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Geburtenrückgang: In den Kitas sind jetzt Plätze frei – sogar in Berlin | ABC-Z

Nur zwei Familien sind vor zwei Wochen zum Tag der offenen Tür gekommen, erzählt Katrin Kraus. Sie leitet die Kindertagesstätte Traumzauberbaum in Berlin. „Vielleicht lag es am Wetter, es hat ja geregnet.“ Aber eigentlich weiß Kraus, dass es nicht am Wetter gelegen hat. „Vermutlich ist es wirklich so, dass die Familien alle versorgt sind.“ Ernüchternd sei das gewesen. Es liegt Wehmut in ihrer Stimme.

Eine Kita in Berlin veranstaltet einen Tag der offenen Tür, um Kinder zu gewinnen? Und dann kommen noch nicht einmal eine Handvoll Interessierte? Das dürfte vielen Eltern wie ein schlechter Scherz vorkommen, zumindest wenn sie noch vor ein oder zwei Jahren selbst einen Platz gesucht haben. Da nämlich war keine Einrichtung darauf angewiesen, sich den Familien mit Gartenfesten oder Schnuppertagen zu präsentieren. Da konnten sich Eltern glücklich schätzen, wenn es ihr Kind auf die vorderen Plätze der Warteliste einer Einrichtung in ihrer Nähe geschafft hat. Die Kitas kämpften zwar mit dem Erziehermangel, konnten sich einer Sache aber sicher sein: Kinder gibt es mehr als genug.

Doch dieses Kräfteverhältnis verschiebt sich gerade in vielen Regionen Deutschlands – und zwar deutlich. Wurden 2021 hierzulande noch fast 800.000 Kinder geboren, waren es im Jahr 2024 noch etwas mehr als 677.000. Das entspricht einem Rückgang von rund 15 Prozent innerhalb von nur drei Jahren. Die Kinder, die da nicht geboren wurden, kommen nun auch nicht in den Betreuungseinrichtungen an. Die älteren Kinder aus den geburtenstärkeren Jahrgängen werden eingeschult, die jüngeren hingegen rücken nicht annäherend in gleicher Zahl nach.

„Die gesamte Branche steht unter Druck“

„Vor allem die Wucht dieser Entwicklung trifft uns wirklich hart“, sagt Katrin Kraus von der Kita Traumzauberbaum. Ihre Kita ist eine der großen Einrichtungen der Stadt, auf 220 Kinder ausgelegt, notfalls gehen sogar 240. Die Räume liegen mitten in der Hauptstadt, Kraus kann von ihrem Büro aus den Fernsehturm sehen – beste Lage also. Im vergangenen Jahr konnte sie noch jeden Platz vergeben. Doch zum neuen Schuljahr sieht das anders aus. Dann verlassen 60 Kinder die Einrichtung, neu kommen werden nur rund 40 – „wenn alle erscheinen, die auch zugesagt haben“, so Kraus. Denn das ist keine Selbstverständlichkeit mehr. „Neuerdings melden sich die Familien oft gar nicht mehr zurück“, sagt Kraus. „Wenn wir anrufen, heißt es: Von welcher Kita sind Sie noch mal?“ Kein Vergleich zu früheren Zeiten, als bis zu 60 Kinder auf der Warteliste gestanden hätten.

Stefan Spieker ist Chef des Kitabetreibers Fröbel, zu dem auch die Einrichtung von Kraus in Berlin Mitte zählt. Insgesamt betreibt Fröbel fast 250 Kitas in ganz Deutschland. „Die gesamte Branche steht unter Druck“, sagt Spieker. „Und die Wende ging extrem schnell.“ Dass heute viele Kitas von dem drastischen Nachfragerückgang überrascht werden, führt Spieker auf mehrere Gründe zurück. „Zum einen gab es größere Fluchtbewegungen, gerade aus der Ukraine. Das hat die Bevölkerungsentwicklung überlagert und den Effekt abgeschwächt.“ Zum anderen habe sich insbesondere in Großstädten wie Berlin die Wohnungsnot weiter verschärft. So würde in Stadtzentren gar kein Wohnraum mehr frei werden für junge Familien.

Vom zuständigen Berliner Senat heißt es, in einigen Ortsteilen wie Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg sinke die Auslastung, während die Nachfrage etwa in Spandau oder Reinickendorf spürbar zunehme. Insgesamt waren zum Stichtag Ende Mai in Berlin gut 10 Prozent der Betreuungsplätze nicht belegt. Die Auslastung sei damit gegenüber dem Vorjahr „deutlich“ gesunken.

Träger und Betreiber kämpfen mit sinkender Auslastung

Die Entwicklung ist auch in Deutschland insgesamt nicht einheitlich. Dass es in Ostdeutschland zu viele Kitaplätze gibt, ist schon länger bekannt. Das sächsische Kultusministerium sagt auf Anfrage der F.A.S., es werde „vielerorts über Perspektiven diskutiert, mitunter werden Kitas geschlossen oder zusammengelegt – insbesondere im ländlichen Raum“. Auch in Thüringen mussten bereits Einrichtungen aufgeben. Während es für Eltern zwar gut ist, wenn sie leichter einen Kitaplatz finden, wird durch Schließungen teilweise die Anfahrt länger. In Foren machen manche Eltern ihrer Wut darüber Luft. Und das Problem der sinkenden Geburtenzahlen könnte in den Regionen, in denen die Kinderbetreuung immer spärlicher wird, umso größer werden.

