“Furye” von Kat Eryn Rubik: Zeit für Rache | ABC-Z

Wofür man den griechischen Göttern ja dankbar sein muss: Welchen Horror das Dasein auch bietet, sie haben uns für alles eine gute Geschichte hinterlassen. Nehmen wir Alekto, Megaira und Tisiphone, die Erinnyen: Nachdem der Titan Kronos seinem Vater Uranus – wie man das so machte damals – mit einer Sichel den Penis abgeschlagen hat, wurden aus dem Blut diese drei sogenannten Furien geboren. Frauen im Vollrausch der Rachsucht, Geschöpfe des Zorns, die beschaffen sind, wie sie sind, weil Männer ständig jemandem wehtun müssen. Womit wir bei Furye wären, dem Roman der Schriftstellerin Kat Eryn Rubik, die man früher als Kat Kaufmann kannte.
Wir begegnen Alec, einer Musikmanagerin, die sich gut gekleidet durch eine Welt bewegt, in der man Nackthafer für 230 Euro isst und ständig auf Vernissagen rennt. Der einzige sympathische Mann in diesem Roman, Alecs geliebter Vater, stirbt zu Beginn der Handlung, und nun ist sie allein mit ihrem Alkoholproblem und unerträglichen Typen: mit einem cholerischen Neoklassik-Star und einem Arzt, der sie, eine Frau mit Kinderwunsch in ihren späten Dreißigern, mit tadelnder Nachsicht behandelt. Die Sprache ist karg und zart in diesen ersten Momenten mit Alec, es ist, als schaue man durch einen Spalt in ein Zimmer mit Manufactum-Einrichtung, an dessen Wand ein rührend buntes Kinderfoto hängt. “Ich sah die Zukunft klar”, denkt sie. “Mein Vater war tot. Und meine Mutter würde ihm bald folgen. Wenn auch vielleicht nicht gleich – so doch mit unumstößlicher Sicherheit.” Bald bricht Alec zusammen, und die Leserin steht aufgelöst an ihrer Seite.
Ausgehend von diesem Wendepunkt, kehrt der Roman immer wieder zurück in Alecs Jugend, die sie in einem Brennpunktviertel verbringt. Die Eltern sind hart arbeitende Migranten, für die Rubik sehr viel mehr Liebe entwickelt als andere Milieubetrachtungen: Hier muss niemand vergrämt hinter gelb gerauchten Gardinen sitzen.
Im alles verändernden Sommer, um den es auch in diesem Buch geht, lernt Alec ihre Freundinnen Meg und Tess kennen, die eigentlich nicht so heißen, so wie sie selbst auch nicht Alec heißt: Die Mädchen nennen sich nach den drei Furien, sie alle sind schwer wütend, weil schwer versehrt vom Leben. Tess hat einen prügelnden Vater, Meg ist das furchtlose Problemkind einer reichen, alkoholkranken Mutter, und auch Alec lernt früh das gesamte Personal der Mistkerle kennen: die grausamen Sportlehrer, die Barkeeper mit gescheiterten Träumen, die reichen Schmierlappen, die auf minderjährige Mädchen aus sind. An ihnen, beschließen die Mädchen bald, soll Rache genommen werden.
Man kennt diese Männerfiguren, man kann sie kaum neu erfinden. Aber man kann immer wieder neu davon erzählen, wie junge Frauen mit der Frage ringen, ob die Macht, die sie wegen ihrer Jugendlichkeit über diese Männer haben, wirklich Macht ist. Und das tut Rubik großartig, abgegessen und angekotzt und doch tastend, bis sie einen Mann auftauchen lässt, der ganz anders zu sein scheint als all die Schweine: Romain, ein Alain-Delon-hafter Boy mit feinem Musikgeschmack und Depressionen. Um ihn wird Alecs Welt fortan kreisen, einen tragisch vergrübelten Mann, wie schon so viele Erzählungen zuvor.
Während die verliebte Erzählerin unterwegs ist in ihrem Orbit, scheint Rubik ausgerechnet an den Furien das Interesse zu verlieren. Tess teilt das Schicksal vieler Nebenfiguren, denen kaum Entwicklung und Tiefe zugestanden wird, bis die Erzählerin sie für ein schlimmes Ende opfert. Auch Megs Unverschämtheit bleibt lange ohne jene Brüche, die sie von der Figur zum Charakter machen würden. Sie bekommt ihre Vergeltung, aber sonst bleibt die Rachegeschichte der Mädchen eine große Anbahnung. Dem Zorn der Furien wird der Stecker gezogen, vom Schicksal und auch von der Müttergeneration der Mädchen, die sich von Männern hat ruinieren lassen.
All das müsste kein Makel dieses Romans sein – wo käme man hin, von Literatur zu verlangen, dass sie Gerechtigkeit schaffen soll. Aber leider verliert sich Rubik darin, eine Liebesgeschichte zu erzählen, in der einem vieles bekannt vorkommt: Da sind die dramatischen Teenagergespräche über Godard und die Unendlichkeit, da ist der Sex mit Spucken, Schlagen und Sommerschwüle, da sind die jungen Menschen, die auf die ewige Junge-Menschen-Art schön sind – Jungen haben “wehmütige” Lippen, Mädchen “lange, kastanienbraune” Haare, und immer sind sie dünn.
Vor allem bleibt manche Szene leer, obwohl so viel Gefühlsinventar reingestellt wurde: Bei einem Ausflug mit Romain will Alec bezahlen, um ihre finanzielle Eigenständigkeit zu beweisen. Er funkt gönnerhaft dazwischen, sie ist beleidigt, dann wird der sich anbahnende Klassenkonflikt weggeflirtet und vorerst abgeheftet, weil noch so viele Kränkungen eines Frauenlebens bearbeitet werden müssen. Es sind zu viele für Alecs Leben. Und es sind zu viele für diesen Roman, der so umwerfend beginnt, dann seine interessantesten Figuren und Aspekte vernachlässigt, um sich einer mittelinteressant erzählten Liebesstory zu widmen.
Kat Eryn Rubik: Furye. Roman; Dumont Verlag, Köln 2025; 352 S., 24,– €, als E-Book 19,99 €