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Gazastreifen in Trümmern: Was hat Israel im Kampf gegen die Hamas erreicht? – eine Datenanalyse | ABC-Z

Seit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 hat Israels Militär ein Ziel vor Augen: die Vernichtung der Hamas. Doch die Terrororganisation formiert sich immer wieder neu. Daten aus der Konfliktforschung deuten auf einen aussichtslosen Kampf hin.

Ein Jahr nach Beginn der Gaza-Offensive hat Israels Rachefeldzug gegen die Hamas einen kritischen Punkt erreicht. Zwar hat die Terrororganisation in den vergangenen zwölf Monaten tausende Mitglieder verloren, darunter auch einige hochrangige Offiziere. Doch der Preis dafür ist hoch. Mehr als 11.300 Kinder und 6.300 Frauen zählen laut UN-Angaben zu den zivilen Opfern des Konflikts. Diese Zahlen stützen sich auf palästinensische Angaben. Hinzu kommen fast zwei Millionen Menschen auf der Flucht. Große Teile des Gazastreifens liegen in Trümmern.

Die Bedrohungen für das israelische Volk sind indessen nicht weniger geworden. Im Gegenteil: Mittlerweile kämpft Israels Armee an mehreren Fronten, während sie zugleich versuchen muss, die Kontrolle über den Gazastreifen aufrechtzuerhalten. Denn die Hamas sei zwar militärisch geschwächt, doch längst noch nicht besiegt. So zumindest lautet das Fazit einer Analyse der Konfliktforschungsdatenbank ACLED (Armed Conflict Location & Event Data), die die Gewalt im Nahen Osten anhand von verifizierbaren Berichten systematisch dokumentiert.

Israelische Armee erleidet im Guerilla-Krieg Verluste

Mit Hilfe der Daten lässt sich der Kriegsverlauf gut nachzeichnen. Dabei zeigt sich unter anderem, wie sich die Hamas-Taktiken im Laufe der Zeit verändert haben. In den ersten Monaten der Bodenoffensive, die im Norden des Gazastreifens ansetzte, lieferte sich die Terrormiliz noch heftige Gefechte mit den israelischen Streitkräften. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten die Kämpfe im Dezember und Januar.

Gaza-KriegZahl der monatlichen Hamas-Angriffe

Doch auch in den Monaten danach gelang es der Hamas, sich der „Säuberungsaktion“ der israelischen Armee (IDF) zu entziehen und zu widersetzen. Selbst in den Gebieten, die die IDF längst als „vollständig unter Kontrolle“ deklariert hatte, wurde und wird weiterhin gekämpft. Zuletzt sollen am 17. September erneut vier IDF-Soldaten getötet worden sein, nachdem die Hamas ein Gebäude westlich von Rafah gezielt mit Raketen beschossen hatte.

Gerade diese Art von Angriffen sei typisch für das aktuelle Stadium des Konflikts, so die ACLED-Analyse: Die Hamas-Mitglieder scheinen die direkte Konfrontation mit dem israelischen Militär zunehmend zu meiden. Stattdessen nehmen der Beschuss mit Distanzwaffen sowie Attentate mit selbst gebastelten Sprengsätzen und Angriffe aus dem Hinterhalt zu. Dabei kommt dem berühmten Tunnel-Netzwerk, das vielerorts offenbar nach wie vor intakt ist, eine weiterhin zentrale Rolle zu.

Tausende Hamas-Kämpfer getötet – doch die Rekrutierungsmaschine läuft

Für Anfang Oktober sind bislang nur wenige gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen der Hamas und den israelischen Streitkräften im Datensatz vermerkt – wobei die Einträge voraussichtlich noch ergänzt werden. Aktuelle Ereignisse tauchen in der Regel erst mit zeitlicher Verzögerung in der Datenbank auf, da sie vorher überprüft und kategorisiert werden müssen. Dennoch zeigt sich im Verlauf der vergangenen zwölf Monate recht deutlich: Die Kämpfe im Gazastreifen lassen nach. Vieles deutet darauf hin, dass die Ressourcen der Hamas schwinden.

