Fußball: England sucht immer noch den Nachfolger für Gareth Southgate – Sport | ABC-Z
Vier Siege aus vier Spielen, neun Tore, nur ein Gegentreffer: So liest sich die Bilanz, die sich England zum aktuellen Zeitpunkt dieser Nations-League-Runde im zweitklassigen B-Pool vorgestellt hat. Doch der Zwischenstand bildet nicht die Lage des Favoriten ab, sondern die des Außenseiters und Tabellenführers Griechenland.
Die Engländer halten immerhin noch Anschluss, das 3:1 in Finnland am Sonntag wahrt die Chance auf den direkten Aufstiegsplatz – nachdem sie drei Tage zuvor im Duell mit den Griechen untergegangen waren wie einst die Perser in der antiken Seeschlacht von Salamis. „Griechische Tragödie“, kapitulierte die englische Presse nach der Heimschmach (1:2). Nie zuvor hatte Griechenland England bezwungen, und überhaupt: Der Fußballweltranglisten-48. war das am niedrigsten klassifizierte Land, das seit der Entdeckung der britischen Insel ein Fußball-Länderspiel auf englischem Territorium gewinnen konnte.
Englands Interimstrainer Lee Carsley hatte gegen die Griechen eine Startelf berufen, die allein für die Offensive, nicht aber für die Defensive ausgerüstet war. Sie bestand aus einem Torwart, einem Verteidiger – und neun Mittelfeldspielern. Spielführer Harry Kane vom FC Bayern fehlte verletzt. Erstmals standen dafür die Jungstars Jude Bellingham, Phil Foden, Cole Palmer, Bukayo Saka und Anthony Gordon gemeinsam auf dem Platz. So hatte es Englands Fußballöffentlichkeit aus Experten, Medien und Fans seit Monaten massiv eingefordert. Carsley, der bisher die U21 des Landes gecoacht hatte, wollte es nun womöglich allen recht machen und seine Position für eine Weiteranstellung als A-Trainer stärken. Sein Vorgänger, der nach der EM abgetretene Gareth Southgate, war diesem Ansinnen nie nachgekommen.
Carsleys Mannschaft besaß erwartungsgemäß weder Balance noch Abstimmung, die zu ähnlichen Spielertypen standen sich vor dem gegnerischen Tor gegenseitig im Weg. Die Ballverluste nutzten die Griechen und konterten kompromisslos. Die Anordnung erinnerte an die EM 2004, als der damalige Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson die Mittelfeldgranden Paul Scholes, Frank Lampard und Steven Gerrard zusammen aufstellte. Die Folge war, dass der Spielgestalter Scholes auf die linke Mittelfeldseite ausweichen musste. Im Viertelfinale schied England im Elfmeterschießen aus.
Die Zeitung Sun erinnert bereits an Vorgänger Southgate und dessen Errungenschaften
Nach dem Griechenland-Debakel ließen die Meinungsmacher den Trainer fallen, ihre Analysen lasen sich wie ein Dolchstoß in dessen Rücken. Das Massenblatt Sun, das bei der EM 2024 jene Zeilen schmiedete, Southgate sei ein „umgekehrter Alchemist“, der „Gold in unedles Metall“ verwandle, schwenkte unverfroren um. Die Niederlage habe daran erinnert, warum der Stratege Southgate immer „ausbalancierte Teams“ zusammengestellt und auf diese Weise mit England zwei EM-Finals (2021, 2024) in Serie erreicht habe, schrieb die Zeitung plötzlich. Dazu hieß es: „Zieht die Handbremse an, legt die Fesseln an – macht England wieder langweilig.“ Die Sun-Resolution: Englands Football Association (FA) könne Carsley nun „sicherlich“ nicht mehr zum dauerhaften Nationaltrainer berufen.
Die Entrüstung schien den auf Profiebene unerfahrenen Carsley zu überfordern. Er erklärte, nach dem letzten Länderspielblock des Jahres im November „hoffentlich wieder zur U21“ zurückzukehren. Auch seine Aufstellung gegen Finnland wirkte dann mindestens wie eine Doppelrolle rückwärts. Er griff auf Southgates Erfolgsformel zurück: Die Routiniers spielten, die Stabilität stand im Fokus, einige Ausnahmespieler blieben außen vor, diesmal Foden, Gordon und der verletzte Saka. Abschließend bekräftigte Carsley nach dem Duell gegen die Finnen im TV seine Haltung, der Posten des Nationaltrainers verdiene einen „Weltklasse-Coach“, der bereits bedeutende Titel gewonnen habe. Er selbst befinde sich noch auf dem Weg dahin.
In weiterführenden Interviews versuchte er dann wiederum, diese Aussagen einzufangen. Er wollte sie nicht so verstanden wissen, dass er sich selbst ausschließe. „Definitiv nicht“, korrigierte sich der 50-Jährige.
Der Telegraph kommentierte amüsiert, Carsley verhalte sich „wie ein Kaninchen im Scheinwerferlicht“. Dessen Aufrichtigkeit sei zwar ehrenwert, aber nicht die Mentalität, die England auf dem Weg zur WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko benötige. Dieselbe Debatte um eine mögliche Festanstellung als A-Trainer verfolgte übrigens einst auch Southgate, als er im Herbst 2016 zunächst übergangsweise übernahm. Damals kanzelte er die bohrenden Nachfragen alle ab, indem er freundlich wiederholte: Nach den vereinbarten Spielen habe jeder die Chance, zu überprüfen, wie es gelaufen ist.
Wunschtrainer wären Pep Guardiola – oder Jürgen Klopp
Carsleys Schlingerkurs erhöht nun den Druck auf die FA, die sich stets der Schwierigkeit bewusst war, eines Tages einen Nachfolger für Southgate präsentieren zu müssen. Aus diesem Grund wollte der Verband Southgate unbedingt halten – im Gegensatz zur Öffentlichkeit, die suggerierte, man könne sich einen Trainer für die eigene talentierte Elf praktisch aussuchen. Nun stellte ITV fest, es sei doch lediglich ein „überschaubarer Teich“, in dem man fische. Die Kandidaten sind immer die gleichen: Thomas Tuchel sowie die Engländer Graham Potter, Frank Lampard und Eddie Howe, wobei ersterer ebenso bei Manchester United gehandelt wird und letzterer derzeit bei Newcastle United angestellt ist.
Englands Wunschtraum bleibt Pep Guardiola, dessen Vertrag bei Manchester City im Sommer 2025 ausläuft. Zu seiner Zukunft sagte Guardiola im italienischen TV soeben wenig verheißungsvoll, es stimme nicht, dass er Englands Trainer werde; er habe noch nichts entschieden. Das Werben um Guardiola könnte letztlich so enden wie die vormalige Hoffnung auf ein England-Engagement von Jürgen Klopp: Der Deutsche nahm sich zunächst eine Auszeit und unterschrieb dann kürzlich einen Vertrag für nächstes Jahr als neuer Fußballchef bei Red Bull.
Stellvertretend für die Unruhe im Mutterland des Fußballs schrieb der Guardian besorgt, dass der Trainer, den England benötige – „den rebellischen Southgate von einst“ – vielleicht gar nicht existiere. In der Vorwoche gab Gareth Southgate bekannt, erst einmal ein Jahr lang als Trainer keine Tätigkeit anzunehmen.