Fußballnationalmannschaft: Heimspiel in Basel | DIE ZEIT | ABC-Z

Das war ungewöhnlich: Auf der Pressekonferenz ging der Gewinner mit sich und seiner Mannschaft ins Gericht. “Heute haben wir eindeutig gezeigt, dass wir Verbesserungspotenzial haben”, sagte Christian Wück. Da bestehe “ein Unterschied zu den Spitzenmannschaften dieser Euro”. Das war kein rhetorischer Trick des Bundestrainers, um seine Spielerinnen am Boden zu halten, sondern eine ehrliche und richtige Analyse.
Gleichzeitig lobte Wück seine Spielerinnen. Er sei froh, “dieses Gesicht gesehen zu haben”, sagte er. Es sei ein “Sieg der Mentalität” gewesen, wie er typisch sei für deutsche Mannschaften, ob männlich oder weiblich. Auf Sekundärtugenden werde schon bei Jugendlichen geachtet, sagte Wück, der viele Jahre Erfahrung hat mit dem DFB-Nachwuchs. “Eine deutsche Mannschaft hat bestimmte Eigenschaften.”
Manch deutscher Fußballfan wird Wück recht geben, denn diese Art Spiel hat er schon viele Male gesehen: Eine Fußballmannschaft tut sich schwer, der Gegner trifft, sie beißt sich aber ins Spiel und siegt am Ende verdient dank einer Steigerung in der zweiten Halbzeit und einer großen Willensleistung. Dieses Muster war in den Achtzigern und Neunzigern sehr populär, als Oliver Bierhoff von irgendwoher kam und einen Kopfball unhaltbar zum Sieg versenkte.
Die deutschen Frauen der Gegenwart beherrschen Ähnliches. In das zweite Vorrundenspiel gegen Dänemark stolperten sie rein, gerieten 0:1 in Rückstand, fast noch höher. Doch blieben sie dran und entwickelten eine Wucht, die die Däninnen erdrückte.
Mit ein bisschen Glück und sehr viel Leidenschaft siegte Deutschland 2:1 und zog vorzeitig ins Viertelfinale ein. Es war ein sehr typisches deutsches Spiel, und die berechtigte Hoffnung existiert, dass es sinnbildlich für dieses Turnier wird.
In der ersten Halbzeit unterliefen den Deutschen so viele Fehlpässe, als hätten sie noch ein paar Zacken Toblerone in den Schuhen. Kombinationen über mindestens drei Stationen schienen ihnen untersagt. Elisa Senß und Sjoeke Nüsken biederten im Mittelfeld herum. Jule Brand blieb ohne Wirkung, Klara Bühl ohne Präzision und Glück (Abseitstor), Lea Schüller ohne alles. Das ließ Wück sagen, er wünsche sich “ein spielerisch höheres Niveau”.
Dänemark nutzte die Gelegenheit zu Kontern und zum 0:1 durch Amalie Vangsgaard. Ann-Katrin Berger kam nicht mehr in die kurze Ecke, ihr fehlte der Abdruck. Die Dänen erspielten sich zwei, drei weitere Chancen zum 0:2, doch Bergers Reflexe sind besser als ihre Sprungkraft. Nach Karen Holmgaards Schuss riss sie die Faust nach oben.
Um die 40. Minute versetzte eine deutsche Eckballserie, gefolgt von Schusssalven, die Zuschauerinnen in Begeisterung. Die Bälle flogen kreuz und quer über Köpfe hinweg, unter Schenkeln hindurch, prallten an Hüften ab. Deutschland hielt jetzt feste drauf. In diesen Szenen wurde es nichts mit dem Tor, aber man bekam ein Gefühl, dass Deutschland irgendwann treffen würde.
“Siegeswillen, Zusammenhalt, Leidenschaft”, pries Wück die entscheidenden Faktoren für den Sieg. Er sprach von “unseren Tugenden”. In der zweiten Halbzeit erhöhte die DFB-Elf den Druck, die Däninnen kamen, trotz zehn Minuten Nachspielzeit, nur noch selten in die deutsche Hälfte, als wäre ihre Autobahnvignette abgelaufen. Wück hat der Elf eine gute Ordnung verpasst, die Gegnerinnen bekamen wenig Räume.
Die Tore fielen dann fast von selbst. Linda Dallmann bekam, etwas kleinlich, einen Elfmeter zugesprochen, vielleicht weil sich die Schiedsrichterin nicht noch eine knappe Entscheidung gegen Deutschland leisten wollte. 1:1 durch Nüsken.
Und ein dänischer Klärungsversuch entpuppte sich als friendly fire. Der Ball plumpste zu Brand, die Schüller bediente. Die Stürmerin traf mit ihrer ersten Aktion. Fast wäre ihr noch ein zweites Tor gelungen. Der Zufall war zweimal im Spiel. Aber er war es auch wieder nicht, denn die Tore wirkten zwingend. Mit den beiden Eingewechselten Laura Freigang und Giovanna Hoffmann wurden die deutschen Angriffe noch intensiver. Sie pflügten weit und tief.
Das deutsche Tor geriet nur noch bei Bergers waghalsigen Manövern in Gefahr. Ob er das mit ihr abgesprochen habe, wurde Wück gefragt. “Nein!” Dem ließ er eine Pause folgen, die diese Aussage unterstrich. “Ich werde mich mit ihr an einen Tisch sitzen, sonst werde ich nicht alt.” Bergers Aktionen waren aber nicht nur waghalsig, sondern auch künstlerisch wertvoll. Das Publikum staunte laut.
Rund 18.000 Deutsche sollen im Joggeli gewesen sein. Okay, Deutschland liegt Luftlinie keine zehn Kilometer entfernt. Doch diese Rekordkulisse in einem EM-Vorrundenspiel, bei dem der Gastgeber nicht beteiligt ist, rundet das Bild ab. Wück sagte, er habe seine Spielerinnen darauf aufmerksam gemacht, dass es “etwas sehr Besonderes” sei, in dieser Atmosphäre zu spielen. “Das erlebt man nicht oft.” Beim Fanmarsch durch die Stadt am Nachmittag war Sara Doorsoun dabei.
Auch die Fans zeigten beim Singen deutsche Tugenden. Das gesamte Repertoire aus der Fußballmundorgel hatten sie drauf: “Steht auf, wenn ihr Deutsche seid!“, “Ohne Deutschland wär hier gar nix los“, “Sieg“, “Oh, wie ist das schön!” Da waren ein paar Blue Notes dabei, wo sie nicht hingehören, aber die Stimmung war gut. Heimspiel in Basel.
Das Viertelfinale ist erreicht. Dort könnten die Deutschen möglicherweise auf Frankreich oder England treffen, dabei wären sie nicht der Favorit. Und Spanien steht spielkulturell so hoch über Deutschland wie das Matterhorn über dem Meeresspiegel. Doch in Kombination mit den Fans hat die Mannschaft etwas zu bieten, was dem deutschen Fußball schon viele Siege beschert hat: Sie sind eine Einheit.