Israel behauptet, seit Beginn der Offensive rund 17.000 bewaffnete Widersacher eliminiert zu haben. Das wären bereits mehr als die Hälfte der 25.000 bis 30.000 Kämpfer, die dem militärischen Arm der Hamas vor dem Krieg angehört haben sollen. Doch diese Angaben lassen sich nur schwer nachvollziehen. Auch inwiefern die Getöteten tatsächlich dem Hamas-Umfeld zugeordnet werden können, bleibt unklar. In den offiziellen IDF-Berichten zur Gaza-Offensive wird die Tötung von rund 8500 mutmaßlichen Hamas-Mitgliedern dokumentiert und mit Details wie Orts- und Zeitangaben glaubhaft untermauert.

Analysen des US-Senders CNN und des Instituts for the Study of War (ISW) zeigen allerdings, dass sich die Hamas-Kampfbataillone in Gaza trotz ihrer Verluste immer wieder neu aufstellen – und sogar neue Mitglieder rekrutieren. „Die Hamas-Präsenz ist in Nord-Gaza stärker, als Sie glauben“, zitiert CNN einen aus der Region geflüchteten Palästinenser, der anonym bleibt. „Sie halten sich unter Zivilisten auf. Das hilft ihnen, ihre Streitkräfte wieder aufzubauen“, sagte der Mann dem US-Sender.

Anschläge im Westjordanland tragen die Handschrift der Hamas

Israels Führung stellt die Gaza-Offensive trotzdem als Erfolg dar. Die Hamas als „militärische Formation existiert nicht mehr“, triumphierte etwa Israels Außenminister Yoav Gallant Anfang September. Doch wie es mit der Region weiter gehen soll, lässt die israelische Regierung offen. Ein Waffenstillstand ist jedenfalls nicht in Sicht.

Nach wie vor findet die Hamas Mittel und Wege, um Anschläge auf israelische Soldaten und Zivilisten zu verüben – und das auch außerhalb des Gazastreifens. Allein im Westjordanland habe es seit dem 7. Oktober mindestens zwölf Hamas-Anschläge gegeben, bei denen Menschen verletzt oder sogar getötet wurden, so die ACLED-Analyse. Dabei habe die Terrororganisation ihre Taktiken in den letzten Monaten sichtlich verfeinert und versuche, „komplexere und ausgeklügeltere Angriffe mit Sprengstoffen durchzuführen, die an die Zweite Intifada erinnern“, heißt es in dem Bericht.

Am 23. Juli etwa lockten Hamas-Aktivisten mehrere israelische Soldaten in einen Hinterhalt mit improvisierten Sprengsätzen und verletzten drei von ihnen. Ende August zündeten Hamas-Terroristen innerhalb von 20 Minuten zwei Autobomben in einem offenbar koordinierten Angriff auf israelische Siedlungen im Westjordanland.

Auch in den übrigen Landesteilen Israels ist der Terror der Palästinensergruppe so präsent wie lange nicht mehr. Zuletzt bekannte sich die Hamas zu einem Anschlag in Tel Aviv am 1. Oktober, bei dem mindestens sieben Menschen erschossen wurden. Ein zuvor gescheitertes Selbstmordattentat im August wird ebenfalls als signifikantes Ereignis eingestuft – schließlich war es das erste Mal seit acht Jahren, dass in Tel Aviv, im Herzen Israels, eine Bombe am Körper eines Hamas-Attentäters explodierte.

Egal, welche Lösung Israel für den Gazastreifen anstrebt: Eine Zukunft der Palästinensergebiete ohne die Hamas scheint auch ein Jahr nach Beginn der Offensive nur schwer vorstellbar. Zwar lässt selbst die Hamas-Führung in Katar mittlerweile durchblicken, dass sie weder die Kapazität noch den Wunsch habe, das kriegsgebeutelte Gaza weiter zu regieren. Trotzdem gelingt es der Terrormiliz noch immer, Israel in einem Abnutzungskrieg zu halten, während sie zugleich ihren Einfluss im Westjordanland ausbaut. Das alles vor dem Hintergrund, dass von den verbliebenen Geiseln im Gazastreifen weiterhin jedes Lebenszeichen fehlt. Für die Erfolgsbilanz der israelischen Regierung sieht das nicht gut aus.

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