So weit ist es in Westdeutschland noch nicht. Aber es wird deutlich, dass sich gerade etwas verschiebt. In Niederkassel etwa wurden zwei Kitas „ruhend gestellt“ aufgrund des starken Geburtenrückgangs, in weiteren Kitas sind Gruppen geschlossen worden, weil der Bedarf nicht mehr vorhanden war. Das sind bislang Ausnahmen. Aber mit sinkender Auslastung kämpfen Träger und Betreiber in vielen Regionen durchaus. In Bremen etwa standen zum Zeitpunkt der letzten Auswertung Anfang März 23.919 Anmeldungen 25.605 Plätzen gegenüber. Auch in Niedersachsen ist die Auslastungsquote von 2023 zu 2024 gesunken. Hamburgs größter Kitabetreiber „Elbkinder“ sagt: „In Hamburg erleben wir tatsächlich gerade eine Entspannung der Nachfragesituation nach Kitaplätzen. Wartezeiten gibt es kaum noch.“

Zu große Kapazitäten gibt es vor allem dort, wo die sinkenden Geburtenzahlen auf ein stark ausgebautes Betreuungssystem treffen. Fröbel-Vorstandschef Spieker nennt hier etwa Münster in Nordrhein-Westfalen. In der Nähe von Heilbronn gibt es offenbar ebenfalls dieses Problem. Die Stadt Löwenstein kündigte den Kooperationsvertrag mit der dortigen Fröbel-Kita unter Verweis auf die beiden städtischen Kitas, in denen 30 Plätze unbelegt seien, erzählt Spieker. Zum Ende des Kindergartenjahres 2025/26 soll Schluss sein in der Villa Ackermann.

Kitaausbau sollte nicht gestoppt werden

„Auch in Westdeutschland wird die Lücke zwischen Bedarf und Angebot an Plätzen kleiner“, resümiert Christiane Meiner-Teubner von der TU Dortmund. Gemeinsam mit Kollegen hat sie berechnet: Im kommenden Kitajahr ist die Lücke in der Betreuung der Kinder unter drei Jahren etwa ein Drittel kleiner als noch 2022/23. Im Jahr 2027/28 könnte es in Westdeutschland erstmals einen Überhang an Plätzen für Kinder zwischen drei und fünf Jahren geben, wenn das Angebot nicht angepasst wird. In Ostdeutschland ist der Kipppunkt rechnerisch bereits dieses Jahr erreicht, wo es für die älteren Kinder einen Überhang von 12.000 Plätzen gibt. Werden die Kapazitäten in den Kitas nicht reduziert, wären bis Ende des Jahrzehnts rund 83.000 Plätze unbelegt. Dennoch warnt Meiner-Teubner davor, nun den Kitaausbau zu stoppen. „Es gibt noch immer viele Regionen, in denen es schwierig ist, einen Kitaplatz zu finden“, sagt sie. Der Elternbedarf sei vielerorts noch nicht erfüllt. „Es ist zu früh, um Entwarnung zu geben.“

Auch Susanne Kuger vom Deutschen Jugendinstitut plädiert für eine differenzierte Betrachtung der Lage. In den rückläufigen Geburtenzahlen liege auch eine Chance, die Qualität der Betreuung zu verbessern. Viele Eltern wissen: Auch wenn die Vorgaben zum Personalschlüssel auf dem Papier vielleicht stimmten, sah dies in der Realität durch den hohen Krankenstand von Erziehern oft ganz anders aus. „Noch gibt es in vielen Regionen einen klaren Nachholbedarf, hier werden weiter Leute eingestellt“, sagt Kuger.

Es wäre mitunter sinnvoll, Erzieher von Ost nach West zu schicken, doch das ist nicht einfach, sind doch die Menschen an ihren Wohnorten verwurzelt. Mittelfristig sieht Kuger für Erzieher auch in Grundschulen gute Beschäftigungsperspektiven. Dort wird ab dem kommenden Jahr stufenweise ein Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz eingeführt.

Für die Kitabetreiber und -träger ist es schwierig, sich auf die neue Situation einzustellen. Anders als die Schulen haben sie nur gut ein bis zwei Jahre Zeit, bis sie veränderte Geburtenraten zu spüren bekommen. Nun die Kapazitäten zu reduzieren, könnte sich als Fehler erweisen, sollte es bald wieder mehr Babys geben. Andererseits wird mit Vollauslastung kalkuliert. „Es braucht eine scharfe Planung für die Finanzen, aber diese ist eigentlich gar nicht möglich“, sagt Susanne Kuger. „Um einen gewissen Puffer werden wir nicht herumkommen.“

Das könne bedeuten, unbesetzte Plätze vorzuhalten oder auch mal eine kurzzeitige Überbelegung von ein bis zwei Kindern hinzunehmen. Stefan Spieker von Fröbel sagt: „Wir müssen sehr genau hingucken, wie viele Mitarbeiter wir wirklich künftig an welchen Standorten noch brauchen.“ Die Herausforderungen hätten sich gewandelt: „Was wir früher in die Fachkräftegewinnung investiert haben, investieren wir jetzt in die Gewinnung von Familien.“

Für die Eltern sei das aber eine gute Entwicklung: „Das stärkt das Wunsch- und Wahlrecht“, so Spieker. Mussten Familien jahrelang nehmen, was sie kriegen konnten, hätten sie nun in immer mehr Regionen die Möglichkeit, zu entscheiden. „Die Familien können sich überlegen, was ihnen wichtig ist an der Kita, etwa ein musikalischer Schwerpunkt, ein schöner Garten oder eine große eigene Küche.“ Das gebe einen echten Qualitätswettbewerb.

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