Fußball-Nationalspielern Lena Oberdorf vom FC Bayern München im Interview | ABC-Z
Lena Oberdorf, 22, musste früh lernen, mit Druck umzugehen. Seit sie mit 17 Jahren das erste Mal in der Nationalmannschaft auftrat, gilt die Mittelfeldspielerin als das größte Talent im deutschen Frauenfußball, im DFB-Team ist sie eine der stärksten Spielerinnen. In diesem Sommer wechselte sie für rund 450.000 Euro zum FC Bayern und wurde zum teuersten Transfer der Bundesliga-Geschichte.
Bis Oberdorf, die auf der Frankfurter Buchmesse ihre Biographie „Lena Oberdorf – Das große Fanbuch“ vorgestellt hat, aber für ihren neuen Verein spielen kann, wird es noch etwas dauern: Nach einer Kreuz- und Innenbandverletzung will sie im Frühjahr wieder auf dem Platz stehen.
Ich kann mich nicht beschweren. Die Reha läuft ganz gut, aber natürlich dauert es noch ein bisschen, bis ich wieder auf dem Platz stehen kann. Ich bin mittlerweile an einem Punkt angekommen, an dem ich mich mit der Verletzung abgefunden habe. Jetzt geht es nur noch nach vorne.
Ich habe ein Knallgeräusch gehört und wusste sofort, dass das Kreuzband gerissen ist. Lea Schüller (Oberdorfs beste Freundin, Anm. d. Red.) hat in der Kabine zwar noch versucht, mir gut zuzureden, aber mir ist in dem Moment schon klar gewesen, dass die Saison für mich vorbei ist und ich auch nicht zu Olympia kann. Das ist schon brutal, wenn man checkt, dass man so viel verpasst und die Zeit auch nicht mehr zurückbekommt.
Würden Sie sagen, dass die Verletzung – so kurz vor Olympia – bisher die größte Enttäuschung in Ihrem Leben war?
Ja, vor allem wenn ich mir überlege, dass ich eine Woche später nach Paris gefahren wäre. Diese Erfahrung hat mir die Augen geöffnet und nochmals gezeigt, dass Fußball das ist, was mich glücklich macht. Das ist während meiner Zeit in Wolfsburg leider nicht immer so gewesen. Da habe ich mich schon manchmal gefragt, ob der Fußball wirklich das ist, was ich für mein Leben möchte, oder ob ich es nur mache, weil ich es gut kann.
Ist es Ihnen schwergefallen zu akzeptieren, dass der Körper nicht mehr so will wie bisher?
Diesen Moment erlebe ich noch immer jeden Tag in der Reha, wenn ich neue Übungen mache. Bei einer muss ich auf die Fußballen hochgehen und mich dann auf ein Bein fallen lassen. Bis ich mich erstmals getraut habe, diese Bewegung mit rechts zu machen, hat es bestimmt zwei oder drei Minuten gedauert. Ich würde sagen, das größte Problem bei so einer Verletzung ist nicht der Körper, sondern der Kopf. Man vertraut dem Knie nicht mehr, dass es einen hält. Aber das Gute ist: Wenn man sich einmal überwunden hat, macht man die Übung beim nächsten Mal, ohne allzu lange darüber nachzudenken. So wird das hoffentlich auch sein, wenn ich wieder auf dem Platz stehe.
Wie haben Sie die Verletzung verarbeitet, damit es keine mentale Belastung für Sie wurde?
Es ist eher so, dass man einen Weg findet, mit der Situation zurechtzukommen. Ich habe früher nie gelernt, mit Ruhe umzugehen, und musste mir erst mal angewöhnen, die Ruhe, die ich jetzt habe, auch genießen zu können. Ich habe diesen Weg in der Musik gefunden. Ich habe meine alte Gitarre aus dem Keller geholt und wieder angefangen, Musikunterricht zu nehmen. Aber ich würde lügen, wenn ich sage, dass die Reha einfach ist und ich jeden Tag Fortschritte mache. Das ist nicht so. Manchmal steht man auch still, macht vielleicht sogar Rückschritte, aber davon darf man sich nicht runterziehen lassen.
Wie schafft man es, nach so einem Rückschlag neue Motivation zu entwickeln?
Mir hat geholfen, zu wissen, wofür ich es mache: für die Momente mit dem Team auf dem Platz.
Aber kann das nicht auch Druck erzeugen, möglichst schnell wieder spielen zu wollen?
Ich habe natürlich die EM im kommenden Jahr vor Augen, bei der ich wieder im Kader stehen will. Aber man darf sich auch nicht zu sehr darauf fokussieren, sondern muss sich kleine Ziele setzen und feiern, wenn man sie erreicht hat.
Mit gerade einmal 22 Jahren haben Sie schon etliche Erfolge vorzuweisen. Sie sind mit Wolfsburg Meister und Pokalsieger geworden, haben im Finale der Champions League und der Europameisterschaft gestanden, und die Fritz-Walter-Medaille in Gold gewonnen. Beflügelt Sie so was, oder setzt es Sie eher unter Druck?
