Stil

Garibaldi ist der Drink meines Lebens – die Freiheit schmeckt bitter | ABC-Z

Trinken beginnt im Teenager-Alter meist als Rebellion, als konspiratives Ritual abseits des Schulgeländes oder bei dem einen Freund zu Hause, dessen Eltern es etwas lockerer sehen oder sich für die Umtriebe ihres Sprosses nicht interessieren. Ich war in meiner Jugend alles, aber kein Rebell.

Natürlich habe ich auch Alkohol getrunken, aber die wirklichen Abstürze kann ich an einer Hand abzählen. Als Landei mit frühem Führerschein und Zugriff auf Großmutters Toyota war ich ohnehin schnell der zwangsnüchterne Taxifahrer für meine bierseligen Freunde. Meine Mutter hatte mir außerdem warnend von ihren jugendlichen Eskapaden berichtet und dabei ihre alkoholische Nemesis verraten: Campari Orange, gefolgt von Blackout.

Also war ich lange nicht besonders scharf darauf, das karminrote Bitter auch nur in meine Nähe zu lassen. Tatsächlich war der erste Kontakt mit der Revolution dann auch ein Versehen: Die Süße eines Tequila Sunrise erwartend, nippte ich zu später Stunde am Getränk einer Freundin. Ein bitterer Irrtum – aber einer, der sich einprägte.

Bei Campari Orange sollte es nicht bleiben

In den nächsten Wochen des Sommers in Trier, es dürfte 2018 gewesen sein, bestellte ich immer mal wieder den Campari Orange, während meine Freunde sich im grellen Schein ihres Aperols sonnten. Und weil ich der Einzige blieb, der dem „Hausfrauencocktail“, wie ein Barkeeper es mir unter die Nase rieb, zusprach, wurde es so was wie mein Signature-Getränk.

Aber jedermanns erste Signatur ist ein krakeliger Versuch, an der Erwachsenenwelt teilzuhaben. Und so schmeckt der Campari-O mit Chinin, Rhabarber- und Granatapfel-Noten zwar so bitter wie die erste Steuererklärung, aber überwältigend geht – im Nachhinein – anders.

Richtig mitgerissen wurde ich erst in einer Cocktailbar in München, über deren Name hier geschwiegen werden soll. München rühmt sich häufig in einem Anflug halbseidener Selbstironie als „nördlichste Stadt Italiens“ – zumindest mit ihrer gastronomischen Qualität liegen die Bajuvaren nicht völlig daneben.

Auf meine Frage nach einem Campari Orange sah mich der Barkeeper trotzdem nur mitleidig an und servierte mir dann einen Garibaldi. Es sind die gleichen Zutaten, aber die Zubereitung unterscheidet sich – und deshalb steht der Garibaldi neben dem Campari-O wie ein Ferrari Testarossa neben einem Fiat Cinquecento. Oder eben wie Giuseppe Garibaldi neben Silvio Berlusconi.

Der Garibaldi schmeckt nach venezianischer Melancholie

Beide sind unverkennbar italienisch, aber über den einen macht man sich in Deutschland lustig, den anderen schätzt man unter Kennern. Der Garibaldi schmeckt nach Mailänder Geschäftigkeit, nach venezianischer Melancholie und nach der bestürzenden Schönheit der amalfitanischen Küste, unverkennbar klassisch, aber langweilig nur am Gaumen jener, deren vermeintliches Jetset-Leben ihnen jeden Sinn für Sinnlichkeit geraubt hat.

Wie sein namensgebender Freiheitskämpfer hat der Garibaldi sich auch in Übersee radikalisiert, allerdings nicht in Argentinien, sondern in New York – ohne Zweifel die italienischste Stadt der USA. Dort, in der legendären Cocktailbar Dante, die ich selbst nur aus Erzählungen und dem Internet kenne, kam man zum ersten Mal auf die Idee, frische Orangen durch einen Hochgeschwindigkeitsentsafter zu schießen und den entstehenden Schaum auf das rote Bitter auf Eis zu servieren. Und so entsteht ein Getränk, das aus zwei einfachen Zutaten eine Kraft entfaltet, die einen im Sommer wirklich von einer besseren, einer geeinten Welt träumen lässt. Im Schaum liegen die Möglichkeiten.

Zurück nach New York. Dort wird mein Weg mich so bald wohl nicht hinführen. Dafür aber nach Mailand. Dort, direkt an der Piazza del Duomo, liegt die Galeria Vittorio Emmanuele II, benannt nach dem ersten König eines geeinten Italien nach dem Risorgimento. Sie beherbergt im Erdgeschoss das Camparino, die Bar, in der Davide Campari geboren und der Drink erfunden wurde. Zwei unterschiedliche Orangensorten nutzt man hier, um den Garibaldi zu mixen. Und dort, liebe Leser, möchte ich an einem warmen Vormittag sitzen und von dieser flüssig gewordenen Freiheit kosten. Denn Freiheit schmeckt bitter – und doch so leicht und frisch wie jugendliche Rebellion.

Back to top button