher Intelligenz gefordert. Damit diese Innovation und ihre Entwicklung der gesamten Menschheit zugutekomme, erfordere es ein regulierendes wirtschaftliches und finanzielles Umfeld, das die Monopolmacht einiger weniger einschränke.
Die gesamte Welt der Bildung, Ausbildung und Kommunikation solle einen koordinierten Prozess einleiten, um das Wissen und das Bewusstsein für den richtigen Umgang mit KI zu erhöhen und um den neuen Generationen von Kindesbeinen an die kritische Fähigkeit gegenüber diesen Werkzeugen zu vermitteln, forderte der Papst. Ein weiterer Punkt, der aus seiner Sicht nicht außer Acht gelassen werden dürfe, sei der enorme Energieverbrauch für die Entwicklung von KI, während die Menschheit vor einer schwierigen Energiewende stehe.