Fussball-U21-EM: Bitterer Ausgang, großartiges Turnier | ABC-Z

England – Deutschland 3:2 (2:2, 2:1)
Julian Nagelsmann war am Samstag nach Bratislava gereist, Nachwuchsstudium ist wesentlich für einen Bundestrainer. Zu sehen waren im EM-Finale des aktuellen U21-Jahrgangs ja auch potenzielle Nachrücker für sein Team, das zuletzt im Final Four der Nations League schwächelte. Der deutsche Nachwuchs war vor dem Endspiel gegen England sogar favorisiert, in der Vorrunde hatte eine B-Elf des DFB die Youngster von der Insel mit 2:1 bezwungen. Für die Deutschen jedoch endete die Partie mit einer Enttäuschung, sie verloren mit 2:3 nach Verlängerung. Es war für diesen Jahrgang die erste Niederlage nach 20 Spielen.
Wie soll man sich fühlen nach einem derart bitteren Ausgang? Der in diesem Turnier überragende Nick Woltemade, längst schon ein Nagelsmann-Schüler, sank auf den Boden, die Enttäuschung hatte ihn übermannt. Dennoch verlässt er die Slowakei als ein Gewinner: Er zeigte großartige Leistungen, war spielbestimmend in allen Partien, in denen er dabei war, zudem wurde er mit sechs Treffern Torschützenkönig. Nagelsmann wird sich bestätigt fühlen: Ein Spieler, der schon in der Bundesliga zu einem herausragenden Kicker gereift ist, sich in der A-Elf zeigen durfte und nun gegen Gleichaltrige beweist, dass er den Status einer Nachwuchshoffnung längst schon übersprungen hat, kann mit dem Prädikat Aufsteiger der Saison in die Heimat reisen.
Es spricht für Woltemades Klasse, dass längst nicht sicher ist, wo diese Heimat künftig sein wird. Noch beim VfB Stuttgart, dem er half, den DFB-Pokal zu gewinnen, oder schon beim FC Bayern, der sich intensiv um diesen außergewöhnlichen Spieler bemüht? Beim Turnier in der Slowakei war Woltemade kaum zu stoppen, er dribbelt vorzüglich – und das bei einer Größe von fast zwei Metern. Hinzu kommen ein starker Abschluss und eine deutliche Verbesserung im Kopfballspiel, das er angesichts seiner körperlichen Voraussetzungen zu einer Domäne ausbauen kann.
“Der Fußballgott war heute nicht auf unserer Seite”
Enttäuscht aber war Woltemade vor den Augen seiner Eltern wie alle seine Kollegen, dass es mit dem EM-Sieg nicht klappte, obwohl es fast noch ein glückliches Ende gegeben hätte. Die Deutschen fanden in der ersten halben Stunde nicht zu ihrem Spiel, lagen 0:2 zurück und schafften kurz vor der Halbzeit doch noch das 1:2, das Nelson Weiper mit einem Kopfball erzielte. “Wir haben in der ersten Halbzeit überhaupt keinen Zugriff gehabt auf die Spieler”, sagte der deutsche Trainer Antonio Di Salvo. Bedient hatte Weiper jener Paul Nebel, wie Weiper Angestellter von Mainz 05, der schließlich das 2:2 schoss – und in der Nachspielzeit fast noch den deutschen Siegtreffer erzielt hätte. Doch sein Schuss prallte vor die Latte.
Stattdessen gelang den Engländern früh in der Verlängerung die Entscheidung, als der eingewechselte Mittelstürmer Jonathan Rowe völlig frei stehend aus fünf Metern einen Flugkopfball ins deutsche Netz setzte (92.). “Wir haben bis zum Schluss dran geglaubt, aber der Fußballgott war heute nicht auf unserer Seite, leider”, bedauerte Di Salvo. “Die Mannschaft ist traurig, aber ich kann ihr keinen Vorwurf machen.” Rocco Reitz, der spielstarke Antreiber aus dem Mittelfeld, Stammspieler bei Borussia Mönchengladbach, sagte: “Wir haben ein richtig gutes Turnier gespielt, aber das ist jetzt extrem bitter.”
Ein gutes Turnier haben die Deutschen tatsächlich gespielt. Sie dominierten ihre Vorrundengruppe mit Siegen gegen Slowenien (3:0), Tschechien (4:2) und England (2:1). Es folgten ein 3:2 nach Verlängerung im Viertelfinale gegen Italien und anschließend das Meisterstück dieses Teams – ein 3:0-Triumph gegen den Mitfavoriten Frankreich im Halbfinale.
Nicht nur Woltemade kann zufrieden sein
Der Weg von Di Salvos Team endete erst im letzten Augenblick, womöglich fehlte es am Ende angesichts hoher Temperaturen und großer Belastung in diesem Turnier schlicht an der Kraft. Doch unter den Verlierern gibt es neben Woltemade noch eine Reihe von Gewinnern, die auch für den Beobachter Nagelsmann von großem Interesse sein können.
Das gilt in erster Linie für Paul Nebel, einen feinen Techniker mit Tordrang, der über ein starkes Dribbling verfügt und präzise flanken kann. Ein Wettkämpfer zudem, der sich in der regulären Spielzeit enorm gegen das drohende Schicksal einer Niederlage stemmte. Nebel ist selbstbewusst genug, um auf Einsätze in der A-Elf zu hoffen. Allerdings muss sich Nagelsmann in dieser Hinsicht beeilen, Nebel hat irische Vorfahren und der Verband der Grünen Insel bemüht sich bereits um diesen vielversprechenden Spieler.
Gegen Italien und Frankreich glänzte Torhüter Noah Atubolu. Er ist längst schon Stammkeeper des SC Freiburg und hat bereits 60 Bundesligaspiele absolviert. Im Finale sah er beim zweiten Tor der Engländer allerdings schlecht aus, den Schuss von Omari Hutchinson ließ er durch seine Beine passieren. Dennoch scheint Atubolu sich zunehmend auf der Linie zu etablieren. In Freiburg unterliefen ihm zu Beginn seiner Zeit als Nummer eins immer mal wieder Schnitzer, zuletzt jedoch hatte er sich auch in der Liga stabilisiert und in der Slowakei trotz seines Patzers im Finale insgesamt überzeugt. Auf lange Sicht dürfte auch er eine Perspektive im A-Team besitzen.
Viele interessante Nachrücker für Nagelsmann
Zum Stammpersonal in der Bundesliga zählen zudem die Frankfurter Außenverteidiger Nnamdi Collins (21) und Nathaniel Brown (22), die bei der EM gesetzt waren. Doch sie agierten nicht fehlerfrei und waren bisweilen sehr wild in ihren Aktionen. Allerdings sind sie Lernende mit Perspektive. Das gilt auch für Eric Martel, der in Köln schon ein Jahr Bundesliga und zweite Liga als gesetzter Spieler hinter sich hat und als Kapitän des EM-Finalisten auch in der Slowakei starke Auftritte hatte. Auch Rocco Reitz überzeugte und rechtfertigte Di Salvos Vertrauen.
Und so dürfte Julian Nagelsmann trotz der Endspielniederlage im Gegensatz zu den deutschen Spielern gar nicht so unglücklich nach Hause gefahren sein. Er hatte viele für ihn interessante potenzielle Nachrücker aus dem A-Elf Unterbau namens U21 auf einmal gesehen.