News

Gefahr für die Gesundheit: Wie schädlich ist Titandioxid? | ABC-Z

Stand: 31.07.2025 23:40 Uhr

Der Weißmacher Titandioxid ist in Zahnpasta, Kosmetika und Farben. Eine Studie wies den Stoff jüngst in Muttermilch nach. Seit Jahren gibt es einen juristischen Streit zwischen EU und Herstellern darüber, ob er krebserregend ist.

Titandioxid scheint eigentlich harmlos zu sein. Es ist reaktionsträge, kann sich nicht leicht mit anderen Stoffen verbinden und so gefährliche Verbindungen bilden. Zugleich ist es ein hervorragender Weißmacher und wird daher in Zahnpasta, Kosmetika wie Sonnencremes, vor allem in Wandfarbe und Lacken sowie Kunststoffen und Papier verwendet. Auch in Arzneien – etwa um Tabletten zu ummanteln. Europaweit werden etwa eine Million Tonnen des Farbstoffs produziert.

Strahlend weiße Substanz, mit dunkler Seite

Doch der vermeintlich harmlose Stoff wird seit Jahren verdächtigt, gesundheits- und umweltschädlich zu sein. Zahlreiche Studien zeigen Schädigungen, andere jedoch nicht. Das Bundesinstitut für Risikobewertung BfR hat 2021 das Gesundheitsrisiko neu eingeschätzt. Es kommt zu dem Schluss, dass mehrere Studien darauf hinweisen, dass Titandioxid-Partikel in den Zellkern dringen und dort DNA-Strangbrüche, DNA-Schäden und Chromosomenschäden verursachen können.

Auf die Partikel-Größe kommt es an

Ob Titandioxid-Partikel genschädigend sind, hängt von deren Größe ab. Bei Partikeln größer als 100 Nanometer (1nm = ein Millionstel Millimeter) wurde kein ausreichendes “Potenzial” erkannt, Erbgut zu schädigen, bei kleineren aber schon. Aus solchen Gen-Schäden kann Krebs entstehen. Aufgrund der bisherigen Studienlage geht man davon aus, dass das Hauptrisiko über die orale Einnahme und das Einatmen von Partikeln in Nano-Größe, also kleiner als 100 Nano-Meter, ausgeht. Das ist kleiner als ein Tausendstel der Dicke von Papier. Das BfR geht von einer Größe von 5 bis 58 Nano-Meter Größe aus, bei der Partikel ein genschädigendes Potenzial haben. Eine Aufnahme über die Haut ins Blut, durch Sonnencremes etwa, schließt das BfR zurzeit aus.

Titandioxid-Partikel verstärken Darmentzündung

2017 verabreichte der Mediziner Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich Mäusen Titandioxid-Partikel in Nano-Größe. Gesunden Tieren passierte nichts. Aber bei denen, die bereits an Darmentzündungen litten, wurden diese verstärkt. Auch bei Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa hat er diese Beobachtungen gemacht. “Bei denen ist die Schutzschicht der Darmschleimhaut sehr dünn. Sie ist nicht geschützt vom Vordringen dieser Nano-Partikel. Wenn die in die Zellen eindringen, dann gehen die kaputt, dann werden die Lücken der Schutzwand größer, Bakterien können eindringen. Es kommt zu Entzündungsschüben.” Und, so Rogler weiter, chronische Entzündungen können zu Krebs führen. Etwa zwei Prozent der Bevölkerung litten an derartigen Darmentzündungen und seien vom Risiko durch Titandioxid betroffen.

Als Nahrungsmittel-Zusatz verboten

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA bezeichnet Titandioxid aufgrund der Studienlage als “nicht mehr sicher”. Als Zusatz für Lebensmittel ist es seit 2022 EU-weit verboten. Der Weißmacher darf nur noch in Zahnpasta, Sonnencremes und Wandfarbe, Kunststoffen und Arzneien verwendet werden. Deklariert wird es oft als “CI 77891”. Die Verwendung von Zahnpasta beispielsweise kritisiert Gerhard Rogler ebenfalls: “Eine niederländische Studie hat festgestellt, dass Kinder die höchsten Konzentrationen von Titandioxid im Körper haben. Wahrscheinlich, weil sie die Zahnpasta schlucken und nicht so gut ausspülen. Ich bin der Meinung, dass das raus gehört aus der Zahnpasta, zumal es auch für den Säuberungseffekt ja keinen Wert hat.”