Ich würde sagen, es ist ein bisschen von beidem. Die Ballon-d’Or-Verleihung 2022, bei der ich Vierte hinter Alexia Putellas, Beth Mead und Sam Kerr wurde, hat mich schon etwas gehemmt, weil ich wusste, dass ich dadurch unter besonderer Beobachtung stehe. Wenn man aber Strategien entwickelt, um mit der gestiegenen Erwartungshaltung umzugehen, können einen solche Auszeichnungen auch zusätzlich motivieren.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Beim VfL Wolfsburg habe ich viel mit unserem Mentaltrainer Robin zusammengearbeitet. In der vergangenen Saison hatte ich eine schwierige Phase, in der ich nicht so gespielt habe, wie man es eigentlich von mir kennt. Durch die Arbeit mit Robin habe ich den Spaß am Fußball zurückgewonnen und konnte dann auch wieder besser meine Leistungen bringen. Er hat mir zum Beispiel zwei Zettel gegeben, einen leeren und einen, auf dem stand, was die Medien über mich geschrieben haben. Er hat mich gefragt: „Willst du das sein, was die Leute sagen, oder willst du selbst entscheiden, wer du bist?“ Das war eine Methode, durch die ich gemerkt habe, dass ich nur auf die Leute, die mir nahestehen, hören sollte. Keiner kennt die Taktik, die der Trainer vorgegeben hat, oder weiß, dass man sich vor dem Spiel eine Paracetamol eingeschmissen hat, um trotz Schmerzen spielen zu können. Da hilft es, sich nur daran zu messen, was dein enges Umfeld von dir erwartet.
Seit dem Sommer stehen Sie beim FC Bayern unter Vertrag. Wie haben Sie die teils heftigen Reaktionen auf Ihren Wechsel wahrgenommen?
Da waren schon einige Kommentare dabei, die unter die Gürtellinie gegangen sind. Ich habe Instagram zeitweise von meinem Handy deinstalliert und meinen Manager gebeten, sich um die Postings zu kümmern. Ich hatte dafür einfach keine Kapazitäten und wollte mich lieber darauf konzentrieren, mit Wolfsburg die Saison gut zu Ende zu bringen.
Hat es Sie verwundert, dass die Reaktionen so extrem ausgefallen sind?
Überrascht haben mich die Kommentare nicht. Ich hatte schon damit gerechnet, dass die Reaktionen nicht sonderlich freundlich ausfallen würden, weil ich nun einmal zu einem direkten Konkurrenten gewechselt bin. Aber dass es so ausarten würde, hätte ich nicht gedacht, und da bin ich dann auch ein Mensch, der recht deutlich sagt: „So geht das nicht.“
Hat sich der neue Bundestrainer Christian Wück seit Ihrer Verletzung eigentlich schon einmal bei Ihnen gemeldet?
Ja, er war teilweise auch im Stadion, und dann haben wir ein bisschen geredet. Er meinte zu mir, dass ich Geduld haben soll, und als ich geantwortet habe, dass das nicht gerade meine Paradedisziplin ist, meinte er nur: „Ja, das habe ich schon gehört.“
Was erwarten Sie von ihm?
Ich denke, dass wir unseren Spielstil unter ihm noch weiter verfeinern werden. Er wird dafür sorgen, dass wir auf dem Platz frei sein können, aber trotzdem mit der nötigen Struktur und der gleichen Intensität spielen, die sein Vorgänger Horst Hrubesch uns beigebracht hat.
Und wie ist er menschlich?
So wie ich ihn kennengelernt habe, ist Christian ein Trainer, der sehr viel Empathie aufbringen kann. Er wird einen guten Weg finden, mit den Spielerinnen zu kommunizieren, und dabei die ehrliche Art beibehalten, die Horst bis zum Schluss vorgelebt hat.
Auf Wück wartet auch gleich eine große Herausforderung. Mit Marina Hegering, Merle Frohms und der langjährigen Kapitänin Alexandra Popp haben mehrere Führungsspielerinnen ihren Rücktritt aus der Nationalmannschaft verkündet.
Es wird ein enormer Umbruch, den Christian aber auch als Möglichkeit sehen kann, ein neues Team zu formen und aufzubauen. Die Chance ist größer als das Risiko, und deshalb glaube ich, dass er es sehr gut machen wird. Ich bin gespannt, wie wir uns in den ersten Länderspielen unter ihm schlagen werden.
Wie definieren Sie denn Ihre eigene Rolle im DFB-Team? Werden Sie nach Ihrer Verletzung versuchen, in die Lücke vorzustoßen, die Hegering, Frohms und Popp hinterlassen haben?
Ich bin eine Spielerin, die viel Verantwortung übernehmen kann und das auch weiterhin tun wird. Ich bin im Mannschaftsrat und auch wenn ich gerade verletzt bin, versuche ich, die Mannschaft bei allem, wo ich helfen kann, zu unterstützen. Ich möchte aber gar nicht so sehr über Rollen sprechen. Für mich geht es erst mal darum, dass ich in der Form zurückkomme, die ich vor der Verletzung hatte.
Was macht eine gute Führungsspielerin für Sie aus?
Dass man neben dem Platz die Gespräche sucht, dass man auf jeden achtet und auch Spielerinnen einbezieht, die vielleicht nicht so viel Spielzeit bekommen, und dass man guckt, dass die Stimmung innerhalb der Mannschaft stimmt. Und dass man auf dem Platz vorweggeht, wenn es einmal nicht so gut läuft, dass man die Mannschaft aufbaut und dass man weiß, wie die einzelnen Spielerinnen ticken.
Also eigentlich ein Profil, in das Sie ganz gut hineinpassen würden.