Zulassungsprozess für Medikamente behindert Verzicht auf Titandioxid

Gerhard Rogler fordert daher, auf den Weißmacher zu verzichten. Bei Arzneien aber sieht er ein Problem. Wenn Titandioxid zugesetzt ist, ist es Teil der Zulassung des Medikaments. Wird es ersetzt, dann erlischt die Zulassung, so Rogler. Eine neue könne Jahre dauern, in denen dann das Medikament fehlt. Zudem gelten strengere Regeln für Arzneien. Das hierfür verwendbare Titandioxid-Pulver darf nur 3-5 Prozent Nano-Partikel enthalten.

Risiko für Organismen und die Umwelt

2018 hat das Bayerische Landesamt für Umwelt in Augsburg festgestellt, dass rund ein Drittel der über Sonnencreme aufgetragenen Titandioxid-Nano-Partikel sich von der Haut lösen und so in Gewässer gelangen können. Die vom Amt gemessenen Konzentrationen in Badeseen waren aber sehr gering.

Der Biologe Sebastian Kühr vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME untersucht, wie sich Nano-Partikel in Organismen anreichern. Er geht davon aus, dass diese in Gewässern schnell ins Sediment absinken oder von filtrierenden Organismen aufgenommen werden. Das würde erklären, warum sich in Wasserproben nur geringe Mengen zeigen: “Wir haben in einer Studie selber festgestellt, dass diese Partikel sich zu einem hohen Maß anreichern können, und wir haben da eine Studie durchgeführt, wo wir Titandioxid über das Wasser exponiert haben und die Muscheln hatten hinterher eine neuntausendfach höhere Konzentration dieser Partikel im Organismus, also im Gewebe als im Wasser.”

Über die Nahrungskette landet Titandioxid beim Menschen

Durch die Partikel, so Kühr, können die Tiere ihre Nahrung nicht mehr verwerten. Sie bekommen zu wenig Energie, stellen ihre Vermehrung ein. Allerdings, schränkt er ein, erst bei Konzentrationen, die tausendfach höher sind als die bisher in der Umwelt gefundenen. Dennoch warnt er, dass die Partikel sich in den Organismen konzentrieren und letztlich über die Nahrungskette zum Menschen gelangen. Eine Anfang Juli veröffentlichte Science-Studie weist darauf hin, dass dies vielleicht schon passiert ist. Sie fand bei 10 Frauen aus Paris Titandioxid-Partikel in der Muttermilch. Außerdem auch in Kuhmilch und in Säuglingsnahrung.

Zudem können Titandioxid-Partikel auch ein “Trojanisches Pferd” sein, so Sebastian Kühr, weil sich andere Partikel an die Titandioxid-Partikel binden. “Vielleicht auch Pestizide, die dann viel stärker in den Körper gelangen können.”

Membran soll Nano-Partikel aus der Umwelt filtern

Eine technische Studie der Uni Bayreuth schlägt als Lösung den Einsatz einer speziellen Membran vor, die beispielsweise in Kläranlagen effektiv Nano-Partikel aus dem Abwasser und damit auch das massenhaft verwendete Titandioxid in Wandfarben herausfiltern könne.

Urteil vom Gerichtshof der Europäischen Union erwartet

Die EU hatte 2019 den Weißmacher Titandioxid in Pulverform als krebserregend eingestuft. Dagegen haben sich verschiedene Hersteller und Händler erfolgreich vor dem Gericht der Europäischen Union gewehrt. Es hatte eine entsprechende Verordnung der EU-Kommission für nichtig erklärt.

Diese Entscheidung wurde nun in zweiter Instanz vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) überprüft, Freitag soll das Urteil verkündet werden.

Back to top button